Es gibt vieles, was Du tun kannst!
Als erstes: spare Dir für den Anfang das Theater mit den Psychologen. Solche Erfahrungen hat fast jeder von uns Grenzgängern gemacht, dass kannst du in Deiner Situation nicht brauchen, warte damit noch.
Statt dessen gehe ins nächste Krankenhaus mit psych. Abteilung. Direkt. Nicht über Hausarzt zu Psychater noch 3 Wochen im Kreis und dann ein ewig währender Antrag auf stationäre Therapie :arrow: da gehen noch Monate ins Land und Du brauchst dafür Kraft, die Du im Moment nicht hast.
In Deiner Situation hast Du das Recht (!!!) direkt ins Krankenhaus zu gehen und dort um Hilfe zu bitten. Es wird sich ein Arzt (kein Psychologe, das sind keine Mediziner und BPS ist in erster Linie eine medizinische Diagnose und dann was für den Psychologen, um die Kanten zu glätten.) ein Bild Deiner Situation machen und dann entscheiden, ob Du sofort aufgenommen werden kannst. Also lasse nichts weg, was die Dringlichkeit unterstreicht (Schnitte werden immer tiefer, nicht mehr leben wollen, ...) - kurz: Du kommst allein nicht mehr klar und brauchst Hilfe.
So wie sich Dein Beitrag in Worten und zwischen den Zeilen liest, wirst Du sehr wahrscheinlich sofort aufgenommen.
Dann bist Du erst mal in geschützter Umgebung, wo sonst (fast) nichts anderes auf Dich einprügelt, damit Du Dich wirklich um Dich kümmern kannst.
Du wirst ziemlich sicher auf Medikamente eingestellt, Dein Spiegel der Botenstoffe (so was wie Nor-Adrenalin, Dopamin, Seratonin, wenn Du es nachschlagen möchtest) ist wahrscheinlich (auch) aus dem Gleichgewicht, was viel zum Gefühlsfasching beiträgt. Keine Panik, wenn das nicht funktioniert, es ist bei Psychopharmaka immer so, dass ein bestimmtes Medikament nur für so 70% greift. Gibt den Ärzten Rückmeldung und sie werden auf ein anderes Medikament ausweichen.
Außerdem beginnt auch da die Therapie, in der Du lernen solltest, was Du selbst tun kannst.
-----------
Meine private und persönliche Meinung, nicht als Arzt oder Psychologe oder Psychotherapeut, sondern als jemand, der selbst Grenzgänger ist:
Es gibt viele Möglichkeiten für Dich etwas zu tun und das "Chaos" in ein Leben zu wandeln, was Dich wieder lächeln lässt.
Das ist Stoff für mehrere Bücher (btw. - Vorsicht mit Büchern zu diesem Thema, da steht auch manch Unsinn und vieles, was nur auf einige wenige Grenzgänger zutrifft) - also kann ich mich nur an einem Überblick versuchen.
Das Hauptproblem bei Grenzgängern ist meistens, dass sich unsere Gefühle nicht "von allein" wieder beruhigen sondern sich immer mehr intensivieren, bis wir Hoffnungslos darin ersaufen - wenn wir nicht gegensteuern.
Daraus ergeben sich drei Ansätze:
Der erste: man sollte schön auf sich achten, dass man bemerkt, dass das Wasser im Fluss ansteigt, bevor das Land überflutet ist. Du solltest gezielt Phasen einbauen, wo Du bewusst und aktiv Tempo und Druck heraus nimmst und zur Ruhe kommst. Stell es Dir so vor: ein Mensch mit einem kaputten Knie kann nicht den ganzen Tag und 7, auch nicht 5 Tage die Woche herumlaufen, der muss sich öfter mal hinsetzen, die Beine strecken, hoch legen usw. sonst wird er ständig üble Schmerzen haben.
Für Dich gilt es also, etwas zu finden, was Dich beruhigt und ausgleicht und das in Deinen Alltag einzubauen. So kompromisslos wie möglich. Denn alles andere zahlst Du mit Schmerzen. Außerdem ist es so, dass Du danach mehr Kraft hast. Im Moment schleppst Du Dich wahrscheinlich immer an der Grenze Deiner Kraft herum - das bessert sich gewaltig, wenn Du den Akku zwischendurch regelmäßig wieder auflädst.
Nummer zwei: Es gibt für jeden von uns bestimmte Situationen / Personen / Ereignisse usw. die uns gewaltig mitnehmen. Die nennt man Trigger (Auslöser), weil sie einen emotionalen Ausnahmezustand auslösen bzw. uns schwungvoll in die Richtung schieben.
Dafür gibt es keine allgemeingültige Liste, Du musst selbst herausfinden, was das bei Dir ist, was Dich unter Druck setzt, wo Du Dich massiv unwohl, gestresst fühlst - ich nehme an, Du weißt, was ich meine.
Hol Dir ein kleines Tagebuch und schreibe 3 Wochen lang alles rein, was starken Druck auslöst. Am besten mehrfach. Also wenn ein Gespräch mit der Familie Dich abschießt (was ein fast sicherer Kandidat für einen Trigger ist) und das findet alle 2 Tage statt - schreibe es alle 2 Tage auf.
