Beziehungsangst..
Ich habe mir deinen Eintrag einfach mal durchgelesen und mir fast gedacht, dass der doch eigentlich genau so gut von mir hätte sein können. Also be ich mir mal viele Gedanken dazu gemacht (da ich momentan sowieso in einer ähnlichen Situation bin.)
Nun, ich denke, dass Beziehungsangst ein Phänomen unserer Zeit ist, das es in der Form vorher eigentlich nicht gab. Oder auf jeden Fall nicht so stark. Das liegt unter anderem an dem Individualismus in unserer Gesellschaft: Der Einzelne ist wichtig, der Einzelne ist etwas besonderes, der Einzelne soll sich entwickeln und sein Leben gestalten, blabla (und das während unsere Regierungen uns auf Humankapital reduzieren ..).
Aber was ist der Einzelne tatsächlich auf der Welt? Was kann man den wirklich ganz alleine? Zur Zeit habe ich ein ähnliches Problem wie du auch. Ich habe einen Mann zur Auswahl, der wirklich was im Kopf hat, sehr altruistisch (ich persönlich bin nämlich ein relativ egoistischer mensch ..) und dennoch nicht naiv ist, gut aussieht, sympathisch ist. Und als ich ihn kennen lernte, war ich mir sicher, dass ich dieses Mal jemanden getroffen hatte, mit dem ich lachen und leben kann und in den ich mich vielleicht irgendwann sogar einmal verlieben könnte. Aber ab dem Moment wo er sein Interesse äußerte, antwortete ich aus Reflex: Nein, ich will keine Beziehung, ich würde es wahrscheinlich auf meine besondere Art versauen oder weglaufen - Egal wie, du würdest mich dann mehr hassen als jetzt.
Wieso? Ich mochte diesen Typen doch eigentlich, oder etwa nicht? Ich habe viel darüber nachgedacht und mit 3 Leuten darüber geredet. Und alle haben mir dasselbe gesagt: "Süße, wenn du so weiter machst, kannst du dein Leben genau so gut für die nächsten 60 Jahre im Single-Dasein vorplanen."
Jetzt hätte mich früher so ein Satz genau so zum ausrasten gebracht, wie dich diese "omg, wir sehen uns nur 2 st."-Sätze (die mich übrigens auch immer sehr aufregen, weil das auch sehr unnötig und übertrieben und die die entgegengesetzte Richtung zu weit gegangen ist). Doch als sie dieses Mal hörte, haben sie mich zum Nachdenken gebracht. Jetzt waren die 3 Personen seine Schwester, jemand der seit langem in mich verliebt und ein sehr guter Freund ist und meine Schwester. Und das sind 3 Personen, die auf keinen Fall entgegen mein Interesse arbeiten (sogar der, der in mich verliebt ist, war entsetzt über mich..zugegebenermaßen war es bei ihm damals ähnlich, nur ich hatte ich ihn nicht so gerne wie den jetzt). Und sie haben Recht. Meine Entschuldigungen und Gründe, nicht mit jemandem zusammen zu sein, resultieren alle nur aus der Angst, es überhaupt zu versuchen und aus der Angst, die Person am Ende zu verletzen. Denn ich bin mir immer sicher, dass ich meinen Partner verletzen werde und auch vertreiben werde.
Ich habe mich aber dieses Mal von jemandem abgewendet, bei dem ich mir sicher bin, dass es mir gut gehen würde. Und jetzt habe ich seiner Schwester versprochen, es mir gut durch den Kopf gehen zu lassen und alles was mir durch den Kopf geht ist pure Angst. Angst vor dem, wozu Liebe fähig sein kann, wozu ich fähig sein kann. Ist euch schon einmal aufgefallen, dass niemand so konservativ über die Liebe denkt, wie die Menschen, die Beziehungsangst haben? Und das niemand so sehr eine Beziehung braucht und will, wie Menschen mit Beziehungsangst? Das niemand körperliche Nähe sosehr sucht und auch intelektuelle/geistige Nähe? Dennoch verlieben sie sich nie richtig, oder zumindest stellen sie ihren Wunsch nach Freiheit höher. Nun, dieses Mal will ich das nicht. Ich will nicht noch einmal meine Angst mich daran hindern lassen, einfach einmal mein Glück zu finden. Einfach einmal eine glückliche Beziehung zu haben.
