eisbrecher

Und genau hier liegst du eben falsch. Der Zwang ist da. Durch massiven psychischen Druck, durch Entzug der verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte, durch Berufsverbot und durch finanzielle einbußen, die sich nicht jeder leisten kann (z.B. Lohnausfall während erzwungener Quarantäne, insbesondere bei geringem Verdienst und wenn man eine Familie zu ernähren hat).


Um es noch etwas deutlicher zu machen: Nach deiner Argumentation wäre es auch keine Körperverletzung, wenn ich dir eine Waffe an die Schläfe halte und dich damit zur Zustimmung zu einer Nierenspende "überzeuge".


Meinetwegen kannst du den Tatbestand auch Nötigung zur Zustimmung zu einer Körperverletzung nennen. Es läuft letztendlich aufs selbe hinaus.

    eisbrecher

    Ich schrieb, dass jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt.
    Die Rechtswidrigkeit aber deshalb zu verneinen ist - und damit keine strafbare Körperverletzung vorliegt-, weil die Einwilligung, das was du als Zustimmung bezeichnest, als Rechtsfertigungsgrund eingreift.


    Bei deinem Notfallbeispiel ist es das Gleiche.
    Nur dass die Rechtfertigung des Eingriffs da nicht durch erklärte sondern mutmaßliche Einwilligung des Patienten erfolgt.

      bblubb456

      Entzug verfassungsrechtlich garantierter Freiheitsrechte?
      Berufsverbot?
      Welche Rechte werden entzogen?
      Welcher Beruf wird verboten?


      Was du "übersiehst": auch Grundrechte gelten nicht schrankenlos, nicht ohne jede Grenzen! Du tust aber so, und zwar nicht zum ersten Mal, als wäre genau das der Fall.


      Du hast hier vor einigen Wochen geschrieben:
      "Man muss in die Körperverletzung einwilligen, um Grundrechte wie "alle sind gleich vor dem Gesetz" wahrnehmen zu können"
      Auf meinen Vorhalt, dass Gleichheit ja eben nur vor dem Gesetz gilt, das Gesetz unterschiedliche Sachverhalte aber durchaus unterschiedlich behandeln darf, kam von dir leider nichts mehr.


      Und jetzt kommt da schon wieder, dass Grundrechte ("verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrechte") entzogen würden.
      Da du das Grundgesetz im Internet leider nicht gefunden zu haben scheinst, um mal einen Blick in selbiges zu werfen, helfe ich gerne ein wenig:


      Art. 2 GG
      (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
      (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.


      Art. 12
      (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.


      Wie eindeutig zu lesen - die betreffenden Rechte können eingeschränkt werden!

      dickunddoof

      Danke für deine ausführliche Antwort! Ja, ich bin wirklich kein Verschwörungsideologe!
      Und auch in der Schweiz stelle ich diese Extreme immer mehr fest, vor allem seit Corona!


      Dein letzter Abschnitt hilft mir auch weiter! Z.B. impfpflicht/ Impfzwang!

      bblubb456

      ... verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte


      | Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Artikel 2:
      | (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
      | soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die
      | verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
      | (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
      | Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur
      | auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.


      Vieles ist eine Frage der Lesart.


      Ich habe den Eindruck, nur wenigen Leuten will auffallen, wie vielschneidig unser Grundgesetz ist und welche Eingriffe es wem ermöglicht.


      Du nennst es "garantieren" - ich sehe es anders:


      Das Grundhesetz institutionalisiert in Arikel 2 die Rechtsgüter Freiheit, Leben und körperliche Unversehrtheit als etwas, in das eingegriffen werden darf. Um ein Monopol beim Eingreifen zu sichern werden die zum Eingriff berechtigten Organe (Gesetzgeber) implizit und die zu verwendenden Rechtsinstrumente ("nur aufgrund eines Gesetzes") explizit benannt. Außerdem werden die entsprechenden Rechte im Zuge ihrer Institutionalisierung eingeschränkt, zB mittels Phrasen wie: "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."


      Es geht in der Verfassung nicht ausschliesslich darum, Rechtsgüter der Staatsbürger zu schützen, sondern oft eher darum, Rechte einzuschränken und ein gewisses Monopol beim Eingreifen in Rechtsgüter zu schützen und dem Inhaber des Eingriffsmonopols sowohl eine Legitimierung als auch eine Anleitung für die Wahrung der Legitimität beim Eingreifen an die Hand zu geben.




      Zum Beispiel im (seit 2001 mit der Einführung des Infektionsschutz-Gesetzes ausser Kraft gesetzten) Bundes-Seuchenschutzgesetz in der Fassung vom 18. Dezember 1979 gab es einen §14, der es dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit erlaubte, unter bestimmten Voraussetzungen Schutzimpfungen einfach anzuordnen. In §15 wurde ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit insoweit eingeschränkt sei - Quelle: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl179s2262.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl179s2262.pdf%27%5D__1632129736060





      Im derzeit gültigen Infektionsschutz-Gesetz findest du ähnliches:


      Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/IfSG.pdf


      §20
      [...]
      (6) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilnehmen können, können durch Rechtsverordnung nach Satz 1 nicht zu einer Teilnahme an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe verpflichtet werden. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.


