felize_21409476was soll ich dazu sagen... vielleicht mal in groben Zügen meine Geschichte erzählen.
Ich hätte (bzw. habe) noch mit 30 gesagt, dass ich eine normale, glückliche Kindheit hatte. Hätte ich da schon besser wissen müssen, da war ich bereits in Behandlung, zwei meiner behandelnden Ärzte haben völlig unabhängig von einander meine Mutter kennen gelernt und gesagt, dass sie ein Nazisst ist. (hat keinen (!) Kontext zu Euch, ist nur für meine Geschichte wichtig). Wollte ich nicht sehen. Hatte natürlich Folgen - mit denen ich bis heute noch nicht völlig durch bin.
Dazu kommt, dass ich ADS habe (kein ADHS bei mir) - was es zu der Zeit, wo ich Kind war, natürlich noch nicht gab. Also die Krankheit selbstverständlich schon, sowohl ADS als auch ADHS gab es bekanntlich schon, als der Struwelpeter geschrieben wurde. Aber davon, dass das eine Krankheit ist und nicht einfach "ungezogen" bei ADHS bzw. "faul" bei ADS, war noch lange keine Rede. Also hat man beides versucht, wegzuerziehen. Hat viel verschlimmert, nichts verbessert.
Es gibt nicht wenige Fachleute, die eine der Hauptursachen für Borderline in einer unbehandelten AD(H)S - Erkrankung in der Kindheit sehen.
Das könnte auch bei Deinem Bruder mit reinspielen (wo Diagnose / Behandlung erst als Jugendlicher erfolgten, wenn ich das richtig verstehe), aber zurück zu mir.
Es gab Probleme an allen Ecken und Enden.
Das erste mal selbst verletzt habe ich mich als Teenager. Eigentlich, um es irgendwie endlich zu schaffen, mich zu konzentrieren, statt ständig "abzudriften". Und es hat mich plötzlich so unglaublich beruhigt. Statt diesem ständigen Sturm in meinen Gedanken, Gefühlen... war da plötzlich... STILLE.
WOW!
Jahrelang dachte ich, ich wäre die einzige, die "sowas" macht wie Selbstverletzung. Heute weiß ich, dass jeder zehnte (!) Mensch zumindest eine Phase mit Selbstverletzung im Leben hatte.
Anyway, die Pubertät hat nichts verbessert, alles verschlimmert. Ich hatte meinen ersten Suizidversuch nach vielen, vielen, vielen Gedanken darüber, mir das Leben zu nehmen. Hat nicht geklappt und ich habe es vertuscht.
Wie alles andere auch, denn ich hatte irgendwann als Kind mal die böse Erfahrung gemacht, dass es nicht gut ist, die eigenen Gedanken, Ängste, Sorgen... und damit die eigene Verletzlichkeit jemandem anzuvertrauen.
Nun, das hat mir und den Menschen in meiner Umgebung zumindest die Erfahrungen erspart, die Dein Bruder und Du gemacht haben.
Im Internet schreiben - kein Ding. Inzwischen. Macht mich aber auch nicht mehr verletzlich, hier kann mir keiner was tun. Darüber sprechen kann ich bis heute nur mit Menschen, denen ich zu 200% mindestens vertraue.
Aber glaube mir, von diesen Phasen hatte ich nicht weniger als Dein Bruder, bin ich mir sicher. Aber ich habe es bis ins späte Erwachsenenalter nie jemandem erzähl.
Mit 18 bin ich zu Hause ausgezogen, da wurde es erst einmal besser, ich war knapp 3 Jahre fast symptomfrei. Kein Stress, kein Druck, dafür die Freiheit, mir mein Leben an mich anzupassen.
Und dann... ging es richtig abwärts. Das Studium lief nicht mehr von allein, ich hatte echte Probleme. Dazu einen harten Bruch mit meiner Familie, weil ich nun wirklich NICHT mehr so funktionieren wollte, wie die sich das vorgestellt haben. Also kein Geld mehr, Studium noch nicht fertig, ...
Mal vom Doc die guten Schmerztabellten bekommen - mit Opiaten. Und noch mal und noch mal ... oh, was waren die Dinger gut. Keine Schmerzen, keine Probleme, keine Sorgen, keine Ängste, ... ohhhhhhhhhhjaaaaaaaaaaaaa der Arzt wollte die nicht mehr verschreiben... macht nichts, das ist nicht der einzige. Nunja, Medikamentenabhängigkeit mit allem drum und dran.
Irgendwann entzogen, wieder hoch gekämpft.
Stuidium beendet.
Job gehabt.
Durch gekämpft.
Und gekämpft.
und gekämpft.
Jeder noch so banale Mist war ein Kampf. Jedes lächerliche Problemchen hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen.
Keinen Bock mehr auf Kämpfen, warum nicht einfach aufhören, sch*** auf das "Leben", kann nicht mehr...
weiter gekämpft.
Einen Job verloren.
Zurück gekämpft.
Nächsten Job verloren.
Zurück gekämpft.
Krankenhaus, Notaufnahme.
Und dann wurde zumindest Borderline bei mir diagnostiziert, ADS kam noch später.
Ab da folgten Jahre Therapie.
Medikamente, die mich manchmal völlig emotionslos gemacht haben. Ich habe nichts, gar nichts mehr gefühlt. Ok, keine Angst. Nur Freude, Glück, Liebe - tja, leider auch nicht. Alles egal.
Und / oder völlig asexell. Kommt bei jedem Partner super an.
Und / oder Medikamente mit denen ich 21 Uhr abends ins Bett fiel - 10 min nach Einnahme und 9 Uhr am nächsten Morgen noch getorkelt bin, weil ich im Halbschlaf war.
