sanftundsinnlichDas geht auch meiner Meinung nach zu weit. Aber ich glaube nicht, dass diese Praxis in der ganzen DDR Standard war.
Ich kann nicht viel dazu sagen, bin zu spät geboren, 1991, in Westdeutschland, und erst 1999 nach Berlin gekommen, als dass ich die Deutsche Demokratische Republik noch hätte aus erster Hand erleben können.
Generell habe ich ein bisschen ein Problem damit, wenn ich über die DDR urteilen soll.
Ich denke von dem her, was die Leute mir über ihr Leben erzählen, zB meine Mieter/innen, die Mehrheit der Bürger/innen der DDR wollte halt leben, ihr Auskommen haben, wie andere Leute auch, und die Leute haben das beste aus ihrer Situation gemacht. Und dabei noch in den Westen exportiert.
Für viele dürfte die Art, wie die Wiedervereinigung gelaufen ist, ein Schlägeprasseln ins Gesicht gewesen sein.
Nicht wegen der großen Ideen, der Ideologie - Kommunismus versus Kapitalismus und der ganze Mist, sondern, weil ja jedem einzelnen im Prinzip gesagt worden ist:
"Jetzt hält hier das Westliche Einzug. Jetzt wird es ganz toll. Dein ganzes bisheriges Leben, deine Arbeit in deinem Betrieb, deine Wohnung im DDR-Hausbau, deine DDR-Produkte, deine Währung, dein Auto, deine Briefmarken, deine Infrastruktur, alles wofür oder worin du bisher gelebt hast, alles was du geliebt oder gehasst hast - das war alles Mist!"
Und das glaube ich nicht. Wenn ich mir überlege, was ich denken würde, wenn irgendejmand -pardon- angeschissen käme, um mir zu erklären, mein bisheriges Leben, meine ganze bisherige Daseinsbewältigung, alles, worin und wofür ich gelebt habe, was ich geliebt und was ich gehasst habe, war alles Mist, und er zeigt mir jetzt, wie das alles viel besser geht, ...
Einschränkung der Reisefreiheit, Verbote bestimmter Bücher/Musik, Stasi, Bespitzelung der Bürger, Zensur, Gängelung der Presse, Sachen nicht kaufen können weil sie aus dem falschen Land kommen etc ist das eine. (Haben wir aber jetzt auch alles, bloß anders gelabelt, und manches vielleicht nicht so auffällig.)
Aber wieso soll zB die Arbeit eines Jugendherbergsvaters oder einer Jugendherbergsmutter oder eines Fischkutterfahrers von der Insel Rügen, oder eines Metallarbeiters oder einer Mathelehrerin oder einer Arbeiterin einer Großbäckerei oder eines Streifenpolizisten (was mir halt grade spontan stellvertretend so einfällt) nach all den Jahren plötzlich im Prinzip bloß deswegen Mist gewesen sein, weil sie in der DDR stattgefunden hat? Wieso sollen die unter dem Markennamen "Wieger" verkauften Sturmgewehre des VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa deswegen schlechter als andere gewesen sein, weil sie aus der DDR kamen? ZB das Kombinat Robotron hat in Sachen Computerentwicklung schon auch ein paar Pionierleistungen vollbracht. Wieso sollte das nicht mehr cool sein, bloß weil es in der DDR stattgefunden hat?
Ich vermute, diese Denkweise, Sachen, die die Leute geliebt haben, für die und mit denen die Leute gelebt haben, auf die sie nicht zu Unrecht stolz waren, dürfen nicht mehr cool sein, bloß weils DDR war und die DDR halt auch SED hatte, hat vielen derbe auf den Magen geschlagen.
Mit diesem oktroyierten Pseudo-Aufbruchsgeist, der Einzug des Westlichen mache gar alles besser und alles müsse schnell ersetzt werden, wurden meiner Meinung nach ganze Lebenswerke von Leuten, die es halt in diesen Staat verschlagen hatte, und die halt hier für ihre Heimat ihr bestes getan hatten, und halt hier eingewurzelt waren, pauschal abgewürdigt und mit Füßen getreten.
Wenn man sich im Guten ehrlich (wieder)vereinigen will, den anderen als Partner betrachtet, der es wert ist (nicht im Sinne von Verschlingen sondern im Sinne von Wertschätzen), dass man sich mit ihm vereinigt, dann schaut man nicht aufeinander herunter, aber genau das hats wohl oft genug gegeben, auf beiden Seiten, aber im Westen gabs wohl mehr Leute, die sich dabei als Sieger gefühlt haben, und im Osten mehr Leute, die sich dabei als Verlierer gefühlt haben - obwohl sie jeweils bloß daheim saßen. Statt dass man den Leuten klargemacht hätte, dass es bei einer ehrlichen Vereinigung nicht um eine Einteilung in genugtuungsvolle Sieger oder gedemütigte Verlierer gehen sollte.