      (7) Solange das Bundesministerium für Gesundheit von der Ermächtigung nach Absatz 6 keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die obersten Landesgesundheitsbehörden übertragen.


      schnuckweidev

      Naja, aber dann ist es auch eine Körperverletzung, wenn ich meinem Kind Blut abnehme, es gegen FSME/Tetanus etc impfen lasse.
      Und das Argument mit der Nähnadel kann man meiner Meinung nach nicht vergleichen, da es bei einer Impfung um den Schutz vor einer Krankheit geht. Meine Kinder sind komplett durchgeimpft, nicht, weil ich ihnen schaden möchte, oder sadistisch veranlagt bin und es gerne sehe, wenn sie Angst vor einer Impfung zeigen, nein, einfach weil ich keine Lust habe dass eines meiner Kinder Keuchhusten, Masern, oder an FSME erkrankt. Lieber ein kurzer Stupfer, als eine Gehirnhautentzündung.

        juliax13

        StGB §223 Körperverletzung:


        (1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
        (2) Der Versuch ist strafbar.


        (Es gibt noch mehr Paragraphen, durch die Körperverletzungen unter anderem weiter in Unter-Rubriken eingeteilt werden, zB in "Gefährliche Körperverletzung" und "Schwere Körperverletzung". )


        Der objektive Tatbestand, der bei jeder erfolgreichen Körperverletzung, egal welcher Unterrubrik, gegeben sein muss, ist die körperliche Mißhandlung einer anderen Person und/oder die Schädigung der Gesundheit einer anderen Person.


        Für Strafbarkeit ist Erfolg nicht erforderlich, es reicht der Versuch.
        "Versuch" impliziert, dass ein auf den Erfolg des Versuchs/der Straftat gerichteter Wille da sein muss.


        Bei der Mißhandlung spielt übrigens keine Rolle, ob sie körperlich wehtut oder die Gesundheit schädigt oder nicht.
        Wenn man jemandem den Haarzopf abschneidet, um ihn zu demütigen, ist das eine am Körper vorgenommene Handlung und darüber hinaus wegen der angedachten Demütigung auch eine Mißhandlung und somit insgesamt eine körperliche Mißhandlung, und somit Körperverletzung, obwohl das nicht körperlich wehtut und auch nicht unbedingt die Gesundheit schädigt.


        Lustigerweise hat der Paragraph die Überschrift "Körperverletzung", aber in (1) ist nur von "Gesundheit" die Rede, was die Sache nicht auf die körperliche Gesundheit beschränkt und somit Schädigung der mentalen/geistigen/seelischen Gesundheit, zB durch gezielten Psychoterror, nicht ausschliesst.



        Bei Blutabnahnme/Impfung etc handelt es sich um Eingriffe in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit.
        Aber diese Eingriffe dienen weder dem Zweck der körperlichen Mißhandlung noch dem Zweck der Schädigung der Gesundheit und sie sind auch nicht durch einen auf das Herbeiführen solcher Tatbestände gerichteten Willen motiviert.


        Damit fallen diese Eingriffe nicht in die Rubrik "Körperverletzung".


        Bei einer Körperverletzung spielt auch der auf Körperverletzung, d.h., auf Mißhandlung und/oder Schädigung der Gesundheit einer anderen Person, zielgerichtete Wille des Täters eine Rolle.


        Angenommen, es passiert ein Unfall, den wirklich keiner wollte, und bei dem weder Leichtfertigkeit noch Fahrlässigkeit oder derartiges eine Rolle spielt, bei dem aber eine vom Unfallverursacher verschiedenen Person an ihrer Gesundheit geschädigt wird. Der Unfallverursacher wird nicht wegen Körperverletzung belangt werden, da kein auf Körperverletzung gerichteter Wille vorlag. Als Schadensverursacher wird er zivilrechtlich haften. (Soviel zur Theorie. In der Praxis sieht es anders aus, denn Richter/innen sind nicht verpflichtet, von Wittgensteins Wahrheitsbegriff auszugehen, sondern sind in der Beweiswürdigung frei -- d.h., sie haben in der Frage, wem sie was glauben wollen, bzw, was sie überhaupt glauben wollen, viel Spielraum, was mitunter dazu führt, dass sie sich eine Wahrheit machen, die nicht den Tatsachen entspricht, und nach dieser Wahrheit urteilen.)


        Bei einem Staatsorgan, welches Impfpflicht erlässt, oder bei medizinischem Personal, welches Impfungen durchführt, kann man durchaus von einem Willen zum Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit bei anderen Personen ausgehen.


        Es dürfte aber schwer werden, einem Staatsorgan, welches Impfpflicht erlässt, oder medizinischem Personal, welches Impfungen durchführt, einen Willen nachzuweisen, der auf körperliche Mißhandlung und/oder Schädigung der Gesundheit der Impflinge gerichtet ist.
        Das dürfte auch dann schwer werden, wenn es laut Erlass beim Impfling nicht auf Einverständnis ankommt, wie es zB jahrzehntelang bei Grundwehrdienst leistenden Soldaten der Fall war, die, ob sie wollten oder nicht, einberufen wurden und sich zu Tausenden gegen alles mögliche impfen lassen mussten, auch ob sie wollten oder nicht, oder bei kleinen Kindern, auf deren Einverständnis es nicht ankommt, sondern die geimpft werden, weil die Eltern das wollen.

          kyano_25663839

          Schau mal unter Rechtfertigungslösung.
          Ständige Rechtsprechung des BGH, in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichtshofes.

            dickunddoof

            Das Stichwort "Rechtfertigungslösung" ist mir bekannnt und zB unter


            https://strafrecht-online.org/problemfelder/bt/223/obj-tb/heileingriff/


            recht kurz zusammengefasst nachlesbar.


