Versöhnliche Gedanken
Guten Morgen Ihr Lieben,
ich muss euch warnen bzw. ihr sehr es selbst: es wird lang :-)
Ich bin seit gestern Abend in einem Denk- bzw. Erkenntnisprozess drinnen, der nun zu dem hier geführt hat. Vielleicht könnt ihr nichts damit anfangen, vielleicht bringt es in euch eine Seite zum Klingen, vielleicht ist es auch nur so, dass ihr meine Co-Therapeuten seid, indem ich niederschreibe, was mir durch den Kopf geht. Und wer nicht mag, muss ja nicht lesen. Ich hoffe, ich bekomme alles so halbwegs auf die Reihe, was mich bewegt.
Gestern Abend begann ich damit, mir die Frage zu stellen, warum ich beim Thema Entbindung so gar nicht akzeptieren kann, dass es vielleicht nicht so geht, wie ich es gerne hätte, obwohl doch mein Kopf weiß, dass die Wahrscheinlichkeit genau dafür recht hoch ist. Eigentlich ist es so, dass ich Dinge, die ich nicht ändern kann, ganz gut annehmen und akzeptieren kann und nicht ewig darüber lamentiere und damit hadere. Ich würde zum Beispiel nie ne Stunde über das Wetter schimpfen. Ich stecke meine Energie lieber in die Dinge, die ich verändern kann und die anderen gefallen mir deshalb nicht besser, aber sie bringen mich nicht aus dem Gleichgewicht und ich mache das Beste draus.
Meine Situation jetzt kann (konnte?) ich nicht akzeptieren und ich verstand bis heute morgen nicht, weshalb. Aber eigentlich ist es recht einfach, wenn man meine Entwicklung und mein Leben betrachtet. Ich komme aus einem Elternhaus, das insbesondere von emotionaler Gewalt geprägt ist. Dies in einem Umfeld, in dem es - ohne zu übertreiben - niemanden gibt, der mit seinem Leben zufrieden ist, der nicht mindestens körperlich krank ist, häufig aber psychisch. Die Ausübung von Suizid, Abhängigkeiten und andere seelische Belastungen kennzeichnen dort alle Menschen in der Familie, mit denen ich aufgewachsen bin. Für mich war immer klar, dass ist nicht mein Weg. Hilfreich - und wie man noch sehen wird - genauso hinderlich war dabei eine Einstellung, die meine Mutter mir eingetrichtert und auch selbst vorgelebt hat, nämlich die, dass man nur hart genug gegen sich selbst sein muss, dann wird es schon gelingen. Der Spruch, den sie mir in mein Poesiealbum schrieb, lautete: Sich selbst bekriegen, das ist der schwerste Krieg. Sich selbst besiegen, das ist der schönste Sieg.
Und ich war gut darin, mich zu bekriegen und mit eiserner Disziplin und Entschlossenheit habe ich über viele Jahre hinweg an mir gearbeitet, um mir mein Ziel eines zufriedenen Lebens zu erfüllen. Das ist mir schließlich auch gelungen. Gleichzeitig hat es mich oft insbesondere meine körperlichen Bedürfnisse vernachlässigen lassen. Ich habe unermüdlich gearbeitet (um unabhängig zu sein, mein Studium zu finanzieren, was meine Eltern auch nicht konnten etc.) und habe das immer als selbstverständlich abgetan. Was ist schon dabei, 80 Stunden zu arbeiten und dabei noch zu studieren und das auf, was die Noten betrifft, sehr hohem Niveau? Ein Teil der Arbeit bewegte sich dabei z.B. im Catering, wo ich u.a. deshalb anerkannt war, weil ich mich nie schonte. Bierfässer schleppen? Na klar, bin ja kein Weichei. Eher hab ich es nem Mann noch abgenommen, als zu sagen, das sei mir zu schwer. 20 Stunden am Stück arbeiten, dabei lächeln und hilfsbereit zu sein - na klar! Danach zwei Stunden Schlaf und dann zur Uni. Jo mei, warum auch nicht. Und das Geld dann meinen Eltern zu schenken, damit diese mit ihrem verkorksten Geldausgebeverhalten über die Runden kommen, aber sicher doch, schließlich habe ich schon früh die Mutterrolle in der gesamten Familie übernommen. Das Wort "muss" stand lange Zeit ganz oben auf meiner Agenda. Es gibt ein Lebensmotto, das sich in einem Gedicht ausdrückt, das - Überraschung - ebenfalls von meiner Mutter stammt - und das ich lange Zeit übernommen habe:
Es ist ein Käfig, der heißt Pflicht, der selbst das stärkste Herz zerbricht. In dem die Träume sich verfangen, an seinen kalten Eisenstangen. In dem die Freiheitsträume leben und langsam fallen und entschweben. Ein jeder Morgen, jeder Tag, der noch so flammend kommen mag. Der noch so purpurn aufersteht, die graue Arbeitsmühle dreht. Ein Leben lang - was Leben heßt, bis dann der Tod, die Kette reißt.
