Hallo dlazaru
Ich finde es gut, dass du dir so viele Gedanken machst und rege mitdiskutierst. Das ist ein wichtiger Aspekt, der Demokratie ausmacht.
Ich bin Schweizerin und beschäftige mich selbst seit über zehn Jahren stark mit dem BGE, seit ich damals in einem Zeitungsartikel zufällig darauf gestossen bin. Ich war gefesselt von dieser absurd klingenden Idee.
Ich möchte gerne mit drei kleinen Missverständnissen aufräumen, die bei den Menschen aufgrund ungenügender Berichterstattung entstehen:
1) Schweizer BGE zu teuer:
Das BGE, welches in der Schweiz diskutiert wurde, war um die 2500 Franken. Viele sehen das als extrem hoch an. Doch nur wenige wissen, dass in der Schweiz alles zwei bis zwei-einhalb Mal so teuer ist wie in Deutschland. Nur ein Beispiel: Wenn eine normalgrosse Pizza in einem Restaurant zwischen 7 und 10 Euro kostet, so zahlt man in der Schweiz 20 bis 25 Franken für die Pizza. So verhält es sich bei fast allen Preisvergleichen zwischen DE und CH.
2) Finnlands BGE zu tief:
In den News zu Finnlands BGE-Projekt wird praktisch nie erwähnt, dass zu den 560 Euro noch Wohngeld hinzukommt. Finnland hat eine ähnliche Kaufkraft wie Deutschland. Das BGE zusammen mit dem Wohngeld ergibt schlussendlich auch im Schnitt etwa 1000 Euro, welche die 2000 Menschen erhalten.
3) BGE wird nicht vom Lohn abgezogen:
Es ist tatsächlich so, dass das Bedingungslose Grundeinkommen oben drauf kommt. Soll heissen, wenn jemand im Monat 1200 Euro erhalten will und 7,50 Euro die Stunde arbeitet (so wie beim Rechenbeispiel in deinem ersten Post), muss er nur für 200 Euro arbeiten gehen, das macht dann 26,6 Arbeitsstunden im Monat (200 dividiert durch 7,50). Die restlichen 1000 Euro erhält er oder sie als BGE.
Die beiden Hauptargumente gegen das BGE sind die Unfinanzierbarkeit und dass dann niemand mehr arbeiten geht. Wenn bloss eines dieser beiden Argumente zutrifft, ist das BGE zum Scheitern verurteilt.
FINANZIERBARKEIT:
Steuern rauf oder zusätzliches Geld drucken?
Tatsächlich ist keines von beidem nötig. Wenn alle 80 Millionen Deutsche 1000 Euro im Monat erhalten, kommen wir auf den sagenhaften Betrag von 960'000'000'000 Euro (fast 1000 Milliarden Euro).
Das BGE würde das heutige Sozialsystem ersetzen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor vielen Jahren erwähnt, dass die Deutschen Sozialausgaben ca. eine Billion Euro (= tausend Milliarden) betragen (Quelle: bgekoeln.ning.com/profiles/blogs/schaeuble-eine-billion-euro-im).
Würde man das Geld für die Sozialausgaben also stattdessen für das BGE ausgeben, wäre dies ein Nullsummenspiel. Keine weiteren Steuern wären nötig, auch die Geldmenge müsste nicht erhöht werden.
Es gibt BGE-Befürworter, die zusammen mit der Einführung des BGEs auch gleich das Steuersystem umkrempeln möchten und verschiedene Ansätze verfolgen. Doch dies zu erklären, würde meinen Post extreeem lang machen. :)
NIEMAND WILL MEHR ARBEITEN:
Befürworter und Gegner streiten sich heftig, ob noch genügend Arbeit geleistet werden wird. Repräsentative Umfragen zeigen, dass die allermeisten Menschen weiterarbeiten würden (80 bis 90 Prozent) und ca. 10 Prozent würden eine Weiterbildung machen.
Aber was bedeuten schon Umfragen, wo man die doch so leicht zurechtbiegen kann. Es lässt sich lange darüber streiten, ob die Leute auf der faulen Haut liegen werden oder nicht. Gewissheit hat man nur, wenn man das BGE irgendwo testen würde. Nur dann sieht man, was die Menschen wirklich zu tun bereit sind.
Zum Glück ist das bereits der Fall. Das BGE wurde in verschiedener Form schon getestet und zwar nicht nur einmal, sondern viele Male. Hier eine kurze Zusammenstellung:
Dauphin, Kanada
Dauer: 1974 bis 1981
Resultat:
- Kein Arbeitsrückgang
- Der Gesundheitszustand hat sich leicht verbessert (tiefere Gesundheitskosten, weniger Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte)
- Absinken der Scheidungsraten
- Mehr Teenager besuchten 12. Klasse
- Gefühl der Sicherheit
Otjivero, Namibia (Afrika)
Dauer: 2008 bis 2015
Resultat:
- Kauf von Nahrung und Medikamenten
- Besorgungen für Schulutensilien und Organisation für Fahrgelegenheit, damit die Kinder die Schule besuchen können
- Anschaffung von Werkzeugen, um wirtschaftlich tätig zu werden (Maurer-Werkzeuge, Backofen, Nähmaschine etc.)
- Entstehen eines Wirtschaftskreislaufes, da die mit den Werkzeugen hergestellten Produkte untereinander verkauft wurden.
- Es wurden nicht vermehrt zu Alkohol und Glücksspiel gegriffen
- Die Arbeitsleistung hat sich merklich erhöht (Wirtschaftswachstum: jährlich 12 %)
- Das Experiment war so erfolgreich, dass Namibia darüber nachdachte, das BGE für den ganzen Staat einzuführen – leider ohne Erfolg.
8 Dörfer in Madhya Pradesh, Indien
Dauer: ab 2010, 18 Monate
Resultat: Ähnlich wie Namibia
Utrecht, Niederlande
Dauer: 2016 bis ?
Resultat: liegt noch nicht vor
Finnland
Dauer: 2017 bis ? (vermutlich 2 Jahre)
Resultat: liegt noch nicht vor
- Einzelaussagen berichten von positivem Effekt
Kenia, Afrika
Dauer: 2017 bis ?
Resultat: liegt noch nicht vor
Schleswig-Holstein, Deutschland
Dauer: ?
Nebenbei noch ein interessanter Fakt: Über fünfzig Prozent, also über die Hälfte der in Deutschland geleisteten Arbeit ist ehrenamtlich (Quelle: taz.de/!5297798). Das ist eine beachtliche Zahl und zeigt, dass Menschen durchaus bereit sind, eine Menge Arbeit zu leisten, auch wenn der finanzielle Anreiz fehlt.
Ich denke, das BGE wird vorallem dazu führen, dass die eigene Arbeitsleistung mehr und mehr in sinnvolle Tätigkeiten investiert wird (also weniger nervige Callcenter-Anrufe und mehr Pflegende ;-).
Ich bin gespannt auf die Zukunft. :)