Die Planbarkeit der Mutterschaft
Liebe Annabell,
du schreibst
"Mit der Pille und vergleichbaren Hormonpräparaten kann man bei richtiger Anwendung eine etwa 99%ige Verhütungswirkung erreichen, die man durch eine zusätzliche Verhütung mithilfe eines Kondom noch steigern kann.
Was ich mich dann Frage ist, wieso werden dennoch so viele Frauen überraschend und völlig ungewollt schwanger, dass in Deutschland etwa 1000 Abtreibungen pro Werktag "nötig werden".
Immer wieder lese ich, Frauen würden zufällig und völlig überraschend schwanger."
Diese 99%ige Sicherheit muss man mal kritisch betrachten. Ich hatte mich vor meiner eigenen SS auch noch nie so tiefgehend auseinandergesetzt. Denn eigentlich stimmen diese 99% so gar nicht.
Die Pille hat z.B. einen theoretischen Pearl-Index von 0,1. Das heißt von 1000 Frauen wird innerhalb eines Jahres (!) eine trotzdem schwanger, bei absolut korrekter Anwendung. Rechnet man noch unbemerkte Anwendungsfehler dazu, sind es schon 9 von 1000. Wenn etwa 5 Mio Frauen in DE mit der Pille verhüten, ergeben sich also allein zwischen 5000 und 45.000 TroPi-Kinder im Jahr! Diese Dimensionen muss man sich mal bewußt machen. Und wenn man dann noch bedenkt, dass eben viele nicht mit Pille, sondern mit unsichereren Methode verhüten (müssen oder wollen), kann man sich ganz leicht ausrechnen, dass auch mit Verhütung noch eine große Menge ungewollter SS entstehen.
Auf die gesamte fruchtbare Lebenszeit gesehen, ist es sogar ziemlich wahrscheinlich (sofern man über die Jahre hinweg sexuell aktiv ist), dass frau irgendwann in ihrem Leben einmal an dem Punkt steht, ungeplant schwanger zu sein. Bei der Pille liegt die Wahrscheinlichkeit mWn bei 1:3, irgendwann trotz Pille ss zu werden.
Daher klar Zustimmung bei deiner Aussage "Eine 100%ige Sicherheit nicht schwanger zu werden gibt es nicht, wenn man Sex hat."
Nun ist aber die Frage, was bedeutet das?
Wenn man eine Abtreibung von vorneherein ausschließt, heißt das im Grunde gäbe es nur 2 Optionen: Enthaltsamkeit, oder die Bereitschaft Mutter zu werden (damit meine ich auch bereits das Austragen und Gebären eines Kindes mit allen dazugehörigen körperlichen, psychologischen und sozialen Konsequenzen, die allesamt enorm sind)
Du selbst schreibst "Ich bin sicherlich keine Verfechterin von "kein Sex vor der Ehe", daran habe ich mich schließlich selbst nicht gehalten. Auch bin ich kein Feind von Sex, er bereitet mir persönlich die Größte Freude."
Ich halte Enthaltsamkeit auch nicht für ein gangbares Konzept. Zum einen denke ich, dass es an der Umsetzung scheitert. Zum anderen darf man auch nicht unter den Tisch fallen lassen, dass Sex nicht nur eine einzige Funktion hat. Auch biologisch nicht.
Sex fördert und stärkt z.B. die Bindung zwischen Partnern, führt zu Ausschüttung von Glückshormonen, die zufrieden machen, die Treue stärken und zudem auch noch aggressionshemmend sind.
Wer auf all dies freiwillig verzichten möchte oder kann, soll dies tun. Aber vorschreiben kann man es keinem, diesen wichtigen Teil des Lebens und einer Partnerschaft auszuklammern.
Auf der anderen Seite - muss ich als sexuelle aktive Frau ein Kind wollen sollen? Ich meine nicht. Niemand kann einem anderen Menschen vorschreiben, etwas bestimmtes zu wollen. Auch und gerade nicht Mutterschaft.
Und deiner Logik zufolge dürften dann z.B. Frauen, die überhaupt keine Kinder haben wollen, oder die aus gesundheitlichen Gründen keine haben können, lebenslang auf Sex verzichten - denn sie könnten ja schwanger werden.
Nein, dies wäre ein Eingriff in das Privatleben anderer Menschen und eine Forderung, die aus meiner Sicht einfach unzumutbar ist.
Wenn also weder erzwungene Enthaltsamkeit noch erzwungenes Kinderwollen funktionieren und Verhütung nur eingeschränkt verläßlich ist, müssen Schwangerschaftsabbrüche immer eine mögliche Option bleiben.
Rein pragmatisch gesehen. Ich verzichte an dieser Stelle bewußt auf eine Erörterung moralischer Aspekte in der Abtreibungsdebatte. Diese sind hier im Forum ja an anderer Stelle schon tausendfach diskutiert worden.