Und unzählige, die einfach nichts geändert haben.
Und dazu noch die Therapien.
Ich habe wie gesagt so meine Not damit, mich anderen Menschen anzuvertrauen. Ich musste das jedes Mal gewaltsam erzwingen, sonst wäre eine Therapie nicht möglich gewesen.
Bin damit auf Therapeuten getroffen, die mir erzählt haben, dass ihrer Meinung nach Borderliner "schreckliche Menschen" sind.
Oder aus solche, die mir sagten, dass Selbstverletzung "irgendwie eklig ist" (WTF, ein Hautarzt kann doch auch nicht sagen, dass er eine Schuppenflechte eklig findet, schon gar nicht, wenn er explizit die Behandlung von Schuppenflechte anbietet?!? )
Auf solche, die mir anz Herz gelegt haben, meinen Job zu kündigen (zu einer Zeit wo ich noch auf Monate nicht in der Lage war, mir einen anderen zu suchen! ) - fein, Sperrzeit ohne Geld und Hartz4 haben meine Situation enorm verbessert!
Und die Beziehung zu meinem Mann zu beenden und auch sonst - Tabula raza. auf ganzer Linie zu machen. Alle Kontakte, alle Brücken abbrechen, ganz neu anfangen. Informiere Dich mal im Netz, wie viele Beziehungen während einer Therapie durch ähnliche Empfehlungen zu Bruch gehen. Klingt in dem Moment tatsächlich toll. Man ist in einer totalen Euphorie. Aber wenn DIESE BLASE PLATZT... dann ist man ganz allein. Mit dem sicheren Wissen, dass man selbst alles zerstört hat. HALLELUHJA!
Dann war da noch diese unseelige Nummer mit dem Eisakku. Immer wenn die Sehn-Sucht danach, mir die Haut in Fetzen zu reißen übermächtig wurde, hat man mir geraten, einen Eisakku in die Hand zu nehmen. In allen Kliniken, bei allen Therapeuten. Durch die Bank. Immer wieder dieser verf*** Eisakku. Heute weiß ich, dass das für mich nie etwas ändern KONNTE. Damals wußte ich es nicht. Ich habe das Mistding niedergenutscht, was ging - und war noch verzweifelter, weil es nichts, gar nichts geändert hat. Und wenn ich das bei den famosen Therapeuten angesprochen habe, hieß es, dass ich mich ja auch mal bemühen müsse! Danke, Faust in die Magengrube hätte nicht deutlicher sein können.
Ich habe bis heute keine Eisakkus zu Hause, in mir kocht die Wut hoch, wenn ich so ein Teil sehe. Die sind irgendwan alle in den Müll geflogen und ... ja, vielleicht kann ich mir im Altersheim mal wieder welche ansehen ohne einen Hals zu kriegen. Ja, ich weiß, dass die Dinger unschuldig sind, meine Erinnerungen, die damit so sorgsam verknüpft wurden, sind es aber leider nicht.
Dann noch die, die mir mit bekannter Medikamentenabhängigkeit in der Vorgeschichte unkommentiert Tranquilizer in BTM-pflichtiger Dosierung verschrieben haben, als ich einmal nicht in der Verfassung war, bei einem neuen Medikament erst so lange herumzudiskutieren, bis ich die Packungsbeilage zum Lesen bekomme. Gegen diesen Entzug waren die Opiate ein Kindergeburtstag.
Ich war verzweifelt. Ich wollte und brauchte Hilfe. Ich konnte nicht mehr. Zum Schluß hatte ich auch schon ein Kind mit meinem Mann (ok, das hat mir zumindest länger die Medis vom Hals gehalten).
Ich habe alles gemacht, was mir gesagt wurde. Immer.
Ergebnis von jeder einzelnen Therapie: keine Änderung oder Verschlechterung.
Ok, für meine Familie mag die Zeit mit den Medimanten, mit denen ich mich gefühlt habe, wie ein Zombie auf Valium, sicherlich eine totale "Verbesserung" gewesen sein. Für mich nicht, tbh. Hat nur bedingt was zu sagen, weiß ich, aber auch mein Mann und meine Freunde haben das so gesehen.
Nun, mit Kind konnte ich auch nicht mehr einfach gehen, ich war die Verpflichtung eingegangen und Verpflichtungen sind für mich etwas sehr ernstes.
Um es gesagt zu haben: das waren verschiedene Therapeuten, sogar verschiedene Städte und verschiedene Bundesländer. Also nichts mit "die einzige blöde Einrichtung der Welt erwischt!"
Was ich dann gemacht habe: Ich habe aufgehört mir helfen zu lassen und angefangen, mir zu helfen.
Ich bin in die nächste Unibibliothek gegangen. Tag für Tag und habe Fachliteratur gelesen. Psychologie und Psychiatrie. Dort standen auch tatsächlich die Lösungen.
Inzwischen komme ich recht gut klar. Ab und an habe ich einen Schub, ich kann und sollte auch nicht jeden Stress, jede Blastung vermeiden, aber ich kann es ausgleichen und abfangen - und ich weiß, wie ich recht schnell wieder zurück komme, wenn ich einen Schub nicht verhindern kann.
Ich nehme Medikamente, sowohl gegen ADS als auch gegen so einige Faktoren von Borderline (sprich: Ausgleich des Serotonin-Spiegels) - aber ganz ehrlich: ich manipuliere jeden Arzt, bei dem ich bin, nur noch. Ich erzähle das, was in das Bild passt, was ich haben möchte und zu dem gewünschten Ergebnis führt.
Seit dem habe ich ein Leben.