Und das rate ich auch dir. Ich weiß, dass du dir jetzt sicher denkst: WAS!? SPINNST? Und vielleicht tu ich das ja auch, wer weiß. Doch Fakt ist, dass Menschen nicht dazu geschaffen sind, alleine zu sein. Und irgendwann wollen unsere Seelen sich ausruhen, unsere Gemüter sich beruhigen, unsere Weg sich verkürzen. Und Beziehungen sind genau so positive Erfahrungen, wie es alleine schaffen. Es ist genau so schwer, für 2 zu denken, jemand anderen zu lieben und glücklich zu machen und zu respektieren, und gleichzeitig auch dich selbst. Wer das schafft, und darin glücklich sein kann, hat meiner Meinung nach viel von Beziehungen verstanden. Wer das kann hat dann auch eine sehr positive Erfahrung im Leben gehabt.
Und du hast recht: Alleine im Leben klarkommen ist eine positive Erfahrung. Aber das habe ich die letzten Jahre meines Lebens seit meiner Geburt getan. Meine Drogenabhängigkeit, meine Depressionen, die Depressionen meiner Mutter die meine Schuld waren und bis heute anhalten, das gestörte Verhältnis zu meinen Eltern (insbesondere meiner Mutter), eine sehr negativ erfahrene Beziehung (die unter anderem Schuld daran ist, dass ich es nicht einmal mehr versuchen will). Das und natürlich die Gründe und Folgen und alles weitere. Ich gebe dir wirklich recht, es stärkt den Charakter. Es macht einen fähig zu leben. Aber es macht einen nicht notgedrungen glücklich. Man isoliert sich nur von der Welt und kommt alleine klar, doch irgendwann, wenn man lange genug so gelebt hat (und ich habe mehr als lange genug so gelebt), wird einem bewusst, dass einem Nähe fehlen kann. Und auch Geborgenheit, Liebe, Verständnis können einem fehlen. Im Moment muss ich viele Entscheidungen für mein Leben treffen und das interessiert eigentlich nicht die Menschen, die es interessieren sollte. Weißt du warum? Weil sie davon ausgehen, dass ich es alleine kann. Und das stimmt. Dennoch will man nicht unbemerkt auf der Welt bleiben, man will,dass sich jemand für einen interessiert. Und irgendwann merkt man, dass Freundschaften zwar wunderschön, wenn nicht stärker sind. Aber sie sind nicht dasselbe. Und man muss ja nicht direkt jemanden lieben, wenn man mit ihm zusammen ist. Man muss ihn nur sehr mögen und Liebe die Chance geben, sich zu entwickeln. Nicht rumsitzen und warten. Der "richtige" Partner kommt nicht irgendwann vorbei und selbst wenn, auch dann gilt: Du musst dafür arbeiten.
Ich hoffe, dass ich es diesmal schaffe und ich hoffe, dass auch du das irgendwann wirst. Vielleicht brauchst du es noch nicht und das ist gut so. Aber ich bin mir sicher, irgendwann wirst du mir vielleicht sogar recht geben.
Und ich würde gern mit einem kleinen Zitat schließen von Henry V.Dike's Gedicht "Keeping Christmas". Es lohnt sich, das auch mal zu lesen. Tu es mal. Vielleicht verstehst du dann auch ein bisschen was ich meine.
Danke fürs Lesen (an alle, die es lesen).
"Then you can keep Christmas.And if you can keep it for a day, why not always? But you can never keep it alone." -Henry V.Dike