Großartig :BIEN:
Zu erst einmal ein großes Lob!
Dein Interesse und deine Sorge um diese ältere Dame sind gar nicht so selbstverständlich, wie man annehmen sollte. Machen wir uns nichts vor, durch den enormen Zeitdruck und den viel zu hohen Personalschlüssel stoßen Pflegefachkräfte heute sehr schnell an ihre Belastungsgrenzen. Leider bleibt neben den grund- und behandlungspflegerischen Maßnahmen und neben der immer weiter wuchernden Dokumentation kaum noch Zeit für tiefgreifende soziale Interkationen, so wie du sie beschrieben hast und so, wie du sie bei deiner Bewohnerin auch anwendest.
Warum schreibe ich das... weil gerade diese sozialen Interaktionen bei demenzkranken Menschen das Wichtigste überhaupt sind. Die Dame, von der du schreibst, zeigt herausfordernde Verhaltensweisen in Form von verbaler und körperlicher Aggressivität. Das ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen bei Demenzpatienten. Allerdings - und das beweist deine Beschreibung eigentlich eindeutig - sind diese Verhaltensweisen nicht einfach Syptome der Erkrankung, sondern Ausdruck gestörter Kommunikations- und Interaktionsprozesse. Demenzkranke Menschen können - und das weißt du sicher selbst - ihre Umwelt nicht so wahrnehmen, wie wir das tun. Sie interpretieren die Wirklichkeit völlig anders, meist geprägt von ihren eigenen biografischen Erlebnissen. Wenn sie bei der Körperpflege beispielsweise schreit, dann sicher nicht, um den Pflegern das Leben schwer zu machen oder weil sie "eigensinnig" ist, sondern, weil sie diesen doch sehr starken Eingriff in ihre Intimsphäre nicht als relevante und ungefährliche Pflegehandlung deuten kann. Das spielen Scham und Angst eine Rolle, vielleicht auch Wut auf die eigene Unzulänglichkeit oder auf Personen aus der Vergangenheit - so vieles ist möglich.
Du machst das einzig Richtige: Du lässt dich auf die Dame ein, lässt ihr Zeit, versuchst sie zu verstehen, zu beruhigen. Du erklärst ihr die Schritte bei der Pflege, suchst gezielt nach etwas, das sie mag (Musik-CD) und wendest es passend an. Du nimmst sie in den Arm, wenn sie weint und beruhigst sie. Du musst dabei nicht "lügen" wie du sagst und versprechen, dass alles gut wird. Es ist schon so sehr hilfreich einfach in den Arm genommen zu werden, zu spüren, dass jemand da ist, die Hand hält, über die Schulter streicht, zuhört und sagen kann: "ich verstehe Sie sehr gut. Das muss sehr schwer gewesen sein." Vieles staut sich im Laufe des Lebens an, was vermutlich nie richtig verarbeitet werden konnte. Es ist nichts schlimmes, wenn ältere Menschen mal weinen. Es kann sogar heilsam sein.
Wenn ich lese, was du schreibst, dann wünsche ich mir, dass mehr Pflegekräfte so wären wie du. Leider weiß ich aber auch, dass oben genannte Faktoren dem sehr stark im Weg stehen. Viele wollen sich so engagieren wie du, kämpfen aber immer wieder gegen Windmühlen und werden irgendwann müde. Ich kann nachvollziehen, dass es frustrierend ist, einfach keine Zeit zu haben sich über die reine Pflege hinaus mit den Bewohnern zu beschäftigen. Und ich kann mir vorstellen, dass man irgendwann davon müde wird. Und dann werden die einzelnen Pflegeschritte dem Bewohner nicht mehr geduldig erklärt oder nach einer passenden Musik gesucht oder erstmal in den Arm genommen und beruhigt, weil einfach oftmals die Zeit dafür fehlt.
Ich kenne euer Haus nicht und auch nicht die konkrete personale Situation, aber ich kann mir vorstellen, dass deine Kollegen, bei denen dieses Verhalten zu Tage tritt, nicht so auf die Dame eingehen, wie du es tust. Vielleicht wollen sie es, aber der Stress steht im Weg. Vielleicht wissen sie es auch nicht besser.
Was ich dir gern ans Herz legen möchte ist Folgendes:
1.
Es beeindurckt mich wirklich, wie sehr du dich engagierst, aber gib bitte auch auf dich etwas Acht. Nähe ist in diesem Beruf sehr wichtig, Distanz aber genauso. Du musst dich distanzieren können, darauf Acht geben, dass du nicht irgendwann völlig ausbrennst. Suche dir eine Möglichkeit abzuschalten. Anteilnahme ist großartig, aber pass auf, dass du ein fremdes Problem nicht zu deinem eigenen machst. Dann wird es immer schwerer zu helfen.
2.
Kämpfe nicht alleine. Deine Kollegen wollen etwas ändern? Wunderbar, das könnt ihr! Wie wäre es mit einem multiprofessionellen Fallgespräch? Mit allen beteiligten Pflegekräften, den Angehörigen, Betreuungskräften, dem Sozialdienst (sofern vorhanden) und allen sonst am Pflegeprozess beteiligten Personen. Erörtert das gemeinsam. Es gibt wunderbare Assesmentinstumente, um herauszufinden, warum ein herausforderndes Verhalten bei Demenzkranken auftritt. (z.B. das NDB-Modell)
Auch integrative Validation wäre eine gute Methode, ich weiß, sie sollte mittlerweile ein Standart in der Arbeit mit Demenzkranken sein, mir ist aber klar, dass das in der Regel vielerorts nicht so ist. Wenn du darin noch keine fundierten Kenntnisse hast, dann würde ich dir die Bücher von Naomi Feil oder Nicole Richards empfehlen. Vielleicht ist es ja auch möglich über die Pflegedienstleitung oder Heimleitung Weiterbildungen in integrativer Validation zu erreichen?
3.
Behalte dir deine Einstellung den Bewohnern gegenüber und dein Einfühlungsvermögen bei. Auch, wenn du selbst irgendwann mal gegen Windmühlen kämpfen musst. Das, was du für die alte Dame tust, ist sehr sehr gut! :BIEN: :BIEN: :BIEN:
Liebe Grüße,
Molyn