Vielen Dank für die Gedanken und Zuschriften.
Vielleicht hilft es jemand langfristig, was sich in den letzten Tagen ergab:
Zum einen sprachen wir darüber, wie wir es so weit kommen lassen konnten. Zufällig gehören immer zwei zu so einer Eskalation. Ein paar Änderungen im Alltag. Wir gingen ferner zwischendurch zwei Mal allein essen. Am Wochenende fahren wir als Familie in die Therme baden, da wir alle gern schwimmen. Es hat alles sein Gutes.
Zum anderen erzählte sie mir unter Tränen, dass sie Angst davor hat eine schlechte Mutter zu sein. Ich war baff. Ich hatte es schon mal von ihr gehört, aber ich nahm es vermutlich nicht so ernst, da mir nie in den Sinn kommen würde, dass wir schlechte Eltern sind. Unsere Kinder sind wirklich lieb zueinander, gute Schüler und entwickeln sich, bislang, hervorragend. Ich habe nicht im geringsten die Befürchtung, dass sie oder ich schlechte Eltern werden könnten, nach allem, was ich mit unseren beiden Kinder erlebt hatte.
Schließlich hatten wir diese Woche zufällig einen Besuch ihrer Mutter, unangekündigt. Ihre Mutter, die eigentlich krebskrank ist, schaffte es dann auch meine Frau beiläufig kritisieren – wie hoch ihre Stirn ist (?), wie ihre Knie aussehen (??), wie ihre Haare fallen (???), dass sie für mich nicht koche (sie und die Kinder sind Vegetarier, ich nicht), und und und. Absurd, wie im Film. Natürlich weiß ich von deren schlechtem Verhältnis, aber...
Ich schiss die Mutter daraufhin zusammen, für jeden einzelnen Punkt, trotz ihrer Krebserkrankung. Etwas hässlich und wir müssen mal schauen, ob sie uns jemals wieder besucht. Aber es ist so absurd. Meine Frau ist nicht nur schön, beliebt, sportlich, sondern hat ab und an Verehrer, eben weil sie so nett und gut aussehend ist.
Im Anschluss fragte ich sie, ob sie sich selbst schön findet. Nein. Auch da bin ich ein bisschen aus allen Wolken gefallen… Ich dachte, sie hätte das über die Jahre abgeworfen, weil sie zufriedener mit ihrem Aussehen zu sein scheint. Sie lacht mehr. Schöne Kleider. Und sie wirkt zufriedener mit ihrem Körper, seitdem sie viel joggt. Sie erhält so viele Komplimente. Natürlich ist manches davon sexistisch, aber es tut ihr gut.
Ich erwähne diese Punkte, da ich zwar wusste, dass sie einen harten Minderwertigkeitskomplex durch ihre Kindheit und Eltern abbekam, aber ich hatte ein bisschen gehofft oder vermutet, dass ihre Tätigkeit als Grundschullehrerin (wo sie sehr viel Bestätigung bekommt), unsere wunderbaren Kinder, unser nettes Leben und unsere Beziehung diesen Komplex irgendwie verschwinden lassen würden…
Das Erstaunliche an solchen Komplexen ist, dass meine Kindheit eigentlich schlimmer verlief als ihre, sofern man das vergleichen kann. In meiner Familie haben es mehrere Suizide. Alkoholismus. Gewalt. Kriminalität. Aber irgendwie... haben wir beide andere Schlüsse aus unserer Kindheit gezogen und uns unterschiedlich entwickelt. (Ich müsste mal überlegen, ob ich das so in 2 Wochen noch stehen lassen würde, aber im Moment staune ich, dass sie um die 40 sich noch stark an ihrer Familie abkämpft, während es für mich kein Thema ist.) Zumindest habe ich nicht so starke Selbstzweifel.
Ich denke, für sie ist das alles auch ein Aha-Moment. Sie gibt diverse Schul-Rollen auf wie Elternsprecherin, die meisten Elternabende, etc., um mehr zu chillen. Ich bat sie darum. Sie versucht nicht mehr die Küche morgens zu schmeißen und den Kindern ein 5-Sterne-Menü bereitzustellen, sondern die Kinder sollen ihre Pausenbrote selbst schmieren (immerhin sind sie alt genug, meines Erachtens)… Gestern Abend duschte sich mein Sohn zum ersten Mal selbst. Ja… Ich konnte es nicht fassen, dass sie ihn noch duschte, in seinem Alter. Oh Wunder. Er weiß, wie man’s macht und war ganz begeistert. Auch fuhr er heute allein mit der U-Bahn zur Schule. Ich wusste zwar, dass sie vieles davon übernahm, aber als sie im Gespräch aufzulisten begann, fiel uns beiden erst auf, wie viel es ist (und vieles wirkt, als würde sie unsere Kinder noch immer wie 6-jährige behandeln).
So Banalitäten, die dazu dienen ihr klarzumachen, dass die Kinder keine 6 mehr sind und sie ruhig loslassen kann, um sie selbstständiger werden zu lassen. Meine Hoffnung ist, dass sie sich dadurch entspannt – gerade als eine Mutter, die laufend Angst zu haben scheint, dass sie nicht genug macht und vieles andere um sich herum vergisst.
Übrigens, bei den Gesprächen mit ihr fiel mir auf, dass Sport und Fitness unsere Ehe erneuert hatte, eine neue Seite an uns. Vor 3-4 Jahren waren wir beide noch sehr unsportlich. Mittlerweile joggt sie 10 km ohne Pause, während ich 6x/Woche in der Gym Kraftsport trainiere und 250 kg hebe. Wir reden öfter über Fitness, Übungen, Gesundheit.
Ich will sagen: Ich vermute, dass das Geheimnis einer guten langen Ehe nicht nur in Gesprächen, Sex und Geduld besteht, sondern dass man sich wandelt – so wie wir uns mit Freunden mit den Jahren wandeln. Bei einer Ehe, die unweit enger als eine Freundschaft ist, da man sich ja täglich ein Bett teilt, kommt es ferner mit den Jahren darauf an sich immer mal wieder zu „erneuern“. Das kann, vermute ich, ein komplett neuer Beruf sein (so wie sie ja Lehrerin wurde), ein ganz anderes Studium (wer weiß), oder halt Fitness/Sport (wenn man es zuvor nie gemacht hatte), und und. Aber ein anderes Thema.
Danke noch mal! Und alles Gute.