Leben uns Sterben
Die Menschen sterben so oder so und verlassen uns in unserer Lebenszeit. Es mag ein leichtes Schmerzmittel sein, zu glauben, dass man sich nach dem Tod irgendwann wieder begegnet, aber die Trauer, die durch das Fehlen im Hier und Jetzt entsteht, wird dadurch nicht gelindert.
Ob Wiedergeburt, Himmel oder einfach endgültiges Ende: Man leidet darunter, dass man für den Rest des Lebens ohne die verstorbene Person wird leben müssen.
Ich antworte dir, weil ich gerade im Psychologie-Forum einem Mädchen (oder einer jungen Frau) geantwortet habe, die einen wichtigen Freund verloren hat und weil mir aufgefallen ist, dass das, was ich dort schrieb, auch eine Antwort an dich sein könnte.
Uns begegnen unzählige Menschen im Leben. Einige davon werden für uns sehr wertvoll. Aber unsere "Seelen" (die Naturalistin in mir möchte lieber "Bewusstseine" schreiben) können sich nie wirklich berühren. Wir hinterlassen aber Eindrücke bei den Menschen, denen wir nahe stehen und diese hinterlassen wiederum Eindrücke in unseren Herzen. Das ist der größte Schatz, den man durch Menschen überhaupt erhalten kann.
Diese Eindrücke stellen all das dar, wie wir diesen Menschen wahrnehmen. Jemand, der nichts von der Untreue seines Partners weiß, wird ihn immer für treu halten. Jemand, der sich nie helfen lässt wird nicht wissen, wie hilfsbereit seine Freunde sind.
Diese Subjektivität ist eine Einschränkung gemessen am Original - es ist aber auch die Stärke dieser geistigen "Phantome", die wir zu jeder Person anstellen. Wir können uns nämlich bewusst machen, dass wir selbst in jedem Moment mit einem geliebten Menschen die Wahl haben, ihn nur als farblosen Schatten seiner selbst wahr zu nehmen, oder ob wir ihn bewusst mit all unseren Sinnen aufsaugen wollen, ob wir den bereits vorhandenen Erinnerungen noch mehr schöne Eindrücke hinzu fügen wollen.
Ich denke, wenn man jemanden so bewusst liebt... dann wird man nach dem Tod der Person auch schneller wieder dankbar für die Begegnungen mit ihr sein.
Und ich weiß eben auch, dass der Gedanke an die Sterblichkeit aller mir lieben Personen nicht nur das hier und jetzt überschattet, sondern auch die Erinnerungen verzerrt. Ich will nach dem Tod einer geliebten Person so viele *schöne* Erinnerungen haben, wie es nur geht! Ich will sie als Schatz begreifen können! Deswegen muss die gemeinsame Gegenwart mehr zählen als der entfernte Tod.
Das ist zumindest meine Einstellung zu Leben und Sterben und ich lebe damit eigentlich ganz gut.
Ich verstehe aber deinen Gedankengang dennoch. Ich habe nur eben eine andere Quelle für Optimismus.
P.s.: Alltag gibt es natürlich dennoch - man kann nicht 24/7 bewusst leben ;)