dareia_12441902Poland Syndrom
Heey Froschji,
aber natürlich darfst Du mir fragen stellen. Ich möchte dir gerne Mut machen & Dir die durchaus verständlich Angst bzw. Sorge nehmen.
Also, meine Hände sehen normal aus. Damit meine ich, dass keine Fehlbildung oder ähnliches ersichtlich wird. Erst wenn man genauer hinsieht und die Größe beider Handflächen vergleicht wird deutlich, dass teilweise ein Unterschied von ca. 1cm vorhanden ist. Außerdem habe ich ziemlich ausgeprägte Mittelknochen, aber das war bislang kein Problem. Für mich zumindest, denn so genau sieht sich niemand deine Hände an.
Die erste Operation habe ich im April 2009. Ich war also 19. Wann für einen Betroffenen aber der richtige Zeitpunkt für eine Operation gekommen ist, hängt in erster Linie von Deiner körperlichen Entwicklung ab. Es varriert hier sehr stark. Während manche mit 17 vollständig entwickelt sind, sind wiederum andere es erst mit 20.
Zu Deiner Frage bzgl. Beziehungen etc. Ich weiß nicht, wie alt Du bist & fange daher damit an, von meiner ersten Beziehung, die ich mit 12 eingegangen bin und 4 Jahre hielt, zu erzählen. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich erst bemerkt, dass bei mir irgendwas anders ist. Klar, schön war es nicht & ich wußte, dass es sicherlich nicht "normal" ist. Ich muss dir aber auch ehrlich sagen, dass ich mit 12 noch nicht so weit gedacht habe, das man ja auch irgendwann Intim wird. Dieses "Intim" kam dann aber mehr oder weniger plötzlich. Damals konnte ich mich mit meinem Übergewicht und dem daraus resultierenden Unwohlsein "rausreden". Ich habe also immer BH & Tshirt angelassen. Das ging aber nicht lange gut. Nicht, weil es ihm aufgefallen ist, sondern weil ich einfach das Bedürfnis hatte, meinem Partner davon zu erzählen. Denn auf Dauer bringt es Dich absolut nicht weiter, dass zu verschweigen. Ich habe es ihm gesagt & er hat es voll und ganz akzeptiert. Es war für ihn okay.
40kg leichter & fünf Jahre später ging ich erneut eine Beziehung ein. Bis Dato war ich noch nicht operiert. Also wurde das gesamte (extreme) Ausmaß des Polandsyndrom ersichtlich. Zumindest dann, wenn man Intim wurde. Wenn ich mich recht erinnern kann habe ich es meinem damaligen Partner bereits gesagt, bevor wir zusammen gekommen sind. Auch für ihn war es ein kleineres Problem, als für mich. Denn ich habe nach wie vor in jeder Situation einen BH getragen. Zu 99%. Die Beziehung scheiterte nach 9 Monaten, aber ich bin mir sicher, dass es nicht daran gelegen hat. Im Gegenteil, er hat mich sogar in den ersten Schritten, die zu einer Operation notwendig waren unterstützt. Ich konnte auf ihn bauen.
Eine weitere bedeutungsvolle Beziehung ging ich Mitte letzten Jahres, also kurz nach der Operation, zu meinem (heute leider nicht mehr) besten Freund ein. Bei ihm war es also nicht notwendig, ihm vom vorhandenen Polandsyndrom zu erzählen, da wir uns seit über 10 Jahren kennen, er wußte es halt. Während beider Krankenhausaufenthalte war er immer da, hat mir Mut gemacht, mir zugehört. Es haben sich Gefühle entwickelt, wir sind zusammen gekommen. Alles gut & schön. Ich habe sowohl vor, als auch während der Beziehung viel mit ihm über das Polandsyndrom gesprochen, so dass kaum Fragen aufkamen. Natürlich, gab es oft Situationen, in denen ich ihn daran erinnern musste. Z.B. sind wir kurz nach der Operation in den Urlaub gefahren. Schwimmen oder schwere Dinge tragen war allerdings nicht möglich. Für ihn ist es aber einfach zum Alltag geworden, so dass er nicht immer darüber nachgedacht hat. Das ist alles andere als schlecht, denn ich denke, wenn du offen mit Deinem Partner darüber sprichst & ehrlich zu ihm bist, dann wird er das Polandsyndrom als ein Teil von Dir akzeptieren. Es wird "normal", was es auch für einen Partner sein sollte, da es für Dich wirklich wichtig ist, dass Du von Menschen umgeben bist, die es als solches betrachten & Dir in entsprechenden Situationen Mut machen können.
