Bin ich noch normal?
Ich weiß langsam nicht mehr, was mit mir los ist.
Ich bin im Grunde ein fröhlicher, junger Mensch, umgänglich, kontaktfreudig und kommunikativ, hatte bisher mit meinen Mitmenschen wenig Probleme, bin sehr anpassungsfähig und unvoreingenommen gewesen.
Doch seit einiger Zeit, genau genommen seit einem halben Jahr, seitdem ich einen "neuen" Freund - die erste richtig ernst zu nehmende Beziehung - habe, regt sich in mir etwas.
So kann ich es am besten beschreiben.
Es "wütet" in mir seitdem und ich kann es schlecht kontrollieren.
Es ist, als würde mein Freund eine Tür in mir öffnen, die lange verschlossen geblieben ist, aus Sicherheitsgründen, aus Selbstschutz, keine Ahnung. Und jetzt öffnet sie sich und lässt alles heraus.
Meine Symptome sind in etwa wie folgendermaßen zu beschreiben:
- ich bin sehr sensibel geworden, reagiere auf bestimmte Worte, Gesten außergewöhnlich stark
- ich verkrafte persönliche Zurückweisungen schwer, empfinde auch oben genannte Gesten anderer Personen sofort negativ und abweisend, kann deren richtige Bedeutung schwer einschätzen
- ich grüble sehr viel
- meine Stimmung schwankt nach Tagesform und Umgebung oft recht stark, bin zB. auch lange zeit recht aufgedreht, lustig und einfach echt gut drauf - bei gegebenem Anlass, best. Auslösern
- ich habe Appetitsschwankungen, mal gar keinen, mal könnte ich alles in mich reinstopfen
- ich habe ein höheres Schlafbedürfnis als früher
- fühle mich oft matt und antriebslos, es fällt mir dann unwahrscheinlich schwer, kleine Erledigungen zu machen, zb. die Post wegbringen, Einkaufen o.Ä.
- ich drücke mich vor unangenehmen Situationen
- lüge dann auch oft in Verbingung damit und habe hinterher extreme Schuldgedanken
- ich habe ein großes Bedürfnis nach Sex und allgemein körperlicher Zuneigung
- ich bin nahe am Wasser gebaut, weine oft in sentimentalen Situationen
- habe oft mit Blasenentzündungen zu tun
- Kontaktabbruch zu Freunden und Familienmitgliedern, welchen ich aber sehr bereue
Das ist also das, was mir vermehrt an mir auffällt.
Ich dachte bereits an eine Depression, allerdings scheint mir das paradox, denn ich bin ja wirklich überwiegend gut drauf und guter Dinge, auch sehr zuversichtlich und in die Zukunft blickend, ich erfreue mich an meinem Leben, aber es fühlt sich so an, als stimmte damit eben etwas nicht. Und ich komme nicht dahinter was.
Meine Mutter hatte ein Jahr Krebs als ich 13 war, im darauffolgenden Jahr ist sie gestorben, einen Tag danach mein Großvater, sprich ihr Vater.
Das alles liegt nun fast 6 Jahre zurück und bisher kam ich "gut" damit klar.
Ich habe mein Leben gemeistert, es läuft in geregelten Bahnen. Ich mache eine Ausbildung zur Erzieherin, schreibe prima Noten.
Trotzdem hatte ich nie Trauerhilfe oder Ähnliches, konnte bisher noch nicht so richtig mit jemandem darüber sprechen.
Ich bin mir sicher, dass meine Symptome etwas mit diesem Ereignis zu tun haben, dass die Trauer erst jetzt richtig einsetzt.
Mein Freund ist wundervoll und ich habe sehr intensive starke Gefühle für ihn und das beruht auf Gegenseitigkeit.
Oft nimmt er mich zu seiner Familie mit, die im Gegensatz zu meiner noch vollständig und intakt ist.
Ich werde jedes Mal sehr lieb aufgenommen und mir wird das Gefühl gegeben, ein neues Familienmitglied zu sein.
Das ist sehr schön und ich freue mich einerseits sehr darüber, andererseits erinnert es mich an meine zerbröselte Patchworkfamilie, zu der ich Teils gar keinen Kontakt mehr hege, weil ich es nicht ertrage an meine Mutter erinnert zu werden.
Das ist alles sehr schwer für mich und jedes Mal wenn wir von der Familie meines Freundes kommen, fühle ich mich schwer und traurig und weine oft recht heftig.
Ich weis nicht was ich dagegen tun kann, mein Freund kriegt auch langsam Angst davor, versteht das natürlich total falsch, auch wenn ich es ihm zu erklären versuche.
Auch merke ich, dass es mir gut tut am Land zu sein, ich wohne in der Stadt und fühle mich oft erdrückt hier.
Extrem ist auch, dass ich auf Veränderungen, und seien sie noch so klein, stark reagiere. Steht in einer Woche zB. ein unangenehmer Termin an, womöglich sogar noch nach der Arbeit, in die ich ohnehin ungerne gehe, dann reagiere ich mit körperlichen Symptomen, zB. Blasenentzüdnung, Kopfschmerzen...
Oft habe ich dann das Gefühl, es nicht zu schaffen, wünsche mich nur noch heim, an einen "sicheren" mir vertrauten Ort, am Besten zu meinem Freund. Da geht es mir dann wieder gut, ich fühle mich geborgen und wohl, habe jedoch Schuldgefühle und fühle mich als Versager, wenn ich solche Termine absage oder nicht wahrnehme und einen Grund vorschiebe und dafür dann lügen muss.
Ich kann dagegen kaum etwas tun, ich weis dass es nicht richtig ist, aber ich habe vor solchen Terminen oft richtige Angst, Angst etwas alleine schaffen zu müssen und es am Ende nicht zu schaffen.
Oft komme ich mir allein vor, im Stich gelassen und ohne Rückhalt anderer. Alles was ich habe sind mein Freund, mein Vater und seine Freundin, aber auch die beiden sehe ich meinem Gefühl nach zu selten.
Ich weis langsam nicht mehr was ich dagegen tun kann, es schränkt leise schleichend meinen Alltag ein.
Wer kann mir helfen? Was ist mit mir los?