an0N_1189750099zSchein und Sein
von:avarrassterne
Wir Grenzgänger werden oft mit den wildesten Beschreibungen versehen.
Narzistisch ist gern dabei, egoistisch, pseudolisch (krankhaft lügend), gefühlskalt, psychopathisch hab ich hier belustigt auch schon gelesen, manches in der Art. Wenn Ihr das von Eurem Freund / Partner / Angehörigen denkt, drückt jetzt Alt+F4 und packt dort, wo der Grenzgänger ist, Eure Sachen und geht.
Es gibt Folgen von Borderline und daraus entstehende Verhaltensmuster, die auf den ersten Blick ähnlich aussehen können - aber wer so von uns denkt, erspart allen Beteiligten viel Leid, wenn er es schlicht sein läßt.
Für alle anderen:
Ihr findet uns unberechenbar? Sind wir nicht, Ihr kennt nur die Formel und die Variablen noch nicht.
Es gibt 2 Faktoren: Basis (zu einem bestimmten Zeitpunkt meine ich) und Multiplikatoren. Beides ist wichtig.
Ich greife mein Beispiel mit dem Wasserfass aus diesem Thread mal auf: Ihr könnt wahrscheinlich schwer einschätzen, wie groß das Fass ist und wieviel Wasser schon drin ist. Die Regenrinnen, die hineinführen, sind für Euch verdeckt. Ihr seht nur einen winzigen Tropfen und die Überschwemmung.
Wir sind schlagartig nicht mehr unberechenbar, wenn ihr wißt, wie groß das Fass überhaupt ist. Das wißt Ihr wahrscheinlich nicht, weil Ihr Euch darüber noch wenig Gedanken gemacht habt. Klar, Ihr wißt, dass wir zuweilen sehr hypersensibel sind, Ihr kennt manchen wunden Punkt - aber wißt Ihr, wieviel wir generell schaffen können? Stellt es Euch als körperliche Krankheit vor, das hilft oft. Also sagen wir: Ich habe ein kaputtes Knie. Damit fällt Marathon flach, aber Alltag geht meistens und Spazieren gehen auch. Aber es gibt eine maximal mögliche Stecke -das ist Punkt 1 der Liste.
Wir sind schlagartig weniger unberechenbar, wenn Ihr besser einschätzen könnt, wie hoch das Wasser im Fass gerade steht. Achtet nicht nur auf offensichtliche und direkte psychische Reaktionen wie Wut, Niedergeschlagenheit sondern auf die etwas verdeckteren. Ziemlich deutlich und ein guter Marker: Agressivität. Aber auch verstärkte "geistige Abwesenheit", dass man einem Gespräch nur noch schwer folgen kann, starke Erschöpfung o.ä. sind Warnsignale. Das ist fast immer so? Ja, weil sich niemand darum kümmert, dass das Wasser aus dem Fass auch wieder rauskommt. Bei Euch fließt das "automatisch" ab, "von allein" - bei uns ist das Loch, wo es herausfließen würde, leider sehr klein. Viel kleiner als die Zuflüsse. Entweder es regnet ein paar Wochen (!) gar (!) nicht, oder man muss schöpfen. Das muss der Grenzgänger im wesentlichen tun, aber wenn man ungeübt ist, sehen es andere manchmal eher. Körperliche Streßreaktionen (frieren / schwitzen, Kopfschmerzen usw.) sind natürlich auch Marker für den Wasserstand.
Noch mal in dem Bild mit dem kaputten Knie: Wie weit ich an einem Tag laufen könnte, würde auch davon abhängen, wie viel ich in dieser Woche schon herumgelaufen bin.
Wir sind schlagartig weniger unberechenbar, wenn die Regenrinne, die ins Fass hineinführt, nicht verdeckt ist. Ok, der Vergleich hinkt - hm... Ihr wißt vielleicht, dass es regnet, aber nicht wie groß die Fläche ist, von der der Regen ins Fass fließt. Ihr denkt vielleicht nicht daran, dass auch im schönsten Sonnenschein Wasser hineinfließt, weil auf dem Dach der Schnee schmilzt. Dann seht Ihr nur Sonne und Überschwemmung.
Im Bild mit dem kaputten Knie: es macht einen riesen Unterschied, ob ich gerade aus laufe oder die gleiche Strecke Treppen steige. Ein Fluch der psychischen Krankheiten, bei einem kaputten Knie, kann es sich auch noch der größte Depp vorstellen, dass Treppensteigen schlecht ist und man nicht beliebig weit Laufen kann - bei uns fällt das auch aufgeschlosseneren Menschen oft schwer. Schlüssel sind hier die Gefühle. Das ist das, was bei uns "verletzt" ist. Starke Gefühle sind ein Schritt mit einem kaputten Knie. Irgendwann sollte man das mal schienen und zwischendurch mal hochlegen und entlasten. Macht man das nicht, wird man teuer zahlen. Es wird höllisch weh tun, es wird über Wochen fürchterlich schwer zu laufen und wenn man das auch noch übergeht, macht man sich so viel zu Brei, dass man im Krankenhaus landet und operiert werden muss. Obwohl an ein paar Schritten zu Fuß ja eigentlich gar nichts dran ist.
Da sind wir wieder an dem Punkt - zu viele Grenzgänger sind leider Laien in eigener Sache. Die Verbände, die sie anlegen, um das Knie zu stützen, helfen nicht, sitzen schlecht und drücken ständig oder schnüren das Bein ab. Sie wissen nicht, wann es an der Zeit wäre, das Bein hochzulegen und wie sie das tun sollen. - Ihr könnt sie nur dabei unterstützen, das herauszufinden, machen könnt Ihr es nicht.
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Der ganze Rest sind Folgen.