            Das ist aber zB nicht unbedingt auf Staatsorgane anwendbar, die
            auf Grundlage eines Gesetzes, etwa des Infektionsschutzgesetzes,
            für Teile der Bevölkerung Impfungen anordnen.


            Was Ärztinnen und Ärzte angeht, fehlen mir im von mir gegebenen Link
            zB Stichworte wie "Rechtsgüterabwägung bei Patienten, die nicht
            einwilligungsfähig, zB bewusstlos sind".
            ZB ist der Schutz des Rechtsgutes "Leben" wichtiger als der Schutz
            des Rechtsgutes "körperliche Unversehrtheit", und wenn eine Ärztin/
            ein Arzt einen Ohnmächtigen, den sie/er nicht nach seinem Einverständnis
            fragen kann, notoperieren und dabei aufschneiden und ihm also Wunden
            beibringen muss, um sein Leben zu retten, dann ist das gerechtfertigt.


            Ich halte die im von mir angegebenen Link dargestellte Ansicht 1
            (Rechtfertigungslösung/Strafbarkeit unter Berufung auf StGB §§ 223 ff.
            fällt aufgrund von Rechtfertigungsgründen weg) nicht für falsch.


            Ich denke, dass aber noch weitere Aspekte dazukommen, die ebenfalls
            geeignet sind, zu begründen, warum Strafbarkeit unter Berufung auf
            StGB §§ 223 ff. nicht in Betracht kommt:


            Ein Heileingriff oder ein Eingriff zwecks Prävention, zB Impfung,
            ist ein Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit.


            Damit bei einem Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit
            nach StGB §223 (Körperverletzung) Strafbarkeit in Betracht kommt, muss ein
            Wille vorliegen, der darauf gerichtet ist, eine andere Person körperlich zu
            mißhandeln oder bei einer anderen Person die Gesundheit zu schädigen.


            Dass ein solcher Wille vorliegen muss ergibt sich konkludent aus
            dem Umstand, dass bereits der Versuch strafbar ist, denn ein solcher
            Wille ist notwendige Voraussetzung dafür, eine Handlung überhaupt
            als Versuch, derartiges zu erreichen, werten zu können.


            Bei einer Ärztin/einem Arzt, die/der bei einer Patientin/einem Patienten
            (in der Regel mit Einverständnis oder unter Bedingungen, unter denen
            Einverständnis vorausgesetzt werden darf) im Rahmen eines ärztlichen
            Heileingriffes in das Rechtsgut der körperlichen Unnversehrtheit eingreift,
            kann man nicht ohne weiteres von einem auf Mißhandlung und/oder
            Schädigung an der Gesundheit gerichteten Willen ausgehen.

              kyano_25663839

              Ärzte als allmächtige Götter in Weiß?
              Die tun dürfen, was sie wollen, solange aus objektiver Sicht ein helfen, heilen, Leben retten erkennbar ist?
              Wo bleibt da der Patient?
              Dessen Rechte, insbesondere dessen Selbstbestimmungsrecht?
              Wenn man im wesentlichen auf den Willen des handelnden Arztes abstellt, kommt man überhaupt nicht mehr bis zu dem Punkt, an dem ein "Mitspracherecht", eine Einwilligung oder eben auch die Nicht-Einwilligung des Patienten zu erörtern wäre.
              Halte ich für sehr problematisch.


              Damit wäre dann tatsächlich sogar ein Impfzwang nicht mehr strafrechtlich angreifbar.

                kyano_25663839

                Also, bei allem Respekt, aber diese Paragraphen lese ich mir gar nicht durch, weils mich gar nicht interessiert.
                Mir gehts eher um die subjektive Ansicht von Schnucke/Anderen. Der Vergleich mit der Stricknadel hingt gewaltig, da man -bis auf eine Verletzung- nichts davon hat. Eine Schutzimpfung hingegen hat sehr wohl einen Sinn.


                Und genau deshalb wollte ich diesbezüglich ihren Standpunkt wissen, da der Großteil der Eltern ihre Kinder ja impft. Wie das gesetzlich geregelt ist, ist mir ziemlich gleich. Aber danke, dass du so einen langen Text geschrieben hast. VL postest du in 2 Sätzen, was da inhaltlich drinsteht, ist mir nämlich zu lange. Ich weiß, du schreibst gerne so lange ausführliche Texte, aber ich persönlich lese kaum so lange Posts.

                dickunddoof

                > Ärzte als allmächtige Götter in Weiß?
                > Die tun dürfen, was sie wollen, solange aus objektiver Sicht ein helfen, heilen, Leben retten erkennbar ist?


                Ich denke, unsere Ansichten darüber, wie die Dinge sein sollten, sind vielleicht gar nicht in allem so unterschiedlich.
                Nur unterscheiden sich unsere Auffassungen davon, wie die Dinge zur Zeit sind.


