Guten Abend!
Ich schwanke nun schon eine lange Zeit, ob ich mir irgendwo Hilfe suchen soll oder nicht, und heute Abend habe ich mich nun doch dazu entschieden.
Ich schätze das ganze ist etwas tiefgreifender und deshalb nicht unbedingt für ein schriftliches Gespräch geeignet, aber zu anderen Maßnahmen kann ich einfach nicht greifen, dazu bin ich emotional schlicht nicht in der Lage.
Damit ihr euch vorstellen könnt, wer hier sitzt und tippt - ich bin ein 18-jähriges Mädchen dass im Moment die elfte Klasse einer Gesamtschule wiederholt. Ich wollte immer Sozialpädagogik studieren um Menschen, wie sie hier im Stadtteil Dreesch zu finden sind, helfen zu können.
Ich wiederhole das Jahr, weil ich viel gefehlt habe. Zuerst aus Krankheit, dann aus Mutlosigkeit und meinem damaligen Freund zu liebe.
Aber das tut nicht viel zur Sache, im Moment bin ich regelmäßig in der Schule und ich hoffe auch, dass das vorerst so bleibt -
tatsächlich habe ich ganz andere Probleme.
Ich verletze mich seit zwei Monaten selbst. Durch Schnitte am ganzen Körper, obwohl ich mir genau das immer als Grenze gesetzt habe - mich selbst verletzen, das dachte ich, würde ich niemals tun, da mir das Leben als solches viel bedeutet und ich dankbar bin, existieren zu dürfen - ich habe mir stattdessen damals die Haare geschnitten, in formen, die mir nicht gefielen, oder Wertgegenstände zerstört - das ist vielleicht in gewisser Weise auch autoagressiv, aber doch noch vertretbar, wenn du verstehst, wovon ich rede...
Aber jetzt ist es so weit - ich schneide mir ins eigene Fleisch und kann mir nicht mal genau erklären warum.
Es ist so, dass in meiner Kindheit viel daneben lief - meine Eltern trennten sich, mein Vater versank im Alkohol, meine Mutter war arbeitslos und depressiv und kam ebenfalls mit einem Alkoholiker zusammen... Das geschah aber alles bevor ich es wirklich mitbekam, so, vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr - lediglich mein bruder bekam alles mit und ihm geht es psychisch heute blendend.
Inzwischen ist zu hause alles geregelt, meine Mutter hat gelegentlich irritierende Manien die mich nicht wissen lassen, woran ich bin aber sonst funktioniert es - zu meinem Vater habe ich ein stabiles verhältnis, er lebt mit einer wundernetten Frau zusammen in einem Haus und wann immer ich kann fahre ich ihn besuchen - auch mit meinem Stiefvater komme ich bestens klar, also, natürlich gibt es familär Probleme aber keine, die mich wirklich stark belasten würden.
Meine familie ist mütterlicherseits für psychische Krankheiten bekannt: Borderline, Dissoziative Persönlichkeitsstärung, Ptbs, so Zeug eben, die Brüder meiner Mutter sind allesamt kriminell, teilweise pädophil - klingt wie aus nem schlechten Buch, ich weiß.
Aber wahr, für mich aber auch nur bedingt wichtig, da ich schon seit ich zehn bin keinen Kontakt mehr zu diesem Familienzweig habe.
Tatsächlich habe ich jetzt also geschrieben was mich alles nicht belastet, und nun das, was mich belastet, was mir stets ein wenig lächerlich erscheint.
Vor jetzt neun Jahren gab es hier um Ostern herum einen Mord. Das ist in meinem Aufgang passiert, das Mädchen, dass damals sieben war, war meine beste Freundin und kam gerade von mir zu Hause. Sie wurde von einem Nachbarn ermordet und ihre Leiche vergewaltigt - danach verstaute man sie im Bettkasten - die Polzei fand sie tatsächlich schon nach wenigen Tagen, aber ich mache mir noch heute oft Vorwürfe deswegen, obwohl ich weiß, wie sinnlos das ist.
