an0N_1189750099zWahrnehmung - die B*tch der Emotionen
Ich habe es im vorherigen Beitrag am Beispiel erklärt:
Jede (!) menschliche Wahrnehmung ist gefiltert, bewertet und interpretiert. Wer damit Probleme hat, kommt nicht umhin, diese einzelnen Punkte zu trennen.
Bei uns Grenzgängern ist es fast immer die Bewertung und Interpretation, manchmal sind es auch die Filter.
Fang ich mit den Filtern an, das geht schneller. Besonders häufig in Kombination mit ADS / AHDS: es stürmt zu viel an Eindrücken auf uns ein oder wir blenden zu viel aus. Wenn man zu viel ausblendet, ist das Ergebnis Hyperfokussierung oder Dissoziation - hier helfen Konzentrationstechniken und Aufmerksamkeitstraining. Wenn das jemanden betrifft, kann ich beides erklären, aber ich mag dazu keine prophylaktischen Romane schreiben.
Nimmt man zu viel wahr (beides schließt sich im übrigen *nicht* aus, es gibt auch Menschen, die mit beidem Probleme haben) wird jeder öffentliche Ort zum überaus anstrengendem Alptraum und jedes öffentliche Verkehrsmittel zum Vorhof der Hölle. Hier helfen einfache Hilfsmittel wie MP3-Player, die künstlich von der Umgebung isolieren (der kann auch als eine Art Skill zur Entschärfung emotionaler Belastung in jeder Situation vieles retten) und Entspannungs-, aber auch Konzentrationstechniken.
So weit so (recht) klar.
Bewertung und Interpretation sind die größen Zicken.
Wir Grenzgänger reagieren oft auf etwas, was nur für uns selbst wahrnehmbar ist - und wir reagieren nicht gerade zahm und nicht gerade dezent verborgen. Sowas bereitet uns ständig Probleme - was heißt, wir kommen nicht umhin, hier etwas zu ändern - und wenn das ganz leicht wäre, wäre es kein Problem, oder?
Also: erst mal Wahrnehmung, Bewertung, Interpretation trennen.
Bei anderen geht das besser, es ist so entzückend viel klarer, dass die gerade ohne erkennbaren Grund rumflippen, als es klar ist, dass man selbst ohne erkennbaren Grund um die Lampe kreist.
Den Mächten sei Dank für die elektronische Kommunikation und Massenmedien und das Internet. Sucht eine halbe Stunde rum bei Facebook & Co (so Ihr Euch sowas antut) in Foren, bei Nutzerkommentaren usw. - und Ihr werdet fündig. Wenn Ihr etwas entdeckt, wo jemand wirklich stark reagiert - macht Euch die Mühe, darüber nachzudenken, was genau diese Reaktion ausgelöst hat / ausgelöst haben könnte. - Und ob der Auslöser für die Reaktion tatsächlich das beinhaltet oder "nur" eine Reaktion auf eine "gefühlte" Beleidigung / Angriff / ... erfolgt.
Wenn Ihr selbst auf etwas stark reagiert, was irgendwo als Bcuhstaben auf einem Monitor steht - speichert es ab, druckt es aus, speichert das Chatlog, macht notfalls einen Screenshot, aber konserviert das Ding. Ohne jede Bewertung ob gerechtfertigt oder nicht. Einfach bei jeder starken Reaktion.
Dann schreibt dazu, wie Ihr reagiert und warum.
Gut, wenn Ihr andere Personen habt, die das von Euch unabhängig auch machen können (und auch machen würden). Bezieht die Menschen ein, die Euch nahestehen, meistens wollen sie Euch helfen - nur die wenigsten wissen wie. Es ist für beide Seiten von Vorteil, wenn Ihr sie "mit ins Boot holt".
Habt Ihr beide Einschätzungen (oder 3 oder 4) könnt Ihr sie vergleichen. Natürlich könnt Ihr das auch im Gespräch mit anderen machen, aber Ihr werdet in diesem Gespräch das gleiche Problem haben, wegen dem Ihr das Gespräch darüber überhaupt führt - für den Anfag ist es daher leichter, das zu trennen. Dazu kommt, das manches leichter über die Finger geht als über die Lippen und das was ich schon sagte: man denkt anders über etwas nach, was man schreibt.
Wenn Ihr das ein paar Mal macht, habt Ihr einen Überblick, was eigentlich passiert und mit Glück ein Muster - wann, in welcher Situation, in welchem Kontext es häufig ist.
Außerdem habt Ihr die Relation, wie andere auf das Gleiche reagieren - Fixpunkte, Vergleichswerte, Referenzen.
Wie sich die Reaktion unterscheidet und wie sich die Wahrnehmung unterscheidet. Wann und wie Ihr auf etwas reagiert, was für andere gar nicht da ist. Das sind i.d.R. Erinnerungen an Situationen oder Verhaltensmuster - die sind wichtig.
Habt Ihr niemanden, der Euch in Eurer persönlichen Umgebung in dieser Art unterstützen kann, macht Euch irgendein Alter Ego und schreibt es ins Internet, es findet sich schon wer, der das aus seiner Sicht runterschreibt. Hier im Forum findet Ihr mehr als 5 Beispiele auf den ersten 2 Seiten der Threads.
Soweit die Pflicht, jetzt kommt die Kür - Ihr müßt lernen, eine solche Reaktion zu erkennen - in dem Moment, wo sie passiert.
Trainiert Euch darauf, auf ein "Halt, Stop" Eures Gesprächspartners zu achten - und das ernst zu nehmen.
Leider sind wenige so bewußt, dass sie es in Worten tun, dass sie wirklich "STOP!" sagen. Ihr Gesicht aber sagt es immer, wenn sie gerade finden, dass Ihr in einer nicht beabsichtigten und nicht erwarteten Art und Weise reagiert. Also behaltet das im Auge. Immer. Und wenn im Gesicht des Gesprächspartners die Fragezeichen überhand nehmen, seid Ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mal wieder in so einer Situation.
Eigentlich ist jede starke Reaktion ein Warnsignal, aber die Reaktion des Gesprächspartners ist die Meßskala. Der Rest ist Übung und Selbstdiziplin.
Nehmt es als Mantra "esexistiertnurfürmichesexisst iertnurfürmichesexistiertnurfü rmich". Probiert Atemtechniken (sich darauf konzentrieren, fünf mal tief ein und aus zu atmen o.ä.) - die helfen manchmal oder Visualisiereungen => sich möglichst detailiert ein Stop-Schild vorstellen => Gleiches System wie bei der Atmung, aber intensiver. Indem man sich auf etwas anderes gezielt und stark konzentriert, kommt man beim ursprünglichen Thema von der Palme wieder runter.
Unerlässlich bei all dem und die Basis jeder Lösung ist aber, dass Euch klar ist, dass Ihr manchmal auf etwas reagiert, was andere nicht wahrnehmen können und dass Ihr überreagiert - und dass Ihr immer nach Anzeichen Ausschau haltet, ob das jetzt gerade eben der Fall ist.
Beispiele zum gezielten Training der Wahrnehung stehen schon 2 hier im Thread.
Außerdem kann man gezielt trainieren, Dinge, Situationen, Personen aus der Sicht von anderen zu betrachten, also "die Perspektive zu wechseln" - was nicht nur beim Gegensteuern von Wahrnehmungsstörungen sinnvoll ist.