Rücksichtslose Rempeleien, respektloser Umgang, Rülpsen in der U-Bahn, keine Lust, sich anzustrengen in einem Wutbrief an die Eltern schildert die Lehrerin Dagmar Biesterfeldt (46) die chaotischen Zustände in der 1. Klasse der Grundschule Neuland (Harburg) und nimmt die Eltern in die Pflicht, ihren Kindern Werte zu vermitteln. Das Schreiben spaltet die Elternschaft.
Eine kleine Dorfschule mit 104 Kindern am Rande Hamburgs, umgeben von Feldern und mit einem eigenen kleinen Streichelzoo die Grundschule Neuland wirkt wie aus dem Bilderbuch. Ausgerechnet hier soll es Probleme mit aggressiven ABC-Schützen geben?
Dagmar Biesterfeldt ist die Klassenlehrerin der 1. Klasse und hat sich in einem fünfseitigen Brief an die Eltern ihrer 24 Schützlinge Luft gemacht. Wir haben ein Problem mit Aggressionen an unserer Schule, sagt sie, und der Brief soll eine Gesprächsgrundlage sein.
Detailliert beschreibt sie das Verhalten ihrer Klasse auf einem Ausflug in die Kunsthalle Anfang Dezember, schildert die Sechs- und Siebenjährigen als desinteressiert und disziplinlos, mit schlechten Manieren und einem Hang zur Fäkalsprache.
Ich habe tagelang überlegt, ob ich den Brief schreiben soll, sagt Dagmar Biesterfeldt, aber ich wollte, dass die Eltern wissen, was in der Schule los ist. Und dass das ein Problem ist, das wir nur gemeinsam in den Griff bekommen.
Schulleiter Frank Böttcher (61) hat den Brief unterschrieben. Ja, wir sind hier eine Idylle, sagt er, aber seit zwei, drei Jahren kippt es. Die Kinder überschreiten Grenzen, verbal und körperlich. Die Schüler sollen sich wohlfühlen an unserer Schule, aber manche fühlen sich bedroht und deshalb müssen wir handeln.
Viele Eltern hätten positiv auf das Schreiben reagiert, sagen die Pädagogin und der Schulleiter. Es gibt aber auch Eltern, die sich den Ton des Briefes verbitten. Silke Gohlke (45), eine der angeschriebenen Mütter, ist empört: Wie kann Frau Biesterfeldt von den Kindern Respekt verlangen und uns Eltern so einen respektlosen Brief schreiben?
Sie ist selbst Lehrerin und räumt ein, dass es in der Klasse ihres Sohnes Probleme mit der Disziplin gibt. Daran sei allerdings das fehlende pädagogische Konzept der Lehrerin schuld und nicht die Kinder: Die Klasse ist bewegungsfreudig, aber keineswegs verhaltensauffällig.
Hier Auszüge aus dem Brief:
Wir waren in der Kunsthalle. Ich habe mich geschämt. Wir haben mit einer Führerin in den Kunsträumen gemalt. Ich habe mich entschuldigt.
Pinsel und Malutensilien werden verteilt und die Klopperei beginnt! Es wird laut, Kinder müssen ihrem Nachbarn ins Gesicht schreien, dass sein Bild doof (das Wort war ein anderes) ist.
Einige werden maulig, geben unpassende Kommentare ab und antworten auf Fragen von Frau G. mit Fäkalsprache.
Wir malen noch einmal auf dem Fußboden der Sammlung eigentlich eine tolle Erfahrung für Kinder. Freud- und anstrengungslose Versuche vieler Kinder, Striche aufs Papier zu bringen.
Endlich stehen alle, da trampeln Kinder mit dreckigen Schuhen über die Bilder! Absichtlich! Am nächsten Tag wird mir ein Kind erklären, dass ihm langweilig war und dass es dann ja wohl klar ist, dass es das tun kann.
Ältere Herrschaften steigen über Butterbrotpapiere, Rucksäcke und Kinder. Den Kindern kommt das nicht einmal komisch vor. Als ich sie auffordere, Platz zu machen, schauen sie mich verständnislos an und essen in Ruhe weiter!
Die Mitschüler werden angeschrien, geboxt, getreten und Rucksäcke umhergeschleudert. Ein älterer Herr bekommt auch einen ab. Eine Entschuldigung ist nicht zu erwarten.
Kinder lassen die Hälfte ihrer Sachen liegen in der Erwartung, dass es ihnen schon jemand hinterhertragen wird.
Es ist für die Kinder nicht einsehbar, dass wir in dem wuseligen Hauptbahnhof dicht zusammenbleiben müssen. Ich komme mir vor wie ein Schweinetreiber.
In der Bahn plötzlich vertraute Geräusche. Rülpsen! Kein Versehen, sondern volle Absicht. Wer kann es am lautesten? Sie denken: Die redet sicher von meinem Nachbarn? Falsch: Gehen Sie davon aus, dass ich auch von Ihrem Kind spreche es gibt nur sehr wenige Ausnahmen!
Sie denken: Wie putzig, das ist ja auch ihr Job? Falsch: Mein Job ist der, Ihre Kinder zum Lernen zu bewegen (...) Nur fehlen den Kindern die Basics dafür!
Die Kinder reagieren schlicht nicht mehr auf ganz normale Hinweise und Äußerungen egal von wem! Eltern, Lehrer, Begleiter oder auch fremde Museumspädagogen stoßen auf taube Ohren.
Von Eltern, die ich auf das aggressive Verhalten ihrer Kinder anspreche, ernte ich mildes Lächeln und Erklärungen dafür (Aha: Mit Erklärungen ist also alles erlaubt weiß bereits das Kind!).
Bekomme ich auch bei fünfmaligem (!) freundlichem und bestimmtem Ansprechen keine Reaktion, werde ich lauter. Sie schreien doch wohl keine Kinder an!? ist die Reaktion der Eltern.
Es geht nur zusammen! Das ist weder ein alleiniges häusliches Problem noch eines, das in der Schule zu lösen ist.
Kinder kommen bereits um 8 Uhr früh gut gefüllt mit einer Stunde Super RTL, gewalttätigen und blutrünstigen Gameboy-Spielen und einem beachtlichen Blutzuckerspiegel in die Schule.
Sie springen mit erhobenen Fäusten wie Ninjakämpfer in die Klasse, semmeln erstmal drei Mitschüler über den Haufen und merken es nicht einmal.
Allen Ernstes: Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie einst Ihren Säugling im Arm hielten? Wollten Sie solche Kinder? Und: Haben Sie das verdient?
In spätestens fünf Jahren rappen Ihre Kinder irgendwas von Respekt. Wie lächerlich!
Ich bin fest entschlossen, mich an die Arbeit zu machen und aus dieser Klasse doch noch mitfühlende, aufmerksame, respektvolle und respektierte Kinder zu machen (....) In der Klasse werden wir in nächster Zeit sehr streng an Werten und aufmerksamem Miteinander arbeiten. (...) Viele müssen erst mal die Erfahrung machen, dass es angenehm ist, sozialverträglich zu handeln.
Kaufen Sie nicht gleich neue Sachen, wenn mal was weg ist. Ihr Kind muss merken, dass es Konsequenzen gibt und es dann halt mal Wasser aus dem Hahn trinken muss, bis es die Trinkflasche wiedergefunden hat.
Lassen Sie Ihre Kinder mal was für Sie tun: Ein Glas Wasser holen oder den Müll rausbringen. Bedanken Sie sich, aber loben Sie nicht oder kommen gar mit einer Gegenleistung.
Was denkt ihr darüber? Ich richte meine Daumen nach oben!