Eine, wie ich finde, gute Zusammenfassung/Darstellung von Problemen
Offener Brief an die Bundeskanzlerin vom 18.11.2011 von Frau Dr. med. Regina Breul
Offener Brief: Kritische Fragen zu Hirntod und Organspende
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
im Rahmen der geplanten Novellierung des Transplantationsgesetzes werden aus unserer Sicht in der öffentlichen Diskussion wichtige Aspekte nicht thematisiert. Bisher erfolgt die Aufklärung der Bürger hauptsächlich einseitig pro Organspende. Die Belange des Organspenders werden weitgehend ausgeblendet.
Da in der internationalen medizinischen Fachliteratur der Hirntod als Tod des Menschen zunehmend in Frage gestellt wird, ist es unerlässlich, die Bürger wahrheitsgemäß, auch in einer für den medizinischen Laien verständlichen Form über Hirntoddiagnostik, Spenderkonditionierung und Organentnahme aufzuklären.
Im Organspenderausweis und in offiziellen Aufklärungsbroschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird bisher zwischen hirntot und tot nicht differenziert.
Das ist irreführend, denn aus einer Leiche lassen sich keine vitalen Organe explantieren. Der Bürger muss wissen, dass der hirntote Organspender allenfalls ein Sterbender im möglicherweise irreversiblen Hirnversagen ist. Wird die Freigabe zur Organentnahme durch verharmlosende Informationen und das Verschweigen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erschlichen, liegt eine rechtsgültige Zustimmung des Spendewilligen oder seiner Angehörigen nicht vor.
Höchst problematisch ist aus unserer Sicht die Meinung des Vorsitzenden der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Prof. Hans Lilie, Zitat:
..es bleibt den Einzelnen überlassen, sich selber die notwendigen Informationen zu besorgen, sodass eine Organspende auch dann zulässig ist, wenn der Betreffende sich für die Spende ausgesprochen hat, ohne über die Einzelheiten zuvor aufgeklärt worden zu sein. 1
Diese Position rechtfertigt Prof. Lilie rechtsdogmatisch damit, dass es sich bei der Organspende nicht um eine Verletzung der körperlichen Integrität handele, Zitat.: Bei der postmortalen Organspende wird nur das über den Tod hinauswirkende Persönlichkeitsrecht verletzt, wenn die Organentnahme ohne Einwilligung erfolgt. 2
Aus unserer Sicht wirft dieser Standpunkt ein Schlaglicht auf die derzeit fragwürdige Aufklärung über Organspende. Der Rechtsgrundsatz des informed consent wird elementar verletzt.
Außerdem finden Hirntoddiagnostik und teilweise auch die Spenderkonditionierung immer am noch Lebenden im Patientenstatus statt. Auch hier wird der Bürger in der Regel über mögliche Gefahren und Belastungen im Unklaren gelassen.
Aufklärung über Hirntoddiagnostik
Zur Feststellung des Hirntodes ist eine Hirntoddiagnostik nach den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgeschrieben. Über den Ablauf und die damit verbundene Risiken muss im Vorfeld wahrheitsgemäß aufgeklärt werden. Ist eine Organentnahme vorgesehen, handelt es sich um einen fremdnützigen Eingriff. Zustimmen kann daher nur der Spendenwillige zu Lebzeiten selbst. Weder Angehörige noch Betreuer sollten befugt sein, auf Grund des mutmaßlichen Willens des potentiellen Spenders zu entscheiden.
Fakt ist: Bei der Hirntoddiagnostik wird der noch lebende Spender diversen belastenden Testverfahren ausgesetzt:
Vorgeschrieben ist das Auslösen starker Schmerzreize durch das Stechen in die Nasenscheidewand und heftiges Kneifen, sowie das Auslösen des Würgereflexes und das Spülen des Gehörganges mit eiskaltem Wasser.
Zur Absicherung der Diagnose wird gelegentlich eine Angiographie mit Kontrastmittelgabe durchgeführt. Dieses Testverfahren kann beim noch lebenden Spender zu einem anaphylaktischen Schock mit Todesfolge führen.
Empfohlen wird in den Handreichungen zur Hirntoddiagnostik einzelner Kliniken auch die Gabe von 1 2mg Atropin, um festzustellen, ob eine baldige Hirntoddiagnostik sinnvoll ist. Atropin führt in diesen Dosierungen zur Pupillenerweiterung und kann unter Umständen (bei besonderer Empfindlichkeit ) auch gefährliche Herzrhythmusstörungen und komatöse Zustände auslösen. Diese Symptome könne u.U. die Hirntoddiagnose verfälschen. 3
Die entscheidende Untersuchung im Rahmen der Hirntoddiagnostik ist der Apnoe-Test. Selbst die DSO empfiehlt ihn als letzte klinische Untersuchung, um den Patienten nicht zu gefährden. Bei diesem Test kann es zu Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen und sogar zum Herzstillstand kommen. 4
Über belastende Untersuchungen, mögliche Gefahren und Fehleinschätzungen bei der Hirntoddiagnostik wird der spendenwillige Bürger derzeit nicht aufgeklärt. Dieses Wissen ist bisher nur dem medizinisch Geschulten zugänglich. Auch das widerspricht dem Rechtsgrundsatz des informed consent.