                Es werden in Deutschland recht wenige Ärztinnen/Ärzte strafrechtlich verurteilt. Ob es daran liegt, dass alle so furchtbar brav und sorgfältig und gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Patient/inn/en respektvoll und beim Abrechnen ehrlich sind, oder daran, dass sie tatsächlich sehr vieles dürfen bzw ihnen tatsächlich mangels Schärfe der Rechtslage sehr vieles durchgegangen lassen wird, lasse ich mal dahingestellt. :mrgreen:


                Scherz beiseite. Ich habe den Eindruck, wir beide sehen die selbe Problematik.


                Darüber hinaus bin ich vermutlich pessimistischer als Du, denn ich bin der Ansicht, dass diese Problematik in unserem Strafgesetzbuch nicht wirklich hinreichend geregelt ist.


                Meiner Auffassung nach besteht beim strafrechtlichen Regeln des Schutzes von Patient/inn/en vor von Ärztinnen/Ärzten eigenmächtig durchgeführten Behandlungen und damit beim Schutz des Rechts von Patient/inn/en auf Selbstbestimmung tatsächlich ein erheblicher Verbesserungsbedarf.


                Mit dieser Auffassung stehe ich übrigens nicht alleine da.


                Siehe zB


                Saarbrücker Bibliothek:
                Egon Müller:
                Von der Körperverletzung zur eigenmächtigen Heilbehandlung

                • Ein Beitrag zur strafrechtlichen Arzthaftung -
                  Erstveröffentlichung: Deutsche Richter Zeitung (DRiZ), 1998, S. 155 - 160

                URL: http://http://archiv.jura.uni-saarland.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=279#v


                , insbesondere den dort erwähnten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG). In diesem Entwurf wurde angestrebt, "Eigenmächtige Heilbehandlung" und "Fehlerhafte Heilbehandlung" zu eigenständigen Straftatbeständen zu machen.


                Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob da deshalb auch in hochkarätigsten Juristenkreisen immer wieder Bedarf gesehen wurde/wird, weil jede/r der Ansicht ist, dass die bereits hinsichtlich Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit bestehenden StGB-Paragraphen immer ausreichen um schwarzen Schafen unter der Ärzteschaft/Heilbehandlerschaft beizukommen?


                (Mir gefällt an diesen vorgeschlagenen Paragraphen übrigens nicht, dass sie sich nur auf eigenmächtige/fehlerhafte _Heil_behandlungen beziehen und nicht zB auch auf eigenmächtige/fehlerhafte Behandlungen zur Prävention, zB Impfungen, zB vorsorgliche Appendektomie vor längeren Aufenthalten in Gebieten mit schlechter Infrastruktur im Gesundheitswesen, oder auf Eingriffe aus religiösen oder ästhetischen Gründen...)



                Mit dem Begriff "objektive Sicht" habe ich Probleme:


                Jede Sicht ist an den Wahrnehmungs- und Bewusstmachungsapparat eines wahrnehmenden Subjekts mit Bewusstsein gebunden und damit subjektiv.
                Auch bei Ärztinnen und Ärzten ist das so.
                Ich hoffe wirklich inständig, dass ich, wenn mein Studium abgeschlossen ist und ich Patientinnen/Patienten behandle, nie vergesse, dass ich die Dinge durch meine eigene Brille wahrnehme, und nicht zu einem dieser verbohrten voreingenommenen Typen werde, die nicht richtig zuhören wenn eine Patientin oder ein Patient oder eine Kollegin oder ein Kollege mir eine andere Wahrnehmung/Interpretation der Dinge näherbringen möchte.

                  kyano_25663839

                  "Ich hoffe wirklich inständig, dass ich, wenn mein Studium abgeschlossen ist und ich Patientinnen/Patienten behandle, nie vergesse, dass ich die Dinge durch meine eigene Brille wahrnehme, und nicht zu einem dieser verbohrten voreingenommenen Typen werde, die nicht richtig zuhören wenn eine Patientin oder ein Patient oder eine Kollegin oder ein Kollege mir eine andere Wahrnehmung/Interpretation der Dinge näherbringen möchte."


                  Zumindest müssen sich deine zukünftigen Patienten keine Sorgen machen, dass du sie zu wenig aufklärst. :mrgreen:

                    juliax13

                    Vielleicht werde ich mit der Zeit zu einem der Typen, die resignieren und denen es egal ist, ob die Patient/inn/en selbst vernünftige Entscheidungen treffen können, weil die Leute, sobald es über zwei kurze Sätze hinausgeht, eh nicht mehr zuhören wollen/wissen wollen, was Sache ist.


                    Das Verhalten mancher Diskussionsteilnehmerinnen hier ist dafür symptomatisch -- zB "Körperverletzung" ist nun mal auch ein juristischer Fachbegriff. Und die meisten Leute verwenden diesen Begriff hauptsächlich dann, wenn sie über Rechtslagen befinden wollen -- egal ob vor Gericht oder am Biertisch.


                    Ich erlebe es jedenfalls eher selten, dass jemand diesen Begriff im Alltag in anderen Situationen verwendet, so à la "Frau Doktor, nachdem die Sprudelflasche in meiner Hand zersplittert ist, liegt nun eine meine Finger betreffende Körperverletzung vor. Bitte seien Sie mir bei der Problematik behilflich."


                    Bevor man einfach nur unter labert, sollte man wissen, wie Begriffe, die auch am Stammtisch eher fachgebietsspezifisch gebraucht werden, im betreffenden Fachgebiet verwendet werden.


