Mein senf dazu
Was ich an dieser ganzen, unleidigen - aber in ihrem Grundsatz nachvollziehbaren - Diskussion hier in D vermisse:
Was wir hier seit 15 Jahren machen, ist ein für mich auf der Welt einzigartiges Unterfangen: Wir wiedervereinigen zwei rel. große, über Jahre und politisch-wirtschaftliche Systeme komplett getrennte Länder.
Dass das nicht ohne Probleme (oder eher Herausforderungen) funktioniert, dass nicht zwangsläufig alle Gewinner sein werden, dass wir viele Fehler gemacht haben (und auch weiter machen werden), ist bei der Größe der Aufgabe normal.
Dass wir uns alle(!) verändern müssen, ist klar. Dass sich manche mehr verändern müssen als andere, ist ebenso klar, denn das ist bei Veränderungsprozessen immer so.
Dass nicht jeder mit der von ihm verlangten Veränderung zurecht kommt, dass Ängst auftreten, dass eine Verklärung der Vergangenheit eintritt, ist ebenso normal (das gilt für Ost und West gleichermaßen).
Nur: Ost und West schultern hier eine gigantische Aufgabe, um die wir nicht herumkommen, denn wir alle(!) wollten es so (und ich denke, es ist auch gut so)
Und ich denke, bei all den Problemen die wir hier haben:
Wir im Westen sollten uns schlicht überlegen, was es eigentlich für die in der Tat verlorene Generation der heute 40-60 jährigen im Osten bedeutet, ohne berufliche Perspektive in einem tatsächlich wohl fremd erscheinenden System zu sein.
Denn wenn wir uns das klarmachen, werden viele der sicher in ihrer Inhaltlichkeit zweifelhaften Proteste verständlich, denn es ist in ihnen Angst vor der Zukunft und auch Verzweiflung spürbar. Und mit diesen Gefühlen müssen auch wir hier im Westen umgehen lernen, um erfolgreich für die Zukunft Deutschlands zu sein.
Und im Osten sollte einmal bedacht werden, welche ungeheure, ohne viel Gemurre geschulterte Solidarität noch immer (nach 15 Jahren!) und ohne Perspektive einer zeitlichen Begrenzung im Westen geleistet wird. Wir reden hier schlussendlich von ca. 4% des BIP (letzthin in der ZEIT gelesen), das als Saldo der Transferleistung vom Westen an den Osten fließt. Das ist keine Kleinigkeit, das ist nicht selbstverständlich und ich werde selber sauer, wenn man es so hinstellt, als sei es das. Und auch das sollte im Osten begriffen werden, wenn über Deutschland geredet wird!
Und ich denke, wir sollten einfach mal ein bisschen stolz auf uns alle sein, denn es ist nicht selbstverständlich, was wir machen.
Und weiterhin denke ich, wir sollten gegenseitig endlich aufhören, den Osten als arbeitsscheu, faul und kapitalistisch-hinterwäldlerisch und den Westen als ausbeuterisch und sich selbst bereichernd darzustellen, denn das wird weder dem Osten noch dem Westen gerecht und bringt uns keinen mm weiter.
Was ich von beiden Seiten erwarte, ist ein bisschen mehr Verständnis für die eigene und die fremde Rolle in diesem Veränderungsprozess, denn nur so werden wir es irgendwann schaffen, den Veränderungsprozess im ganzen als unsere Aufgabe zu begreifen und nicht nur als die Aufgabe des Ostens oder des Westens.
Miramanee