Derzeit habe ich keinen Freund, aber ich mache auch kein Geheimnis mehr daraus, das ich das Polandsyndrom habe. Wie Du bereits sagtest, es wird immer ein Unterschied sichtbar sein. Auch wenn der Arzt super super super super gut ist, kann er Dir keinen fehlenden Brustmuskel zaubern, denn das dieser fehlt, das wird immer sichtbar sein.
Für mein Empfinden, ich habe es extra noch mal getestet ;-), ist ein Implantat nicht härter als eine Naturbrust. Ich lese, dass es bei 90% aller derartigen Operationen so ist, dass auch bei der normal angelegten Brust ein Implantat eingesetzt wird, damit es symmetrisch wird. Natürlich ist ein Brust mit Implanteten, meiner Meinung nach, härter, aber wenn Du mal operiert bist, ist dass das geringste Problem, da ohnehin auf beiden Seiten ein Implanat vorhanden ist.
So, was sagt man einem Partner meiner Meinung nach am Besten. Ganz klar. Die Wahrheit. So schwer es Dir verständlicher Weise fallen wird, ist das meiner Meinung nach das einzigst sinnvolle. Ich weiß nicht, wie Du das siehst, aber wenn du eine Beziehung eingehst dann erhoffst Du Dir ja wahrscheinlich, dass es möglichst lange hält. Das Alter spielt dabei keine große Rolle. & in einer langfristigen Beziehung ist es notwendig ehrlich zu sein. Du tust Dir auch selbst keinen Gefallen, wenn du es ihm verheimlichst, da Du Dich unwohler fühlen wirst, also Du es ohnehin schon tust. Du wirst unbewusst immer darauf bedacht sein, dass das Polandsyndrom nicht sichtbar wird und verhälst Dich dadurch automatisch anders, gar komisch oder verwirrt. Bei mir war es oft so. Sag Deinem Freund, was Sache ist & sei offen für Fragen. Natürlich würde ich nicht jedem Freund sofort auf die Nase binden, dass man das Polandsyndrom hat. Es sollte schon eine gewisse Zeit vergangen sein. Ganz wichtig, Du solltest ihm vertrauen & Dich bei ihm wohlfühlen können.
Da ich selbst das Polandsyndrom habe kann ich gut nachvollziehen, dass Du Dich dafür schämst, die Wahrheit zu sagen. Doch das musst Du wirklich nicht. Du kannst nichts dafür, dass Du bist, wie Du bist. Im Gegenteil. Du bist sicherlich ein ganz wunderbarer Mensch, der andere Stärken und Fähigkeiten hat, die andere nicht haben. Auch andere Menschen haben Schwächen, die ich teilweise als gravierender empfinde, als unser "Defiizit", auch wenn sie nicht so ersichtlich sind. Du musst Dich nicht für das Schämen, was Du hast, bzw. eben nicht hast, sondern versuch stolz auf das zu sein, was du gern hast, was Du bist und wer Du bist. Wenn jeder Mensch dem anderen gleichen würde, wäre das Leben doch recht langweilig. Zudem lässt sich gegen unser Problem etwas tun. Wenn aber ein Mensch die Schwäche der Unehrlichkeit oder Ignoranz zeigt, so lässt sich dagegen nichts machen.
Ich hoffe, dass ich Dir ein wenig mit meinem kleinen Roman helfen konnte :-D. Wenn Du noch fragen hast, dann habe keine Angst davor, sie zu stellen. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden :-)