                    Ansonsten kann es einem ganz schnell passieren, dass die eigene Ansicht, die man im Drang nach emotionaler Selbstverwirklichung von sich geben möchte, nicht so aufgefasst/verstanden wird, wie man das gerne hätte, und dass Leute, die die kleinen aber feinen Unterschiede im Sprachgebrauch drauf haben, dies bewusst ausnutzen, um einem die Worte zu verdrehen und/oder Dinge in einer Weise zu suggerieren, bei der sie sich fröhlich in allen Richtungen hin- und herwinden können.


                    Einer der Gründe, warum in unserem Rechtssystem massenhaft Leute, die moralisch und juristisch im Recht sind, Prozesse verlieren, ist tatsächlich, dass sie sich nicht rechtzeitig darum kümmern, wie Juristen sich ausdrücken und Sachverhalte aufdröseln, und sich wundern wenn ihre eigenen Verlautbarungen, die sie, um gebildet zu wirken, mit Worten versehen, die in der Juristerei auch fachsprachlich verwendet werden, ganz anders zerpflückt werden als sie erwartet haben.


                    Bitter finde ich es auch, wenn Richter/innen sich während der Verhandlung aus dem Fenster lehnen, um jemandem, den sie als armen Tropf mit schlechtem Anwalt empfinden, durch die Blume mitzuteilen, wie die Sache besser angegangen werden könnte als es der Anwalt gerade tut, und dies vom Betreffenden nicht im Ansatz verstanden wird, und der Betreffende hinterher auch noch sauer ist über das vom Richter gesprchene Urteil, obwohl der Richter aufgrund der ungeschickten Art, wie die Sache angegangen wurde, gar nicht anders konnte. Es kommt zB häufig vor, dass Leute gar nicht begreifen, dass die Aspekte, über die gemäß der Klageschrift der Richter urteilen soll, völlig an dem vorbeilaufen, was sie eigentlich beurteilt haben wollen, und dass der Richter eben nur das beurteilen darf, was in der Klageschrift beklagt wird.


                    Wenn zB jemand etwas stiehlt und statt wegen Diebstahl wegen Raub angeklagt wird, kann der Richter ihn nicht verurteilen, weil die Anklage auf einen nicht erfüllten Tatbestand abzielt. Damit der Richter verurteilen kann müsste eine Anklage auf Diebstahl vorliegen. Diese zu erstellen ist mit gutem Grund nicht Job des Richters. Das war jetzt ein sehr offensichtliches Beispiel. In vielen Rechtsgebieten geht es wirklich um Subtilitäten, die zu kennen zum Job des die Klageschrift verfassenden oder die Verteidigung regelnden Anwalts gehört.

                      kyano_25663839

                      Oh, ein angehender Mediziner? Das erklärt, warum du die Tatbestandslösung präferierst.
                      Ich meine eigentlich nicht, dass es weiterer Tatbestände bedarf. Sondern finde, dass die Rechtfertigungslösung hinreichende Möglichkeiten bietet, die verschiedensten Sachverhalte zufriedenstellend zu lösen.


                      Denn es sollte doch darum gehen. den Interessen verschiedener Beteiligter gerecht zu werden. Und nicht darum ärztliche Handlungen aus der Strafbarkeit zu heben.
                      Ich finde insofern das Beispiel von Schnucke sehr treffend - jemand sticht einem anderen eine Nadel in den Körper


                      Das kann der Irre sein, der tatsächlich verletzen will
                      Oder der Irre, der das aus Spaß am Erschrecken macht und keinen Verletzungswillen hat.
                      Was machen wir mit dem Stechen von Ohrlöchern oder dem Schießen von Ohrtunneln?
                      Mit Leuten, die beim Sex auch mal eine härtere Spielart mögen, auf Schmerzen als Lustgewinn stehen und sich vom Sexualpartner mit Hilfsmittelchen pieksen und stechen lassen?
                      Dann hast du den lege artis handelnden Arzt, der mit Einwilligung behandelt.
                      Den lege artis handelnden Azrt, dem keine Einwilligung zur Seite steht.
                      Was ist, wenn nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behnadelt wird?
                      In dem Beitrag, den du weiter oben verlinkt hast, wollen welche sogar noch danach unterscheiden, ob der ärztliche Eingriff erfolgreich war oder nicht.


                      Na herzlichen Glückwunsch aber auch.
                      Wenn ich will, dass die Leute sich kräftig veralbert fühlen, politik-, staats- und geseztesmüde werden, sich im besten Fall genervt abwenden und sagen, es interessiere sie nicht und im schlimmsten Fall regelrecht Wut und Hass auf das System entwickeln, dann - behandle ich am besten tatsächlichen jeden dieser Fälle anders. Wechsle das Schema, die Dinge, die ich prüfe, würge das Ganze mal im Tatbestand, dann wieder erst in der Rechtswidrigkeit ab - bis jede Systematik und Logik dahin ist.