Sie wollte vor meiner Wohungstür auf mich warten, ich sollte damals aufräumen und sie durfte nicht mit rein. Ich hatte zwar ein schlechtes gewissen aber habe sie einfach stehen lassen- um mit meinem Bruder zu spielen. ich war neun oder zehn. Schließlich war sie weg als ich raus kam, ich war die letzte die sie lebend sah, abgesehen von dem Mörder, und ich weiß, dass er sie in die Wohnung gezogen haben muss als sie die treppen von mir herunter geschlendert war....
sicher vorstellbar, was das in mir auslöst - ich denke... wenn ich etwas früher rausgekommen wäre, wenn ich mich an meine versprechungen gehalten hätte, oder wenn ich ihr einfach gesagt hätte geh schon nach Hause wir sehen uns später - vielleicht wäre es dann nicht passiert - irgendwie fühle ich mich einfach immer noch schuldig, so irrational das auch ist.
Heute wache ich manchmal auf und habe die Bilder vor mir - von dem was er tut, von dem was sie tut, wie sie sich wert, was sie sagt, wie sie schreit und keiner sie hört - solche Bilder.
Wenn mich diese Sachen überwältigen, brauche ich einen Moment um mich zu fangen.
Weinen kann ich deswegen nicht, konnte ich noch nie, so richtig. mama hat damals mit mir geredet, aber ich habe bis heute nicht einmal angefangen es zu bearbeiten
ich habe eine art kiste für tote - wenn jemand stirbt, denke ich einfach nicht mehr darüber nach- wenn ich doch darüber nachdenken muss, tut es weh wie am ersten tag.
Ich kann damit leben, dachte ich, aber neuerdings kann ich das nicht mehr.
Inzwischen kamen noch einige "kleinigkeiten" dazu... kleine, sinnlose verluste von freundschaften.
Die erste person nach sarah, dem besagten mädchen, die mir wirklich nah war, erkrankte an magersucht und zog sich zurück, als ich sie vermehrt drauf ansprach. jetzt ist sie mit einem drogensüchtigen menschen zusammen und isoliert sich von allem. Die zweite person war vier jahre lang meine beste freundin - die dritte ein freund, mit dem ich drei jahre zusammen war - bis vor einem halben jahr, als beide zusamen kamen und mich fallen ließen.
ich habe die dumme eigenschaft, mich in beziehungen nicht fest binden zu können, sobald ich glücklich bin, suche ich mir jemand neuen, betrüge, belüge, verstricke mich in ein netz aus unwahrheiten und verliere alles, was mir wichtig ist - warum ich das tue weiß ich nicht, aber ich tu es immer wieder.
Die letzte beziehung war gar nicht ganz vorbei, da war ich schon in der nächsten- in dieser beziehung bin ich jetzt immer noch, und schon jetzt habe ich diesen freund wieder betrogen, und habe nicht mal ein ernsthaft schlechtes gewissen dabei -
ich fühle mich mir dabei fremd, aber an dieses gefühl habe ich mich gewöhnt, da ich bisher nicht einmal wirklich weiß, wer ich bin.
Ich würde mit all dem schon irgendwie zurecht kommen, weil ich immernoch ziele im leben habe und mich nicht umbringen würde, aber ich habe ein schlechtes gewissen. Und jetzt wird es seltsam:
Nicht mir oder meiner familie gegenüber, nicht meinen freunden gegenüber - mein lebensstil widerspricht dem, was sarah sich vom leben gewünscht hätte - und das macht mir zu schaffen. Sie hätte sich ein ruhiges leben mit einem menschen an ihrer seite gewünscht, da bin ich mir irgendwie einfach sicher - und ich könnte das alles haben,
ich habe menschen die mich unterstützen, bin nicht dumm und kann, und das weiß ich - wenn ich wirklich will und mich aufraffe beinahe alles schaffen was ich will -
aber ich tu es nicht. ich lasse mich fallen, schneide mir die arme auf, zerstöre meine beziehungen und freundschaften und lasse die schule schleifen - teufelskreismäßig weil mich die vergangenheit einholt und der schmerz der beziehungen mir zu schaffen macht - und dass ich es nicht hinkriege mein leben auf die reihe zu kriegen, was ich genau genommen ja nicht einmal will weil mir so ein muster leben voll blauer luft nicht gefällt - habe ich ein schlechtes gewissen gegenüber einer person die nicht einmal mehr existiert - und dieser gedanke tut widerum weh, weil ich ihren tod gar nicht akzeptieren kann.
ich habe das gefühl, dass sich das wirr und unnütz anhört, und ich weiß nicht mal, was ich mir davon erhoffe mich hier zu melden, vermutlich zuspruch und wegweiser - aber ich wollte es einfach mal erzählen und hofffe, ich werde irgendwie verstanden...
ich widerspreche mir selbst ohne zu wissen, wer ich bin, und das empfinde ich irgendwie schon als verwirrend.