dickunddoof> Denn es sollte doch darum gehen. den Interessen verschiedener Beteiligter gerecht zu werden. Und nicht darum ärztliche Handlungen aus der Strafbarkeit zu heben.
Weisst Du, je mehr ich mitkriege, was in Krankenhäusern abgeht, und was welchen Ärzt/inn/en in der Hierarchie alles durchgegangen lassen wird, und wie ignorant und wissentlich unsorgfältig etliche in ihrer Arroganz sind, und wie Patient/inn/en in manchen Abteilungen/Praxen verarscht und abgefertigt werden, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass die derzeitigen Handhaben zur Abstrafe nicht abschreckend genug sind.
Mir geht es nicht darum, ärztliche Handlungen aus der Strafbarkeit zu erheben, denn durch die Rechtfertigungslösung sind sie das ja weitgehend.
Mir geht es inzwischen ums Gegenteil: Ich will, dass Leute, die keine Ethik im Leib haben, und in der Fließband- und Apparatemedizin hauptsächlich eine juristisch gestützte und betriebswirtschaftlich durchgefeilte Geldabrechnungsmaschinerie sehen, abgestraft werden und sich nicht in allem auf die Standard-Rechtfertigung berufen können. Und dazu brauchts im Strafrecht Tatbestände, die nicht durch die Rechtfertigungslösung aushebelbar sind.
Das muss sein damit Ärztinnen/Ärzte im Umgang mit Patient/inn/en menschlich und sorgfältig sein können ohne gleich unter Druck zu geraten.
Das fängt beim Klinikmanagement an, das zB Ärzt/inn/en Arbeitszeiten und -bedingungen auferlegt, die geradezu danach schreien, dass die Leute aufgrund von Überlastung fehleranfällig sind und mit dem einzelnen Patienten möglichst schnell fertig werden wollen. Das hört bei den Ärzt/inn/en selbst auf, die oft Patient/inn/en einfach schnell vom Hals haben wollen.
Ich kann es nicht ab, dumm angemacht zu werden, weil ich bei der Anamnese sorgfältig sein will und das mit dem Argument mißbilligt wird, dass es unnötig Zeit braucht und deshalb unwirtschaftlich ist. Zumal es wirtschaftlich ist, durch Sorgfalt Phasen, in denen Behandlungen erfolgen, zu verkürzen.
ZB vorvorletzte Woche gabs wieder einen himmelschreienden Fall, bei dem ich dabei war: Da hat einer sechs Monate lang ohne Unterbrechung an Nacken- und Kopfschmerzen und Schwindel und Tinnitus und "seltsamem Druck im Nacken und in den Ohren" gelitten. Bei drei von vier Kopfbewegungen hat es "im Genick geknackt". Beim Husten und Niesen tat es ihm mehr weh, wie meine vorwitzige Nachfrage ergab.
Diagnostiziert wurde vom Neurologen, der danach Feierabend hatte, vor einem halben Jahr in der Notaufnahme ein anfallsweise auftretender gutartiger Lagerungsschwindel im hinteren Bogengang des rechten Innenohrs. Dem Mann wurde ein schlechtes Gewissen gemacht, weil das ja eigentlich eine Sache für einen Ohrenarzt und nicht für einen Neurologen sei. Was für ein Arzt ihm geschickt wurde, hatte aber nicht der Mann entschieden, sondern die Notaufnahme selbst. In die Notaufnahme geschickt hat ihn damals der Hausarzt.
Einen Innenohrschwindel hatte der Mann wohl auch. Da macht man zuhause ein paar Tage/Wochen lang regelmäßig ein paar Lagerungsmanöver, die einem beigebracht werden, aber nach ca einem Vierteljahr ist das auch von alleine wieder weg.
Jetzt hatte der Mann aber schon ein halbes Jahr lang Probleme. Außerdem war nicht geklärt, wo Kopf- und Nackenschmerzen und Tinnitus und Druckprobleme etc herkamen.
Da war er dann also nach sechs Monaten Martyrium und Folter total gerädert am Samstagabend wieder in der Notaufnahme, weil er die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte.
Und dem Neurologen-Assistenzarzt, den sie nach fünf Stunden dazugeholt haben, und dem ich zuschauen sollte, fiel, nachdem er die Arztbriefe von damals durchgeschaut und mit der Frentzel-Brille gespielt und den Mann nach Smartphone-Lehrbuch-App herumstampfen lassen hat etc, nichts besseres ein als der Spruch "Ich würde Sie liebend gerne in die Psychiatrie einweisen".