Irgendwann, nach vielen auch tatsächlichen Schmerzen und einigen Arschtritten nebst Therapie, habe ich es geschafft, etwas zurückzuschrauben und nicht mehr ständig "hier" zu schreien. Ich konnte akzeptieren, dass ich Grenzen habe und dass zu viel Einsatz auch nicht unbedingt dazu führt, dass man mehr gewürdigt wird oder es mir damit besser geht. Dennoch habe ich mir den Irrglauben bewahrt, dass ich alles erreichen kann, wenn ich nur will. Insbesondere die Dinge, die nur von mir abhängen.
Dennoch, ich habe es geschafft. Ich bin weg aus meiner Herkunftswelt, ich habe mir ein schönes Leben aufgebaut, ich kann Lebensfreude zulassen und empfinden (mehr und mehr ohne schlechtes Gewissen meiner herkunftsfamilie gegenüber) und habe eine wunderbare kleine Familie hier gefunden. Dazu liebe Freunde und eine gute Arbeit. Ich habe mich von allen Rückschlägen nie unterkriegen lassen und bin froh und stolz, dass ich so viel erreicht habe. Auch kann ich die Beschränkungen meines Körpers immer besser annehmen: Ich werde nie eine Topfigur haben, ich kann akzeptieren, dass die Augen schlechter werden, dass meine Kräfte nachgelassen haben und meine Leistungsfähigkeit gesunken ist.
Nun komme ich aber an den Punkt, wo mir meine alten Muster mal wieder im Wege stehen. Eigentlich betrachte ich meinen Körper als Maschine: Wenn ich diese nur ordentlich schmiere und hart genug zu mir bin, dann erreiche ich das, was ich will, in diesem Fall: eine spontane Geburt! Also mache ich seit Monaten alles, was ich für die Maschine als notwendig erachte: Ostheopathische Geburtsvorbereitung, Himbeerblättertee (igitt), Akupunktur (jaul), Heublumendampfbäder und allerlei gymnastische Übungen. Und wenn dann die Wehen losgehen, dann soll mein Körper bitteschön funktionieren. Hat er aber nicht. Also bin ich sauer und enttäuscht und verfluche mich selbst, statt danke zu sagen, dass es dieses Mal schon so früh von alleine anfängt und eigentlich ganz wunderbare hoffnungsvolle Zeichen da sind. Woher diese Wut auf mich selbst? Klar, ich hab nicht genug geleistet. Wut auf meinen Körper, der so undankbar ist und nicht mitspielt. Und am Ende sogar Wut auf dieses wunderbare kleine Mädchen in mir, dass seinen "Job nicht richtig" erledigt und nicht ins Becken rutscht.
Dieses mechanistische Denken führt garantiert nicht dazu, dass eine tolle Geburt bevorsteht. Eigentlich bin ich in gewisser Weise sogar froh, dass es so ist. Ich weiß nicht, ob meine heutigen Erkenntnisse dazu führen, dass sich noch irgendetwas in Hinblick auf die Geburt tut, sich etwas löst oder so. Aber ich will daraus lernen und in Zukunft, die allein mit ihrem Alterungsprozess immer mehr Grenzen aufzeigen wird, gnädiger mit mir umgehen. Denn das Gegenteil ist derzeit bei mir der Fall: Ich bin unbarmherzig und gnadenlos mir gegenüber. Wenn ich nicht richtig funktioniere, in diesem Fall, spontan entbinde, habe ich versagt, bin keine gute Mutter, da mein Kind nicht die optimalsten Voraussetzungen mitbekommt und bin ergo ein schlechter Mensch. So einfach ist die Kette der Abwertung.
Es tut weh, unglaublich weh, zu merken, was für eine große Baustelle da noch immer in mir ist. Es tut weh, dass darunter auch meine Kinder leiden müssen. Es tut weh, dass es so schwer ist, da rauszukommen. Ich bin fast vierzig und schleppe noch immer so viel Ballast mit mir herum. Es tut so weh, zu sehen, dass das, was mich so weit gebracht hat, auch solch hohe Kosten nach sich zieht. Und dennoch, ich habe mir vorhin die Frage gestellt, ob ich mit meiner Mutter tauschen würde. Sie hat zwei total einfache Entbindungen gehabt, ist aber eine zutiefst unglückliche Frau, die es nie geschafft hat, sich aus ihrer Vergangenheit zu lösen und sich selbst zu respektieren. Und nein, ich tausche garantiert nicht. Ich nehme gerne einen Kaiserschnitt in Kauf und werde das Wunder, das dann in meinen Armen liegt, lieben und das Leben achten, das mir dieses Glück zuteil werden lässt. Und ich werde (weiter) an mir arbeiten, damit ich meinen Kindern eine bestmöglich gute Mutter sein kann. Und für die Geburt weiß ich, ich habe alles getan, was mir möglich ist, ich muss mir keine Vorwürfe machen, wenn es zum Kaiserschnitt kommt, ich werde dann sehr traurig sein, aber es wird kein Weltuntergang werden und ich muss mich nicht selbst dafür verachten.
Und jetzt akzeptiere ich, dass ich erst einmal trauern muss, über das, was in mir ist. Und hoffe, dass dies Früchte tragen und mir bei dem helfen wird, was kommt.