Es gibt dafür eine allgemeingültige Skala von 1 = leicht unangenehm bis 10 = füllt meine Gedanken völlig aus, ich kann nichts anderes mehr sehen oder denken. - schreibe am besten die jeweilige Stufe mit dazu. Das wirst Du später in der Therapie noch brauchen und es gibt eine zusätzliche Information: äußere Einflüsse variieren das. An einem Tag, wo Dir eh alles egal ist, kann die Familie vor Dir auf und nieder hüpfen und es nimmt Dich weniger mit, als wenn Du gerade voller Hoffnung erste Schritte getan hast. - Wieder: ich nehme an, Du weißt, was ich meine.
Schreibe natürlich auch auf, was Dich beruhigt und entspannt hat. Musik. Tanzen. Lesen. So in der Art.
Noch ein Wort zum Thema Tagebuch: Wenn man etwas aufschreibt, denkt man anders darüber nach, als wenn man es nur in Gedanken etwas wendet. Daher: im Zweifelsfalle immer schreiben.
Nach diesen 3 Wochen gehst Du mit dem Rotstift durch die Notizen und streichst, was nicht unbedingt nötig ist. Die Betonung liegt auf unbedingt. Unbedingt heißt höchstens (!) eines von 10. Vieles erscheint dringender als es ist und wichtiger als es tatsächlich bringt.
Auch wenn es die liebe Familie verletzt, weil sie sich wohl tatsächlich Sorgen machen und helfen wollen - es ist ganz sicher *nicht* nötig jeden Tag die gleiche Diskussion zu führen, die nichts erreicht als Dich abzuschiessen. Also blocke das von vornherein. "Wenn du willst, dass ich gesund werde, hilf mir zur Ruhe zu kommen" 180 Drehung auf dem Absatz, Gespräch beendet. Keine Erklärungen, keine Rechtfertigungen. Das endet binnen 5 min in der gleichen Diskussion wie sonst auch. Wenn Du es so nicht kannst, schreibe auf, dass Du weißt, dass sie sich sorgen, dass sie Dir aber so nicht helfen können. Dass Du daher im Moment bitte Abstand und Zurückhaltung brauchst und das dann wieder aufgehoben ist, wenn Du wieder Boden unter den Füßen hast (und weißt, wie Du verhindern kannst, bei solchen Gesprächen unter die Räder zu geraten). "Gut gemeint ist manchmal das genaue Gegenteil von gut gemacht" - das kennt auch jeder von uns :)
Leg Ihnen das als Brief unkommentiert hin und belasse es dabei. In dieser Art alles durchgehen, was Du notiert hast.
Ein Mensch mit kaputtem Knie kann nicht den Freund in der Mansardenwohnung 5. Stock ohne Fahrstuhl vier mal die Woche besuchen und dann immer noch schnell nach 2h dort für ihn zum Bäcker gehen, ganz egal, wie gerne er den Menschen mag. Da wird man was ändern müssen. Der Freund besucht ihn, man trifft sich im Caffee oder sonst was. Der kann auch keinen Wanderurlaub in den Alpen machen. etc. - Es gibt bei jedem chronisch Kranken Menschen Dinge, die nur selten gehen und Dinge, die einfach nicht drin sind - lerne, auf so etwas zu achten. Leider ist das bei uns weniger offensichtlich. Bei uns sieht man keinen Blindenhund und keinen Rollstuhl, es ist also nicht so, dass auch der größte Idiot (Pardon...) automatisch mitkriegt, dass etwas, woran er kein Problem finden kann, für uns nicht möglich sein kann. Da hilft leider nur Mut zur Konsequenz.
So, schon ewig lang der Text :shy: ein wichtiger Punkt:
man kann lernen, Gefühle zu kontrollieren und zu ändern.
Kognitive Verhaltenstherapie in 3 Sätzen: Stell Dir ein Dreieck vor, die Eckpunkte sind: Gedanken - Gefühle - Handlungen. Jedes ist mit den beiden anderen verbunden, weil jedes die beiden anderen beeinflusst. Wenn es uns nicht gut geht, gehen wir ungern weg, wenn man sich mal richtig schön stylt und sei es, um im Samtkleid mit Abend-makeup ein Stück Butter kaufen zu gehen, verbessert sich die eigene Stimmung - Prinzip klar?
Das Prinzip ist sehr simpel, die Umsetzung ist es nicht. Erstens muss man sich recht genau beobachten und einschätzen können, zweitens muß man genau verfolgen, wie man auf etwas reagiert, damit man solche "Hebel" einsetzen kann und später auch "pogrammieren" kann, weiterhin sehen diese Techniken unscheinbarere aus als sie sind, man nimmt sie leicht nicht für voll.
Die einfachste Anwendung davon sind "Skills" - alternative Verhaltensmuster zur Selbstverletzung. Beispielsweise wenn das Verlangen danach bei Stufe 7 und höher ist, sich statt dessen unter die (eis-)kalte Dusche zu stellen, ober 10 Stockwerke Treppen hinauf rennen. - Dient erst mal dazu, die Selbstverletzung kontrollierbar zu machen. Das ist ja oft wie eine Droge, man will mehr, mehr, MEHR - bei den Alternativen umgeht man schon mal diesen Teil und lernt, andere Ventile zu nutzen, wenn es nötig sein sollt.
So, ich glaube, das reicht für den Anfang ;)