Hattet Ihr schon mal richtig dicken Liebeskummer oder wart hoffnungslos verliebt? Ganz große Gefühle machen wunderliche Dinge mit uns Menschen. Ihr habt doch da auch Euch gegenüber anderen manchmal blöd benommen, idiotische Dingen getan, wo Ihr im Nachhinein beim besten Willen nicht mehr wißt, was Ihr Euch "dabei gedacht habt"? Nun, unsere Gefühle sind fast ständig so intensiv, wenn wir das nicht tun. Stellt Euch vor, was es aus Euch machen würde, wenn Ihr Euch ständig so fühlen würdet. Über Jahre.
Wenn der Grenzgänger "ausflippt", dann hat er verpennt, das Wasser aus dem Faß zu schöpfen oder es war so viel, dass er mit dem Schöpfen nicht hinterherkam. Für diejenigen, dienur den Tropfen und die Überschwemmung sehen, mag das egoistisch aussehen, das ist es aber nicht. Es sind Folgen von Prozessen, die nicht erkennbar -- aber vermeidbar und änderbar sind. Etwas, was "nicht nach seinem Willen geht" mag ein Tropfen sein - aber ganz sicher nicht Ursache derÜberschwemmung.
Und wieder - viele Laien in eigener Sache sehen selbst nur Topfen und Überschwemmung. Ich kann Euch versichern, die Überschwemmung ist etwas, was wir fürchten. Sehr fürchten. Sieht man den Rest nicht, hat man irgendwann panische Angst vor Tropfen und versucht die mit allen Mittel zu vermeiden. Natürlich ändert das nichts - mehr Angst vor Tropfen...
gesendet am 24/02/13 um 16:58
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Gebranntes Kind scheut das Feuer - oder: Egoismus für Fortgeschrittene
von:avarrassterne
also erst einmal: das wir nicht egoistisch sind, wollte ich so nicht gesagt haben. Falsch ausgedrückt, mein Fehler.
Mit einem Menschen, der gar nicht egoistisch ist, stimmt etwas nicht, wenn Ihr mich fragt - und ausserdem ist das eine Aussage, die man für eine Gruppe von mehreren Menschen sowieso nicht treffen kann.
Was ich meinte - es gibt *zusätzlich* einiges, was egoistisch wirkt, es aber nicht ist.
Also Grenzgänger, setzt Euch hin und überlegt Euch mal in Ruhe, an welchen Stellen irgendwer anders finden könnte, dass Ihr Euch egoistisch verhaltet. Erst einmal ohne die Frage, wie berechtigt das ist. Fragt diejenigen, die Ihr so etwas fragen könnt, aber drückt Euch nicht darum, auch mal intensiv darüber nachzudenken.
Es ist häufig.
Das sagen die meisten über uns.
Also wenn auf Eurer Liste nicht sehr viel zusammen kommt, dann habt ihr es noch nicht!
Zurück mit Liste - erst mal einen Tag oder 2 vergehen lassen, wieder Distanz zum Thema aufbauen.
Versucht unbedingt die Bewertung erst einmal zu umgehen und nach den Ursachen, den Wurzeln zu suchen.
Ihr werdet feststellen, es sind viele Punkte, wo Ihr Euch einfach zu erschöpft, zu kraftlos fühlt / gefühlt habt - und es sind viele Punkte, wo Ihr die Fühler mal in eine ähnliche Richtung gestreckt und sie Euch angesengt habt.
So und jetzt Hand aufs Herz: wie viel davon habt Ihr Euch weiter zurückgezogen als Ihr müsstet?
Weil es schwer war und in Krisen nicht geht - aber ohne akute Probleme eben einfach "nur" schwer ist - aber eben kein "geht nicht"?
Weil es irgendwo in diese Richtung ein Feuer gibt, was Ihr fürchtet - aber noch lange nicht so nahe, dass es Euch verbrennen würde?
Weil es sooooooooooo viel besser ist, behütet, beschützt und versorgt zu werden, als selbst durch den Sturm zu gehen?
Sooooooooo und wo wir schon mal dabei sind... Hand noch fester aufs Herz: Wie reagiert Ihr, wenn Euch jemand versucht, an einen dieser 3 Punkte zu stubsen? ... ? (Rethorische Frage. Ich weiss es. Und Ihr auch, oder?)
Ihr könnt Euch davon nicht unbegrenzt viel leisten.
Erstens, weil Ihr sonst wirklich ein *** seid.
Zweitens: das ist eine Spirale. Wenn Ihr nicht irgendwann mal stehen bleibt und dann in die Gegenrichtung lauft, wird das mehr. Wenn Ihr in die Gegenrichtung gelaufen seid, habt Ihr es auch nur für dieses Mal geschafft. Ihr müsst es später wieder tun.
Macht Ihr es nicht - Ihr endet als Mimose und es wird nichts, gar nichts mehr gehen. Das wird so lange mehr, bis es Euch beherrscht und Ihr ein hilfloses Kind seid.
Wenn Ihr gerade in einer Depression seid, wenn es Euch gerade nicht gut geht - alles klar, zieht Euch zurück, wenn Euch das hilft, sucht Euch Ruhe und Hilfe, nehmt alles mit, was Euch Kraft gibt, schränkt das, was Kraft kostet, auf das aller nötigste ein.
ABER wenn es wieder geht, müsst Ihr mal an allen Türen rütteln, sonst habt Ihr die kleine Raupe Nimmersatt im Herzen, die Euer Leben Stück für Stück verspeisen wird - und so ganz "nebenbei" die Beziehungen zu den Menschen, die Euch nahe sind, mit.
Egoistisch - mal zurück zum Ausgangspunkt - ist das trotzdem nicht, denn die ursprüngliche Intention ist Angst, nicht Eigennutz.
gesendet am 31/05/13 um 16:29