Vorbereitung auf die Organentnahme und Spenderkonditionierung
Die Spenderkonditionierung beginnt nicht selten schon vor der abschließenden Hirntoddiagnostik und dient dazu, die Spenderorgane auf ihre Qualität zu untersuchen und sie für die Transplantation zu optimieren.
Dazu gehören u.a.:
die Verabreichung von Antibiotika
Heparin zur Blutverdünnung (mögl. Nebenwirkung: Hirnbluten)
das Legen von zentralen Zugängen
bei geplanter Lungenentnahme u.U. eine Bronchoskopie
das Legen eines Herzkatheters
Die Spenderkonditionierung nach Hirntoddiagnostik ist medizinisch unerlässlich und nur bei korrekter Aufklärung erlaubt. Ethisch höchst problematisch allerdings ist eine Spenderkonditionierung vor der abschließenden Hirntoddiagnostik. Genau das aber wird in Fachkreisen zur Zeit unter dem Stichwort präfinale Spenderkonditionierung kontrovers diskutiert.
Solchen fremdnützigen Eingriffen kann nur der Spendenwillige selbst zu Lebzeiten zustimmen.
Weder Angehörige noch Betreuer sind aus unserer Sicht berechtigt, auf Grund des mutmaßlichen Willens zu entscheiden.
Aufklärung über den Ablauf einer Explantation
Bei der Organentnahme kommt es in vielen Fällen zu einem rapiden Blutdruckanstieg beim Einschneiden in den Spenderkörper, nicht selten auch zu heftigen Abwehrbewegungen.
Normalerweise gelten solche Phänomene als Stress- und Schmerzreaktionen. Da ein Schmerzempfinden mit letzter Sicherheit nicht ausgeschlossen werden kann, ist in der Schweiz inzwischen eine Vollnarkose bei der Explantation vorgeschrieben. Selbst die DSO empfiehlt zur Optimierung des chirurgischen Eingriffs 5Fentanyl, ein synthetisches Opioid (Opiat). Fentanyl ist eines der stärksten Schmerzmittel. Auch darüber müssen Spendewillige zu Lebzeiten korrekt aufgeklärt werden. Nur so können sie eine rechtlich verbindliche Entscheidung treffen. Wegen der Tragweite des Eingriffs darf der mutmaßliche Wille geäußert von Angehörigen oder Betreuern keine Erlaubnis für eine Explantation sein.
Forderungen
1.Verpflichtend ist aus unserer Sicht die systematische Erfassung, Meldung und Publikation von Fehldiagnosen bei der Hirntoddiagnostik.
2.Definitiv nicht möglich sein darf eine Berufung auf 34 Rechtfertigender Notstand bei einer Organentnahme ohne ausdrückliche Zustimmung. Laut Kommentar zum Transplantationsgesetz (Sengler et al. ,Erläuterungen zu 4 TPG , Punkt 9, S. 67 unten) ist die Berufung auf den Notstand zwar strafbar, aber gegebenenfalls doch möglich. Mit diesem Passus wird das Verbot ausgehebelt.
3.Rehabilitation und Palliativtherapie bei schwer hirnverletzten Patienten müssen absoluten Vorrang haben.
4.Zu forcieren ist die Forschung zur Weiterentwicklung von vollimplantierbaren Kunstherzen, von Organersatz aus adulten Stammzellen und technischen Systemen der Organunterstützung.
5.Um die Zahl der Organtransplantationen zu reduzieren, müssen geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von irreversiblem Organversagen ergriffen werden. Unerlässlich dafür sind Programme gegen Schmerzmittelabusus, Nikotin-, Alkohol- und Drogenmissbrauch.
6.Patientenbezogene Daten dürfen ohne ausdrückliche Zustimmung des Spendenwilligen (zu Lebzeiten) nicht an die DSO und Eurotransplant weitergegeben werden.
7.Auf Ärzte und Kliniken, die nicht an die DSO melden, darf kein Druck ausgeübt werden.
8.Eine Todesfeststellung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft darf nicht dazu führen, dass auch in Deutschland Organe von non heart beating donors (NHBD) entnommen werden dürfen. Auch eine Kopplung von assistiertem Suizid und Organspende, wie sie in Belgien bereits seit 2005 praktiziert wird, ist abzulehnen.
Dr. med. Regina Breul
http://www.diagnose-hirntod.de/?page\_id=197