Liebe Schafschubserin,
an diesem Punkt war ich vor ein paar Jahren auch. Nachdem ich nach 13 Jahren Anorexie (komplexe Hintergründe, Beginn bereits mit 11 Jahren) endlich eine Therapie begonnen hatte, fiel es mir unglaublich schwer beim Essen wieder die Balance zu finden und peu a peu zuzunehmen.
Gefühlt hat die Wiedereingliederung von "verbotenen Lebensmitteln" bei mir damals auch zu unkontrolliertem Essen geführt. Im Nachhinein kann ich jedoch sagen, auch wenn die Mengen mir damals enorm erschienen und es mir körperlich oft sehr schlecht ging dadurch, ganz normal waren (meist so um die 2000 kcal am Tag). Mein Kopf hat damals nur wegen der ungewohnten Mengen und der "verbotenen Lebensmittel" vollkommen verrückt gespielt.
Mein Weg raus war ein sehr langwieriger (hat etwa drei Jahre gedauert, bis ich ein unverkrampftes Verhältnis und ein gesundes Essverhalten entwickelt habe). Allerdings sieht meine Ernährung noch heute ziemlich gesund aus (überwiegend Vollkornprodukte, sehr viel Gemüse, Kartoffeln, Salat, Haferbrei, Obst, aber auch ab und an Schoki, Chips oder Weizenbrötchen). Bevor jetzt irgendjemand aufschreit, dass wäre "orthorektisch": Ich fühle mich mit dieser Ernährung einfach wohler, gesünder und die Sachen schmecken mir wirklich am besten UND ich habe gelernt, dass man von diesen Nahrungsmitteln halt entsprechende Mengen essen muss, um das Gewicht zu halten.
Dies wären auch meine Tipps an dich liebe Schafschubserin, bzw. die Dinge, die bei mir geholfen haben als Anregung:
- NIEMALS (wirklich nie, auch wenn es bedeuten sollte morgens um 4 Uhr zu frühstücken) eine der drei Hauptmahlzeiten auslassen, da dies zumindest bei mir dazu führt, dass die Gefahr besteht, in alte Muster zurückzufallen
- reichhaltig frühstücken (mein Frühstück hat ca. 500 kcal) hilft mir (auch wenn es vielleicht paradox klingt) den Rest des Tages ebenfalls ausreichend zu essen
- ausreichend gesunde Lebensmittel essen (wirklich ausreichend, das bedeutet etwa 2000 kcal ohne Sport und entsprechend mehr mit Sport) und Schoki / Kuchen etc. als PLUS zu betrachten (Nein, ich nehme davon nicht zu, bin sogar erschreckenderweise sieben Jahre nachdem ich gewagt habe, eine Therapie zu beginnen, noch immer im leichten UG)
- einen Essensrhythmus finden, der zu dir und deinem Arbeits- und Lebensrhythmus passt (ich persönlich mag zum Beispiel drei große Hauptmahlzeiten und bin einfach kein Fan von Zwischenmahlzeiten (außer Naschen am späten Abend ;-)), aber das bedeutet halt auch, dass ich wirklich große Portionen esse
Der wichtigste Tipp ist jedoch: Ein paar Monate des Unwohlseins akzeptieren, damit es langfristig besser wird. Zumindest war das meine Erfahrung: Die ersten Monate (hmm, vielleicht sogar das erste Jahr) war mir eigentlich permanent ein bisschen schlecht vom vielen Essen und es hat mich sehr, sehr angestrengt. Aber diese Zeit war es wirklich wert, da ich nun seit Jahren wieder unbeschwert essen kann und ich auch vor langen jobbedingten Auslandsaufenthalten (bei denen ich keinen Einfluss auf die Essenswahl/-zeiten habe) Arbeitsessen, Familienbesuchen, Festessen etc. keine Angst mehr habe.
Das Leben kann so viel unbeschwerter sein, wenn man die schwierige Anfangszeit überwunden hat! Aber für diese Zeit heißt es erstmal: sehr streng mit sich selbst sein, kein "wieder Einschränken" und die Übelkeit und das Unwohlsein einfach akzeptieren.
Ich wünsche dir dafür ganz viel Kraft!
Traumverloren