Andere Worte
Liebe Ute,
ja, wir gehen heute wirklich mit unseren Worten ziemlich salopp um. Ich denke aber, das macht der Kontakt zu der heutigen Jugend. Und ich kenne noch nicht mal alle neuartigen Wörter!
Ob ich mit meinem "tot umfallen" wirklich eine falsche Wortwahl benutzt habe, denke ich nicht. Es ist einfach mein Empfinden. Ich hätte auch sagen können, dass mein Herz das wahrscheinlich nicht aushalten würde und stehen bliebe. Aber der Sinn ist der gleiche. Du weißt nicht, wie schreckhaft ich wirklich bin. Gehöre zu den wirklich ganz Extremen in dieser Situation. Als ich 15 oder 16 war, lief eine Spinne vor mir über den Katalog, in dem ich blätterte. Für kurze Zeit konnte ich mich an nichts mehr erinnern, war völlig gelähmt und panisch. Und das war nur eine kleine Spinne. Setz das mal ins Verhältnis zu einer "Erscheinung".
Vielleicht hab ich mich wirklich sehr schlecht ausgedrückt, kann aber immer wieder nur wiederholen, dass ich keine Rituale praktizieren möchte. Es ging mir nur allein um einen Schutzzauber. Für alles andere fehlt mir der Mut.
Ich hab drüber nachgedacht, wieviel ich tue, weil es schon immer so war.
Sehr viel. Eigentlich auch oft, obwohl ich das Bedürfnis habe, einfach mal nicht das zu tun.
Du sagst, dass in Gemeinden Solidarität und Freundlichkeit herrscht. Da stimme ich Dir voll zu. Mit dem Einwand, dass man der Norm dieser Gemeinde aber entsprechen muss.
Wir haben hier junge Nachbarn wohnen, sehr viele inzwischen, da die alten Menschen bereits gestorben sind und die Häuser verkauft wurden.
Wo bleibt da die Freundlichkeit und die Solidarität der Alteingesessenen? Mir fehlt die Zeit dazu, um in jedes Haus zu gehen und die Leute zu begrüßen, aber die ältere Generation, die immer an der Straße stehen und ratschen (reden und lästern über diesen und jenen), an die kommen die Neuen nicht so leicht ran; wenn überhaupt.
Da ich in diesem Dorf aufgewachsen bin und wir das Haus neben meiner Mutter gekauft haben, bin ich hier all den Älteren gut bekannt. Was mir früher immer so gefiel, war die Fragerei nach meiner Oma, nach meiner Mutter, nach der Schule etc. Inzwischen find ich es als Belastung, denn die Neugier mancher Frauen lässt einfach nicht nach.
---- Und aus Höflichkeit antworte ich freundlich und schiebe Zeitdruck vor (schließlich ist Baby ja dabei.. ist ein guter Grund). Da fühle ich mich unter Druck, denn ich möchte ja kein Gerede aufkommen lassen, um meine Mutter und meine Oma nicht zu blamieren. Was denkst Du, wie oft ich schon sagen wollte, dass das niemanden was angeht.
Die Norm ist das, was die Mehrheit tut und für richtig befindet. Auch ich möchte ein Leben in Ruhe führen und verhalte mich der Norm entsprechend. Mal mehr, mal weniger. Meine beste Freundin war in ihrer Jugend ein Punk. Sie kam neu in unsere Klasse und ich lehnte sie einfach ab. Ohne ein Wort mit ihr zu reden. Darüber lacht sie heute noch, wie dumm ich doch war und auf Äußerlichkeiten sah. Ist das aber nicht ein Zugeständnis, das wir der Jugend machen können? Sie war ein Mensch, der immer gegen den Strom schwamm. Grundsätzlich. Absichtlich. Provokant. Zu mir sagte sie immer "Prinzesschen", aber die Freundschaft war sehr innig und ehrlich. Seit sie älter geworden ist, trägt sie ihre Haare hübsch, gepflegt und lang, zieht sogar Kleider an und benutzt Schminke. Jetzt hat sie andere Prioritäten gesetzt.
Bei Kindern Ordnung zu halten, ist schon ziemlich anstrengend Eine gute Bekannte (Freundin wäre übertrieben) von mir kam aus dem Grund nicht mehr zu mir. Sie kam mit den vielen Spielsachen, die quer durch die Wohnung lagen, nicht klar. Hab ich nix verloren, nur gewonnen. Nämlich glückliche Kinder Jetzt sind sie ja größer und räumen selber auf und spielen nicht mehr im Wohnzimmer. Dafür steht in unserem Wohnzimmer eine Babyschaukel, eine Krabbeldecke mit Spielcenter und ab nächster Woche ein Laufstall (wenn der Briefträger kommt.. nicht zum Dauerparken! ), Lätzchen liegen über der Sessellehne und Beißringe auf dem Tisch. Aber abends ist alles wieder tiptop. Aber ich denke, wer Kinder hat, weiß wie das ist.
Nochwas zur Norm: Vor Jahren hab ich mir einen Knigge gekauft... natürlich in Neufassung mit den allerneusten Benimmregeln. Jetzt muss ich Dir noch was dazu erzählen:
-Laut "Knigge-neu" DARF man jetzt nicht mehr "Gesundheit" sagen, wenn jemand niest. Das zählt inzwischen als unhöflich.
Es fällt mir sehr schwer und bisher ist es mir nicht gelungen, es nicht mehr zu sagen. Ich kann gar nicht anders. Wie ein Zwang. Man ist es als Kind gewöhnt worden und so bleibt es. Es rutscht mir sogar in Supermärkten raus, wenn ein Fremder niest
Ich könnte noch stundenlang schreiben, was mir so spontan auffällt, was ich tue, weil MAN es tut. Aber sowas ist mir in "Fleisch und Blut" übergegangen.
Wie Du schon gesagt hast: wir lernen jeden Tag dazu. Die Kirche hoffentlich auch irgendwann mal. Unser lieber Pfarrer, bei dem ich zur Konfirmation gegangen war, mußte vor 10 Jahre ca. die Gemeinde verlassen, weil seine Frau sich von ihm trennte. Er war/ist ein sehr lieber Mensch und lustig und lebensfroh. So ist die Kirche.
Liebe Grüße
Susa