Hallo ihr Lieben,
Ich habe schon vor sechs Monaten hier geschrieben, vielleicht erinnert sich der eine oder andere von euch noch daran. Damals habe ich über den Umstand berichtet, dass sich mein Freund nach mehreren Jahren Beziehung und ziemlich direkt nach unserer Verlobung mir gegenüber als transsexuell geoutet hat. Ich habe damals gehofft, dass einer von euch eine magische Lösung für mein „Problem“ parat hätte. Ich habe viele Denkanstöße bekommen, aber muss leider gestehen, dass ich bis vor kurzem kein bisschen weitergekommen bin.
Mein Freund hat mittlerweile einen Therapieplatz bekommen. Bei der Therapie wird fast ausschließlich über seine Depression (welche anscheinend durch meine ablehnende Haltung entstanden/wiedergekehrt ist) gesprochen und die Transsexualität kaum bis gar nicht thematisiert. Zu Beginn der Therapie war sein Ziel, dadurch einen Weg zu finden, mit der Transsexualität zu leben, ohne sie auszuleben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das für mich gemacht hat, denn ich habe ihm gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, mit ihm (partnerschaftlich) zusammenzubleiben, wenn er als Frau lebt. Die Depression wurde durch dieses ständige verleugnen und die Ausweglosigkeit seiner Situation nur verschlimmert und der Alltag wurde für ihn zur Tortur, alles war ihm plötzlich egal.
Auch für mich war diese Zeit eine unglaubliche Qual. Ich musste zusehen wie mein Freund sich meinetwegen kaputt macht. Ich hätte es gerne für ihn beendet, einfach damit er nicht für mich an dem alten Leben festhalten muss, aber leider hat mein Freund nicht sonderlich viele Kontakte und wäre ohne mich wohl ziemlich alleine. Außerdem fühle ich mich verantwortlich für seine Lage und kann nicht einfach gehen. Ich habe jeden Tag geweint, pendelte mit meinen Gefühlen zwischen Schuld und Wut, weil er mich jahrelang belogen hatte und mein Leben nun in Scherben vor mir lag. Ich habe trotzdem immer versucht daran festzuhalten. Ich habe unsere Hochzeit weiter geplant, mit dem Wissen, dass ich mir ein Luftschloss aufbaue.
Vor wenigen Tagen hatten wir ein ernstes Gespräch über unsere Zukunft. Wir beide haben festgestellt, dass es so nicht weitergehen kann. Wir leben nicht mehr, wir existieren nur noch nebeneinander, ohne überhaupt eine konkrete Vorstellung von unserer Zukunft zu haben. Nach langen Gesprächen, die sich immer nur im Kreis drehten, weil wir uns beide nicht verletzen wollen und keiner den anderen verlassen kann oder will, haben wir nun einen Entschluss gefasst: Er wird das tun, was wohl unausweichlich ist, und sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen und sein weiteres Leben als Frau leben. Ich bleibe an seiner Seite bis ich nicht weiter kann. Ich spiele mit offenen Karten und sage ihm, dass ich diesen Weg höchstwahrscheinlich nicht bis ans Ende als Partnerin mit ihm gehen kann. Dass die Entscheidung gefallen ist, nimmt uns beiden unglaublich Druck.
Je mehr ich aber darüber nachdenke, desto mehr beschleicht mich die Angst, dass ich schon jetzt nicht mehr kann. Ich habe das letzte dreiviertel Jahr nur irgendwie existiert, komme ungern heim, habe Angst, wieder eine neue traumatisierende Nachricht zu bekommen oder das Thema irgendwie zufällig anzuschneiden. Ich weine unglaublich oft und kann mich nicht beruhigen, keinen klaren Gedanken fassen. Überhaupt weiß ich nicht, was ich von all dem halten soll. Meine Angst ist es, dass ich den Absprung nicht schaffen werde. Ich bin Anfang 20 und habe so große Angst, mein Leben lang unglücklich sein zu müssen, weil ich jetzt eine falsche Entscheidung treffe. Die Beziehung an sich ist nämlich wunderschön: Wir haben eine zarte, wunderschöne Liebe füreinander und ich habe Angst auf die eine oder andere Art mein größtes Glück zu verlieren. Habt ihr vielleicht aufbauende Worte für mich oder könnt mir irgendwie helfen? Wart ihr schon einmal in einer scheinbar aussichtlosen Situation und falls ja, wie habt ihr diese für euch gelöst? Ich habe so viel Angst…