                      Nee, ist nicht meins.
                      Bürger sollen sich doch vom Staat, auch am Biertisch, ernstgenommen fühlen. Mitreden können, und zwar ohne erst noch ein komplettes Studium der Juristerei, Medizin, Politik, what ever absolvieren zu müssen.
                      Und von daher sollte der Staat auf Verständlichkeit achten und um diese bemüht sein.
                      Ich hänge nicht per se der BGH Rechtsprechung an. Aber hier stimme ich ihr vollumfänglich zu. Weil ich sie logisch, stringent finde, für "alle" Fallkonstellationen passend


                      Wer in den Körper eines anderen sticht, erfüllt erst einmal den Tatbestand einer Körperverletzung. Egal wer es ist, in welcher Situation, aus welchem Motiv heraus.
                      Und dann fragt man nach dem Willen des "Verletzten" - und macht daran eine mögliche Strafbarkeit fest.


                      Das versteht jeder Laie.

                        kyano_25663839

                        Ich bin ehrlich beeindruckt, wie hingebungsvoll du Texte verfasst. Das fällt mir bei vielen Themen auf. (Und nein, das meine ich nicht ironisch)


                        "Vielleicht werde ich mit der Zeit zu einem der Typen, die resignieren und denen es egal ist, ob die Patient/inn/en selbst vernünftige Entscheidungen treffen können, weil die Leute, sobald es über zwei kurze Sätze hinausgeht, eh nicht mehr zuhören wollen/wissen wollen, was Sache ist."


                        Ist das eine Anspielung auf mich?:mrgreen: Ja, wenn mich ein Thema interessiert, kann ich schon zuhören, wenn mich was nicht interessiert, dann eben nicht. Ich habe mir diesen Text ebenfalls nicht durchgelesen. Prägnante Texte kann mein Hirn besser aufnehmen, als so lange Schreibereien. :lol:


                        Ich meins übrigens nicht böse, ich finds gut, dass du deinen Job ausgewählt hast um Menschen zu helfen und ihnen bis ins kleinste Detail alles erklären möchtest. (Machen viele Ärzte eh nicht) Das wird auch -sofern ich das beurteilen kann- sicher klappen, nachdem was ich hier von dir bereits gelesen habe. Und wenns um die eigene Gesundheit geht, hört man doch eher zu, als bei diesem juristischen Kram, der mich jetzt mal überhaupt nicht interessiert, da ich nicht betroffen bin.


                        Also, sei mir nicht böse, ich habs bis zu zweiten Absatz gelesen, den Rest nicht. Aber ich bin mir sicher, dass du ein guter Arzt wirst. :super:

                          juliax13

                          Ich machte eher die Erfahrung dass Ärzte sehr viel reden! Bei meinen war eher das Manko, dass sie nicht zuhören konnten und nicht nachgefragt haben!

                          eisbrecher

                          Eine Verletzung ist eine Verletzung, auch ohne bleibenden Schaden, auch wenn natürlich der Streitwert anders liegt.


                          Genau deswegen muss man vor einer OP ja auch nen Stapel Blätter unterschreiben, weil ne ganze Menge schief gehen KANN und nicht nur wegen wegen der Narbe, nur weil man dauerhaft was von der hat, so oder so.


                          Wenn schon das Verabreichen von Säuglingsersatznahrung oder die Verwendung eines Schnullers ohne ausdrückliche Erlaubnis der Eltern, ebenso wie das unerlaubte Abschneiden von Haaren als Körperverletzung gelten, ist vielleicht dein subjektives Empfinden etwas neben der Realität.


                          Auch wenn das jetzt kleinlich wirkt, aber der reine Versuch einer Körperverletzung ist slebstverständlich versuchte Körperverletzung.


                          Und auch wenn alle meinen es sei irgendwie "normal", dass man nach nem Schuß AZ ne Woche mit Grippe im Bett liegt, zeigt ja schon das, dass der Körper verletzt wurde. Vorher gesund, hinterher krank. Gemerkt?


                          Ich hab mich darüber mit einer Pflegefachtkraft ausgetauscht. Diese hat in der Ausbildung auch gelernt, dass es sich bei jeder Spritze um Körperverletzung handelt. Bloß weil dein Gegenüber das will und dich nicht anzeigt, kommst du quasi straffrei davon.


                          Darüber hinaus wäre natürlich noch zu fragen, wie eine Impfung überhaupt was taugen kann, wenn du sie quasi unter dem Begriff "Stich ohne Folgen" zusammenfasst.
                          NAtürlich passiert was, auch in deinem Körper.
                          Frag mal die Leute, die nach einer Impfung einen anapylaktischen Schock hatten. Oder Autismus. Halt. Nein. Da haben sie ja jemanden gefunden, der bereits war, eine Studie so zu produzieren, dass die andere nicht mehr gegolten hatte.... Aber frag mal meine Bekannte, wie cool die das fand, dass ihr Sohn nach der MMR autistisch war. Klar, war das kleine Körperverletzung. Sie hatte dem ja zugestimmt. Die kleine Schwester hat sie dann trotzdem nicht mehr impfen lassen.


                          Aber wir triften ab.


                          Ich sehe so viele Impfnebenwirkungen in meinem Umfeld. Reihenweise Verletzungen der Körper dieser Leute.


                          Da kommen wir wieder an den Anfang: Wenn jemand sagt: Alle müssen sich impfen lassen! Und ich sage: Vergiss es! - Werde ich dann festgehalten? Und ist dann die Nadel in meinem Arm Körperverletzung oder irgendwie doch nicht, bloß weil DU der Ansicht bist, da passiert ja gar nix verletzendes, die Grippe und die neurologischen Ausfälle, die gehören halt dazu. Wie das Pupsen nach zu vielen halbgaren Linsen.

