Ich habe mich hier - als Mann, mitte 30 - angemeldet, weil ich auf das schulterklopfende gemännere in bestimmten Foren verzichten kann und einer weiblichen Community mehr emotionale Intelligenz zutraue. Sorry für die Textwand.
Ich bin mit meiner Freundin seit bald 2 Jahren zusammen, theoretisch eine Fernbeziehung, praktisch nie länger als ein Monat zwischen langen Phasen zusammen. Wir haben beide recht volle Leben, und einiges beiseite geschoben, um füreinander viel Platz zu haben - ich viel Beruf und Hobbys, sie Hobbys und teilweise Freunde. Eigentlich verstehen wir unsere jeweiligen Trigger immer besser, trotzdem gab es in der bisherigen Zeit viele intensive Streits, bei denen sie zweimal quasi mit mir Schluss gemacht hatte, weil sie fand, ich gehe nicht genug auf ihre Bedürfnisse ein (ausgelöst z.B. dadurch, dass ich sie nicht gegen einen etwas bösen Witz ihrer Schwester verteidigt hatte sondern lachte). Sie hat ADHS, was sich in sehr emotionalen Reaktionen äußert und in einer starken Empfindlichkeit für Widerspruch und Ablehnung (wenn ich z.B. etwas nicht schön finde, was ihr gefällt, fühlt sich das für sie an, als ob sie mir nicht gefällt). Ausserdem in fehlendem Zeitgefühl. ADHS ist eine neurologische Behinderung, also scheitert es da nicht am Willen, es ist eben einfach so.
Wir sind jetzt an einem Punkt, wo ich im Prinzip permanent ein schlechtes Gewissen habe, ihren Bedürfnissen nicht gerecht zu werden, aber zugleich merke, ich habe nicht genug Energie, um z.B. mehrmals die Woche 4-5 Stunden mit ihr zu telefonieren, zusätzlich zu permanenten Kontakt in Messengern, und trotzdem meinem eigenen Leben vollständig nachzugehen. Meine berufliche Perspektive fängt an zu leiden, weil ich zudem auch kurz bevor wir uns kennenlernten ein Haus gekauft hatte, das viel Zeit beansprucht. Zugleich merke ich, dass ich mir nichts mehr zutraue, und ständig das Gefühl habe, etwas falsches zu machen, egal in welchem Kontext. Weil sie mir sehr häufig erläutert, wie ich eigentlich mit ihr umgehen müsste, damit sie sich nicht ärgert oder enttäuscht ist, also was sie als ADHS betroffene braucht. Sagen kann ich ihr meine Bedürfnisse bzw. Sorgen aber nicht wirklich (tue es trotzdem gelegentlich), weil sie dann nur verallgemeinert, sie wäre ja offenbar so schlimm, dass sie mich meinen Beruf und mein Selbstbewusstsein kosten würde. Und dann folgen mehrer Stunden Streit, in denen sie mich verbal immer weiter wegstösst. Sie hat auch mal erklärt, das wäre bei ihr eben so, dass sie mit Wegstossen auf Angriffe reagiert, und das ihre Freunde das gut fänden, dass sie so quasi sortiert, wer es wert ist, denn die würden nach dem Wegstossen ja zurück kommen. Mir geht nun aber zunehmend die Energie aus.
Ich merke, ich werde zuweilen ungerecht, wenn ich z.B. genervt drauf reagiere, dass sie mir mehrere youtube videos geschickt hat, in denen ADHS betroffene erklären, was sie von neurotypischen Menschen erwarten als Umgang, um ihnen das Leben zu erleichtern. Das ist ja völlig legitim, ich spüre dann aber nur den Druck, es anschauen und auch so machen zu müssen. Heute fragte sie wieviel arbeit ich hätte, wissend, dass ich in 4 Tagen 6 powerpoints erstellen muss, und eigentlich morgen einen Ausflug geplant hatte. Als ich das wiederholte, meinte sie, "sie hätte ja gehofft, wir könnten die Probleme von gestern weiter besprechen (fast 5 Stunden Telefonat nach dem Arbeitstag, ich war nicht einfühlsam genug bezüglich der Gesundheitsprobleme ihrer Haustiere), aber das dürfe dann ein paar Tage warten bis ich mit der Arbeit fertig wäre". Ergebnis war ein riesiger Streit, weil sie mir damit in einem Moment sowohl ein schlechtes Gewissen gab, meine Arbeit der Beziehung vorziehen zu müssen, als auch die Chance nahm, beim Ausflug morgen Freude zu haben. Ich fühlte mich hilflos, in die Ecke gedrängt und hatte eine kleine Panikattacke. Sagte ihr das, worauf sie meinte dann wären wir wenigstens beide am Ende.
Ich hatte in der Vergangenheit in Beziehungen das Problem, sehr schwer Kompromisse eingehen zu können und will den Fehler nie wieder machen. Aber wie finde ich heraus, wo Kompromisse anfangen und wo Selbstaufgabe endet? Ihr Wunsch danach, sich nicht durch mich schlecht zu fühlen ist genauso legitim wie meiner? Aber wieviel muss ich dafür in Kauf nehmen, moralisch, wissend, dass sie durch ihre neurologische Einschränkung eben besondere Fürsorge braucht und besonders wenig Kontroverse verarbeiten kann?