Ich hab den Mann dann einfach gefragt, was vor einem halben Jahr alles passiert ist, und er hat mir geschildert, wie er vor einem halben Jahr innerhalb von zwei Wochen bei zwei Gelegenheiten hingefallen ist - erst beim Tragen eines Sprudelkastens auf der Treppe ausgerutscht und dabei voll mit dem Hinterkopf gegen die Kante einer steinernen Treppenstufe geknallt. Später, weil ihm dauernd schwindlig war, nach hinten umgekippt und dabei mit dem Hinterkopf in die Ecke eines Marmor-Fenstersimsen gekracht. Im ersten Vierteljahr hatte er neben den bereits beschriebenen Problemen Phasen, in denen er Schall und Licht nicht ertragen konnte. Er hatte einen richtigen Erzähldrang und hat sich bei mir den Frust darüber von der Seele geredet, dass man ihn in der allgemeinen Corona-Panik in der Notaufnahme und in der Hausarztpraxis immer wieder einfach ganz schnell loswerden wollte und ihm ein schlechtes Gewissen gemacht hat, weil er überhaupt gekommen ist.
Danach war für mich der Fall klar: Der Mann hatte sich den Kopf mindestens zweimal gestossen. Mindestens einmal so heftig, dass er vermutlich eine Gehirnerschütterung und evtl auch ein postkommotionelles Syndrom hatte (-> Schall- und Lichtempfindlichkeit, Kopfschmerz, Schwindel), und dazu ein Halswirbelsäulensyndrom/Zervikalsyndrom (vermutlich pseudoradikulär, denn in den Armen hatte er keine Probleme), mit Kopfschmerzen verursachender Okzipitalneuralgie, und dass ausserdem bei dem ganzen Kopf-Gebumse ein paar der Otolithen in seinem Innenohr vom Utriculus und Sacculus heruntergeplumpst waren und sich im hinteren Bogengang verklumpt und den Innenohrschwindel verursacht hatten.
(Falls er tatsächlich Gehirnerschütterung hatte, kann er froh sein, dass der zweite Kopfstoß nicht zu einem Second-Impact-Syndrom geführt hat.)
Gehirnerschütterung/postkommotionelles Syndrom und Innenohrschwindel hatten sich nach dem ersten Vierteljahr "lehrbuchmäßig" auch von allein erledigt. Die Sachen, die vom HWS-Syndrom/Zervikalsyndrom kommen, aber halt nicht.
Kann jeder alles auch im Harrison nachlesen, sofern er Englisch und sinnentnehmend lesen und Zusamnmenhänge auch über mehr als drei Sätze hinweg herstellen kann. Sollte ein studierter Mensch können.
Der Mann wurde aber in der ganzen Zeit nie orthopädisch untersucht. Also hab ich halt ausserhalb des Untersuchungszimmers unter vier Augen meinen Studentenschnabel aufgemacht und dem besagten Assistenzarzt (Neurologe!) meine Lageeinschätzung mitgeteilt.
Das hat ihm nicht gepasst. Aus folgendem Grund: Erstens weil ich nur Student bin. Zweitens: Für die Halswirbelsäulen-Diagnostik, die nicht in sein Ressort fällt, wie er betont hat, brauchts seiner Meinung nach eine MRT, und die Geräte im Krankenhaus sind ausgelastet.
Ich hab ihm dann gesagt, wie es denn wäre, die Oberärztin zu fragen, ob man den Mann nicht erst zum Orthopäden statt gleich in die Klapse schicken könne.
Fazit des Orthopäden, ganz ohne MRT, aber mit Röntgen und Abtasten und diversen Reflex-, Zug-, Dehnungs-, Drehungs- und Drucktests:
Immer noch kleine Fissur im Hinterhauptsbein, Nervenwurzelkompression bei C6 und C8, verursacht durch chronische Verspannungen der Nackenmuskulatur. Also wohl tatsächlich ein bisher ignoriertes Zervikalsyndrom, verursacht auch durch muskuläre Funktionsstörung/reaktive muskuläre Verspannungen. (Die Kopfstöße bestärken die Vermutung, dass die Verspannungen eher nicht durch die Psyche ausgelöst wurden, wobei die Psyche nach sechs Monaten Ignoranz, in denen keiner richtig schaut was los ist, irgendwann auch eine Rolle spielen kann.)
Hätte man mit etwas Sorgfalt auch schon vor einem halben Jahr vermuten und dann feststellen und so dem Mann ein paar Monate Hölle ersparen/erleichtern können.
Das war jetzt mal nur eine Sache, die ich in der Richtung miterlebt habe.
Dass Sachen, die zum abzucheckenden kleinen Einmaleins gehören, und für die es wirklich keine Top-Notch-High-End-Spezialisten braucht, während eines geschlagenen halben Jahres nicht bemerkt und trotzdem fröhlich Arztrechnungen geschrieben werden, während die Leute monatelang vor sich hin leiden, gehört meiner Meinung nach irgendwann abgestraft.