                            schnuckweidev

                            Jeder Eingriff in den Körper ist eine Körperverletzung, sei es eine Impfung, ein Tattoo, ein Piercing! Ein Ohrloch! Jede Operation! Das weiss doch jeder!
                            Ich bin jetzt 70 Jahre alt, habe mein ganzes Leben als Krankenschwester gearbeitet. Und ich habe noch Menschen kennen gelernt, die Polio hatten! Tb, wenn auch eingekapselt, schlimme Pockennarben! Sie alle hatten keinen unversehrten Körper! Auch Krankheiten sind Körperverletzungen, die dich ein Leben lang begleiten! Ebenso habe ich eine Patientin gepflegt mit Lepra, wenn auch nur für kurze Zeit!
                            Zu meiner Zeit waren Impfungen ein Geschenk! Ich lasse alle impfungen updaten! Bin auch froh über die Covid Impfung!

                            dickunddoof

                            > Denn es sollte doch darum gehen. den Interessen verschiedener Beteiligter gerecht zu werden. Und nicht darum ärztliche Handlungen aus der Strafbarkeit zu heben.


                            Weisst Du, je mehr ich mitkriege, was in Krankenhäusern abgeht, und was welchen Ärzt/inn/en in der Hierarchie alles durchgegangen lassen wird, und wie ignorant und wissentlich unsorgfältig etliche in ihrer Arroganz sind, und wie Patient/inn/en in manchen Abteilungen/Praxen verarscht und abgefertigt werden, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass die derzeitigen Handhaben zur Abstrafe nicht abschreckend genug sind.


                            Mir geht es nicht darum, ärztliche Handlungen aus der Strafbarkeit zu erheben, denn durch die Rechtfertigungslösung sind sie das ja weitgehend.


                            Mir geht es inzwischen ums Gegenteil: Ich will, dass Leute, die keine Ethik im Leib haben, und in der Fließband- und Apparatemedizin hauptsächlich eine juristisch gestützte und betriebswirtschaftlich durchgefeilte Geldabrechnungsmaschinerie sehen, abgestraft werden und sich nicht in allem auf die Standard-Rechtfertigung berufen können. Und dazu brauchts im Strafrecht Tatbestände, die nicht durch die Rechtfertigungslösung aushebelbar sind.


                            Das muss sein damit Ärztinnen/Ärzte im Umgang mit Patient/inn/en menschlich und sorgfältig sein können ohne gleich unter Druck zu geraten.


                            Das fängt beim Klinikmanagement an, das zB Ärzt/inn/en Arbeitszeiten und -bedingungen auferlegt, die geradezu danach schreien, dass die Leute aufgrund von Überlastung fehleranfällig sind und mit dem einzelnen Patienten möglichst schnell fertig werden wollen. Das hört bei den Ärzt/inn/en selbst auf, die oft Patient/inn/en einfach schnell vom Hals haben wollen.


                            Ich kann es nicht ab, dumm angemacht zu werden, weil ich bei der Anamnese sorgfältig sein will und das mit dem Argument mißbilligt wird, dass es unnötig Zeit braucht und deshalb unwirtschaftlich ist. Zumal es wirtschaftlich ist, durch Sorgfalt Phasen, in denen Behandlungen erfolgen, zu verkürzen.


                            ZB vorvorletzte Woche gabs wieder einen himmelschreienden Fall, bei dem ich dabei war: Da hat einer sechs Monate lang ohne Unterbrechung an Nacken- und Kopfschmerzen und Schwindel und Tinnitus und "seltsamem Druck im Nacken und in den Ohren" gelitten. Bei drei von vier Kopfbewegungen hat es "im Genick geknackt". Beim Husten und Niesen tat es ihm mehr weh, wie meine vorwitzige Nachfrage ergab.


                            Diagnostiziert wurde vom Neurologen, der danach Feierabend hatte, vor einem halben Jahr in der Notaufnahme ein anfallsweise auftretender gutartiger Lagerungsschwindel im hinteren Bogengang des rechten Innenohrs. Dem Mann wurde ein schlechtes Gewissen gemacht, weil das ja eigentlich eine Sache für einen Ohrenarzt und nicht für einen Neurologen sei. Was für ein Arzt ihm geschickt wurde, hatte aber nicht der Mann entschieden, sondern die Notaufnahme selbst. In die Notaufnahme geschickt hat ihn damals der Hausarzt.


                            Einen Innenohrschwindel hatte der Mann wohl auch. Da macht man zuhause ein paar Tage/Wochen lang regelmäßig ein paar Lagerungsmanöver, die einem beigebracht werden, aber nach ca einem Vierteljahr ist das auch von alleine wieder weg.


                            Jetzt hatte der Mann aber schon ein halbes Jahr lang Probleme. Außerdem war nicht geklärt, wo Kopf- und Nackenschmerzen und Tinnitus und Druckprobleme etc herkamen.
                            Da war er dann also nach sechs Monaten Martyrium und Folter total gerädert am Samstagabend wieder in der Notaufnahme, weil er die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte.
                            Und dem Neurologen-Assistenzarzt, den sie nach fünf Stunden dazugeholt haben, und dem ich zuschauen sollte, fiel, nachdem er die Arztbriefe von damals durchgeschaut und mit der Frentzel-Brille gespielt und den Mann nach Smartphone-Lehrbuch-App herumstampfen lassen hat etc, nichts besseres ein als der Spruch "Ich würde Sie liebend gerne in die Psychiatrie einweisen".


