Hallo Mama, hallo Papa
Die Wahrheit ist: Ich werde morgens in eine Krippe gebracht, immer hektisch und unter Zeitdruck. Ihr gebt mich bei einer lächelnden Frau ab, und ihr glaubt tatsächlich, dass es mir deshalb die nächsten drei bis sechs Stunden gut geht? Sorry, aber das ist Hollywood. Da habt ihr euch ein Ticket gekauft, um an etwas zu glauben, was in Wirklichkeit nicht stattfindet. In der Kri...ppe bin ich nämlich nur eines von vielen Kindern und muss mich so benehmen, dass ich möglichst pflegeleicht bin.
Zur gleichen Zeit seid ihr im Büro, starrt auf ein Foto von mir und hofft, dass es mir gut geht. Die Wahrheit ist: Ich sehne mich nach meiner Mama und meinem Papa, nach eurem Geruch, euren Händen, nach eurer Stimme. Ich brauche euch, damit ich mich richtig entwickeln kann, statt so viele Stunden am Tag die Rolle des braven Kindes spielen zu müssen.
Was ich nicht kapiere, ist Folgendes: Ihr wolltet mich, ich bin das Produkt eurer Liebe, ich war euer Wunsch, und ihr habt euch nach mir gesehnt. Aber jetzt, da ich hier bin, müsst ihr mich abschieben, um Geld zu verdienen! Nach Stunden in diesem bunten Gefängnis Krippe kommt ihr also zur Tür herein, seht mich, ich sehe euch, und natürlich freue ich mich, und ihr denkt: Mein Kind lacht, also ist es glücklich in seiner Krippe. Falsch, ich lache, weil ich endlich befreit werde. Dann fahren wir nach Hause, und eigentlich will ich nur noch ganz nah bei euch sein, aber ihr habt jetzt so viel zu tun. Die Wahrheit wird größer und stärker, ich habe Angst, ich möchte schreien, aber ich tu es nicht, weil ich weiß, dass meine Chance auf eure Liebe besser ist, wenn ich mich ruhig verhalte. Ich lache, ich gluckse ein wenig, ich mache auf braves Kind, um endlich, irgendwann, euch zu spüren, zu riechen, zu schmecken. Dann sind wir für eine kurze Zeit glücklich, und zwar in Wirklichkeit. Bis zum nächsten Morgen.
Danke an "Die Neuen Eltern"