esme_11902139Liebe Yahema,
"orientierungslos, so als wüsste ich nicht mehr, wo oben und unten ist" - das beschreibt ziemlich gut, wie ich mich damals gefühlt habe, als ich mir eingestanden habe, dass ich an einer Essstörung leide und dringend etwas ändern muss ...
Meine Angst war auch nicht richtig zu fassen und ich habe meine Umwelt damit damals ziemlich überfordert, dass ich "grundlos" in Tränen ausgebrochen bin, nicht mehr schlafen konnte und und und ...
Glaube mir, dass ist leider alles ganz normal, denn ich glaube ganz fest daran, dass "Essstörungen" nur die Symptomatik, aber nicht das Problem sind. Klar verselbständigt sich innerhalb der Essstörung vieles und wird zum "eigenen Problem" (Gewichtsphobie, verzerrte Körperwahrnehmung etc.), aber die wirklichen Probleme / Gründe liegen viel tiefer und sind viel beängstigender! Im Nachhinein denke ich, dass dieses Angstgefühl in der Anfangszeit daher rührte, dass diese Probleme / Gründe nicht mehr durch die "Essstörungsroutine" kompensiert wurden und peu a peu an die Oberfläche drängten ...
Man mutet in einer solchen Phase seiner Umgebung oft ziemlich viel zu und es ist glaube ich eine wichtige Erkenntnis, dass man von in vielen Situationen kein Verständnis erwarten kann.
Ganz selten passiert es mir übrigens immer noch, dass ich meinen Freund abends um zehn oder so frage, ob es normal sei, wenn ich (trotz üppigem Abendessen) noch Hunger habe, weil ich den Signalen meines Körpers nicht direkt glaube ... Er ist damit übrigens immer ganz wundervoll umgegangen und hat mir ganz klar die Grenze gezeigt, bis wohin er mir helfen kann und woran ich selber arbeiten, womit ich selber klarkommen muss. Am Anfang hat mich das oft überfordert, wenn er meinte, musst du doch selber wissen, ob du noch was isst. Aber im Endeffekt hat genau das mir geholfen, dass er sich immer strikt geweigert hat, hinsichtlich meiner Essstörung in irgendeiner Weise Verantwortung für mein Essverhalten zu übernehmen. Er hat mir gerade dadurch geholfen, dass er mich, wenn es mit dem Essen mal weniger gut geklappt hat, gefragt hat, was denn gerade das eigentliche Problem sei ... und meistens stellte sich raus, dass mir gerade ganz andere Dinge Probleme bereiteten, die ich nur kompensiert habe. Aber ich komme von deinen Problemen ab ...
Sei froh, dass dein Freund nicht versucht, dich in Essensdingen zu bevormunden / zu zwingen (hat mein Exfreund sehr oft gemacht und das war sehr kontraproduktiv), sondern dir die Verantwortung überlässt. Ja und ich weiß, es ist verdammt hart und schwer ...
Für mich wäre es in der Anfangszeit ohne "Vernunftessen" nicht möglich gewesen zuzunehmen, denn zunächst hatte ich weder ein Hungergefühl noch Appetit und es hat bei mir bestimmt zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich wieder gespürt habe, dass und was ich essen muss.
Du bist - wie ich damals auch - schon sehr lange essgestört und es wird leider nicht schnell gehen und leicht sein, bis sich das alles weniger schlimm anfühlt.
Es tut mir so leid, dass meine Antworten vielleicht nicht sehr aufbauend sind, weil ich dir keine konkreten Tipps geben kann, wie es leichter wird, sondern nur schreiben kann, wie gut ich deine Angst und das Gefühl der Überforderung nachvollziehen kann!
Ich finde es übrigens sehr gut, dass du gesteigert hast!
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen! Es lohnt sich so sehr, dieses Tal zu durchschreiten und irgendwann wieder unbeschwert essen zu können.
Denn auch wenn ich noch lange nicht am Ende meiner "Reise" und noch im UG bin, kann ich doch sagen, dass ich wirklich ohne Probleme, ohne Angst, sondern mit Freude und Appetit auf eine normale Essensmenge komme. An meinen Existenzängsten muss ich allerdings auch noch arbeiten. Und in beruflich / privat prekären Situationen habe ich durchaus noch manchmal mit Panik zu kämpfen, aber ich habe inzwischen für mich Strategien entwickelt, wie ich damit umgehe ... Und irgendwann werde ich auch ganz sicher schaffen, auch diese komplett hinter mir zu lassen ...
Pass auf dich auf!
Traumverloren