wandererIch kenne den Universitätsbetrieb. Ich musste im Studium auch einiges an Mathe machen. (Bei der Promotion wars viel weniger.) Wenn ich an der weiterführenden Schule keinen guten Matheunterricht gehabt hätte - ich hatte Glück, dass ich an einer Schule war, wo es das noch gab - , wäre ich an der Universität nicht weit gekommen. Was ich im Internat bekommen habe, ist aber leider nicht mehr repräsentativ für unsere Gymnasien.
Ich habe viele um mich herum schon im ersten und zweiten Semester an den Scheinen für die Rechenübungen und daran, dass sie sich nicht an den Universitätsbetrieb und die geforderte Eigeninitiative gewöhnen konnten, scheitern sehen, weil sie an den weiterführenden Schulen, an denen sie vor Studienbeginn waren, nicht gut vorbereitet worden waren.
Ich unterschätze diese Mathesachen nicht. Ich überschätze sie aber auch nicht: Vieles ist nicht wirklich kompliziert, aber man internalisiert es durch Üben. Die Synapsen im Gehirn passen sich an die Aufgaben an, mit denen sich das Gehirn beschäftigt. Anders gesagt: Mit der Zeit entwickelt man auch Routine. Aber diese Zeit muss man haben. Erst wenn man die Routine hat, kommen einem die Dinge nicht mehr kompliziert vor.
Der Glaube, ein Einsteigerkurs, wo man nochmal Potenzrechnen und solche Sachen durchnehmen soll, könnte in ein paar Tagen den Umstand kompensieren, dass man an eine Schule jahrelang in Mathe keine guten Grundlagen erhalten hat, sodass einem jedwede Routine fehlt, von der der Dozent im Hörsaal aber ausgeht, ist illusorisch.
Diese Kurse gabs auch schon vor zwölf Jahren, als ich mit Studieren anfing. Ich hab da auch mitgemacht - hauptsächlich, um mich an der Uni einzuleben. In diesen Kursen werden die Leute in schnellem Tempo mit vielen Dingen konfrontiert, die sie kompliziert finden, können in der kurzen Zeit aber nicht lernen, routiniert damit umzugehen. Sie erlernen dort aber das Gefühl, dass man an der Universität ständig mit Dingen bombardiert werden wird, mit denen man nicht klarkommt. Wenn dann das Semester anfängt, die Vorlesung und die Rechenübungen, dann haben die Leute Angst und machen sich verrückt. Hab ich im Studium um mich herum oft wahrgenommen.
Aber das alles ist für mich nicht der springende Punkt. Der springende Punkt für mich ist:
Wieso ist es nicht mehr selbstverständlich, diese Sachen an den Gymnasien zu lehren, die den Schüler zur Hochschulreife führen und zum Universitätsstudium befähigen sollen?
Wieso können die bei Sachen, die man in früheren Jahrzehnten problemlos den Schüler/inne/n beibringen konnte, heutzutage ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen?
Wenn Schulen, die zur Hochschulreife führen sollen, nicht mehr in der Lage sind, den Stoff zu vermitteln, der notwendige Voraussetzung für Hochschulreife ist, dann machen sie den Job nicht, für den sie da sind.
Dann liegt im Schulsystem was im Argen. Dann sinkt das Bildungsniveau der Schulabgänger/innen immer mehr ab.
Ich mache das nicht den Schulabgänger/inne/n zum Vorwurf, sondern dem Schulsystem und der Bildungspolitik.
Wenn die Hochschulen dann, anstatt drauf zu drücken, dass die Schulen ihren Job machen, dies übernehmen, könnte es dahin führen, dass man an den Schulen acht bis neun Jahre lang gar nichts Vernünftiges mehr beigebracht bekommt, und die Hochschulen für Hochschulanfänger/innen Kurse im Lesen und Schreiben anbieten müssen.
Die Art und Weise, wie heutzutage die Schulen ihren Bildungsauftrag durchführen, empfinde ich in etlichen Bereichen als eine Verschwendung der Lebenszeit von solchen Schüler/inne/n, die wirklich etwas lernen wollen.