                            Ich hab den Mann dann einfach gefragt, was vor einem halben Jahr alles passiert ist, und er hat mir geschildert, wie er vor einem halben Jahr innerhalb von zwei Wochen bei zwei Gelegenheiten hingefallen ist - erst beim Tragen eines Sprudelkastens auf der Treppe ausgerutscht und dabei voll mit dem Hinterkopf gegen die Kante einer steinernen Treppenstufe geknallt. Später, weil ihm dauernd schwindlig war, nach hinten umgekippt und dabei mit dem Hinterkopf in die Ecke eines Marmor-Fenstersimsen gekracht. Im ersten Vierteljahr hatte er neben den bereits beschriebenen Problemen Phasen, in denen er Schall und Licht nicht ertragen konnte. Er hatte einen richtigen Erzähldrang und hat sich bei mir den Frust darüber von der Seele geredet, dass man ihn in der allgemeinen Corona-Panik in der Notaufnahme und in der Hausarztpraxis immer wieder einfach ganz schnell loswerden wollte und ihm ein schlechtes Gewissen gemacht hat, weil er überhaupt gekommen ist.


                            Danach war für mich der Fall klar: Der Mann hatte sich den Kopf mindestens zweimal gestossen. Mindestens einmal so heftig, dass er vermutlich eine Gehirnerschütterung und evtl auch ein postkommotionelles Syndrom hatte (-> Schall- und Lichtempfindlichkeit, Kopfschmerz, Schwindel), und dazu ein Halswirbelsäulensyndrom/Zervikalsyndrom (vermutlich pseudoradikulär, denn in den Armen hatte er keine Probleme), mit Kopfschmerzen verursachender Okzipitalneuralgie, und dass ausserdem bei dem ganzen Kopf-Gebumse ein paar der Otolithen in seinem Innenohr vom Utriculus und Sacculus heruntergeplumpst waren und sich im hinteren Bogengang verklumpt und den Innenohrschwindel verursacht hatten.
                            (Falls er tatsächlich Gehirnerschütterung hatte, kann er froh sein, dass der zweite Kopfstoß nicht zu einem Second-Impact-Syndrom geführt hat.)
                            Gehirnerschütterung/postkommotionelles Syndrom und Innenohrschwindel hatten sich nach dem ersten Vierteljahr "lehrbuchmäßig" auch von allein erledigt. Die Sachen, die vom HWS-Syndrom/Zervikalsyndrom kommen, aber halt nicht.


                            Kann jeder alles auch im Harrison nachlesen, sofern er Englisch und sinnentnehmend lesen und Zusamnmenhänge auch über mehr als drei Sätze hinweg herstellen kann. Sollte ein studierter Mensch können.


                            Der Mann wurde aber in der ganzen Zeit nie orthopädisch untersucht. Also hab ich halt ausserhalb des Untersuchungszimmers unter vier Augen meinen Studentenschnabel aufgemacht und dem besagten Assistenzarzt (Neurologe!) meine Lageeinschätzung mitgeteilt.
                            Das hat ihm nicht gepasst. Aus folgendem Grund: Erstens weil ich nur Student bin. Zweitens: Für die Halswirbelsäulen-Diagnostik, die nicht in sein Ressort fällt, wie er betont hat, brauchts seiner Meinung nach eine MRT, und die Geräte im Krankenhaus sind ausgelastet.
                            Ich hab ihm dann gesagt, wie es denn wäre, die Oberärztin zu fragen, ob man den Mann nicht erst zum Orthopäden statt gleich in die Klapse schicken könne.


                            Fazit des Orthopäden, ganz ohne MRT, aber mit Röntgen und Abtasten und diversen Reflex-, Zug-, Dehnungs-, Drehungs- und Drucktests:


                            Immer noch kleine Fissur im Hinterhauptsbein, Nervenwurzelkompression bei C6 und C8, verursacht durch chronische Verspannungen der Nackenmuskulatur. Also wohl tatsächlich ein bisher ignoriertes Zervikalsyndrom, verursacht auch durch muskuläre Funktionsstörung/reaktive muskuläre Verspannungen. (Die Kopfstöße bestärken die Vermutung, dass die Verspannungen eher nicht durch die Psyche ausgelöst wurden, wobei die Psyche nach sechs Monaten Ignoranz, in denen keiner richtig schaut was los ist, irgendwann auch eine Rolle spielen kann.)
                            Hätte man mit etwas Sorgfalt auch schon vor einem halben Jahr vermuten und dann feststellen und so dem Mann ein paar Monate Hölle ersparen/erleichtern können.


                            Das war jetzt mal nur eine Sache, die ich in der Richtung miterlebt habe.


                            Dass Sachen, die zum abzucheckenden kleinen Einmaleins gehören, und für die es wirklich keine Top-Notch-High-End-Spezialisten braucht, während eines geschlagenen halben Jahres nicht bemerkt und trotzdem fröhlich Arztrechnungen geschrieben werden, während die Leute monatelang vor sich hin leiden, gehört meiner Meinung nach irgendwann abgestraft.


                            • adraste hat auf diesen Beitrag geantwortet.