Ich hab mir jetzt hier einige Stränge durchgelesen, in denen sich über die in den letzten Jahrzehnten zugenommene Biederkeit, Beschränktheit, Mutlosigkeit und den Konservatismus in der heutigen Herrenmode beschwert wird. Doch was sind die Gründe dafür? Meiner Meinung liegen sie in den Impulsen die aus der heutigen Popkultur kommen. Die Popkultur war nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer der maßgebliche Faktor für die Entwicklung männlicher Mode bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sogar teilweise bis in die Welt der reiferen Erwachsenen hinein.
Ende der 50er ging's los: die Militärhaarschnitte der Kriegsgeneration wurden auf den Köpfen junger Männer in Elvis-mäßige Schmalztollen umgewandelt - ganz zum Entsetzen der Alten. Gleichzeitig wurden Jeans getragen, natürlich "eng", weil das war jung, provokant und geil.
Mitte der 60er wurden die Haare an den Seiten, auf der Stirn und im Nacken länger: die Beat-Ära der Pilzköpfe hatte begonnen. Gleichzeitig kauften Millionen junge Männer hochhackige Stiefeletten, auch Chelsea- oder Beatles-Boots genannt. Ab Ende der 60er waren die Einflüsse der Hippie- und Rockerkultur bei einem Großteil der männlichen Jugendlichen nicht mehr zu übersehen.
Um 1973 kamen Plateau-Stiefel in Mode. Zur Überraschung der Hersteller wurden diese zu Hauf von jungen heterosexuellen Männern gekauft, obwohl die Industrie zuerst nur Frauen und Schwule als Zielgruppe anvisiert hatten (Zu sehen übrigens in der kürzlich in der ARD ausgestrahlten Reihe "60 x Deutschland. Das Jahr 1973"). Die damals oberhippen Glamrocker von The Sweet, T.Rex und Slade haben zu diesem Verhalten wohl entscheidend beigetragen.
Die bunte Mode der ehemaligen Subkulturen war nun vollständig in die männliche Massenmode übergangen. Nun trugen auch Männer von 25-45 taillierte Hemden, taillierte Sakkos, enge Hosen mit Schlag, enge Lederjacken, Pelzmäntel (z.B. Gerd Müller und Franz Beckenbauer!!!) Stiefeletten mit hohen Absätzen und auf den Köpfen wallerte die ein oder andere Matte. Erinnert sich jemand daran, wie Vorzeige-Playboy und Millionenerbe Gunther Sachs zu dieser Zeit aussah? Tailliertes Hemd (gerne auch in Seide(!)) bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, um den Hals 'ne fette Goldkette bis zum Bauchnabel baumelnd und die weiße Hüftschlaghose saß am Arsch und an den Oberschenkeln knalleng. Das war der männliche Schickeria-Look von Kampen/Sylt bis München/Schwabing.
So ähnlich ging es weiter bis in die Disco-Ära der späten 70er, als Plateau schon durch die Block- und Cuban-Heel-Stiefeletten ersetzt worden war.
Anfang der 80er waren dann neue Jugendkulturen tonangebend: die Punks, die New-Waver und natürlich die Popper! Disco war out, genauso wie die ganzen alten Hippies und Rocker mit ihren "ekeligen langen Haaren". Um sich von diesen Kulturen abzuheben wurden die Haare nun wieder kürzer und gerade bei den Poppern war ein betont konservativer Wall-Street-Business- oder Dandy-Look (Brian Ferry/Roxy Music) angesagt. Der Hippie- und Rocker-Look lebte in den 80ern bei den Öko-Freaks (die Grünen) und in der boomenden Hardrock/Heavy-Metal-Szene noch etwas weiter. Maßgebend für die männlichen Mitläufer-Jugendlichen waren jedoch die Popper. Anfangs von Kindern aus reichem CDU/FDP-Elternhaus massenmodisch etabliert, wollten spätestens ab Mitte der 80er auch viele proletarische Jugendliche ihren BOSS-Pulli oder ihr Lacoste-Polohemd, kombiniert mit Karottenjeans zu Burlington-Socken in Lumberjack-Moquasins haben. Wie immer schlugen die Errungenschaften der Jugendkultur bis in die Modewelt der Erwachsenen durch.
Ab Ende der 80er nahm die Acid-House-Welle vorweg, was in den 90ern die eigentlich letzte große epochale musikalische und modische Trendwende einläuten sollte: Techno! Zu harten Techno-Sounds passten vor allem militärische Outfits am besten: ultrakurze Haare, Tarnhosen, Bomberjacken von Aplha-Industries, klobige Turnschuhe mit Profilsohle wie von Buffalo. Der alte 80er-Hardrock wurde durch die Welle des Grunge-und Alternative-Rock auf dem Friedhof der Musikgeschichte beerdigt und gleichzeitig flogen nun auch die letzten Jacken und engen Hosen aus schwarzem Nappaleder auf den Müll, samt der zu "Mantaletten" verspotteten Cowboystiefel. Stattdessen waren Holzfällerhemden und Schlabberjeans angesagt- alles schön weit geschnitten, "slackermäßig" eben. Überhaupt musste nun alles weit sein. Gerade in der Hip-Hop-Szene, die in den 90ern und besonders ab den 2000ern neben Techno und House zur größten modischen Jugendkultur aufsteigt. XXL ist jetzt ein Gütesiegel, die Hose muss weit sein und am Arsch hängen (wie bei den älteren Männern, bei denen die Hose hinten allerdings nur hängt, weil sie ihr karottiges Billig-Modell aus dem Adler-Markt immer so tief unter ihrer Wampe zuknöpfen müssen). Enge Jeans gelten auf einmal als schwul, was besonders von den extrem homophoben Hip-Hoppern betont wird, deren Szene ohnehin stark von jungen Immigranten aus dem Orient frequentiert wird, die für sowas kein Verständnis haben. Dass männliche Knackärsche in engen Jeans jahrzehntelang ein hoher attraktivitätsfaktor bei jungen Frauen war, und überhaupt nichts mit schwul zu tun hatte, daran kann sich die heute jüngere Generation nicht mehr erinnern.
Wie immer reichen diese Trends bis in weite Teile der Erwachsenenwelt hinein. Heute sieht man Männer Ü30 in Tarnhose oder mit quer gestellter Hopper-Mütze Kinderwagen durch die Gegend schieben, als wenn sie selber nicht mehr Erwachsen werden wollen. Am besten noch bis zum Hals hoch tätowiert.
Wer es nicht ganz so auffällig hässlich und geschmacklos mag, findet sein Seelenheil in der sportlich-pragmatischen Biederkeit der Trekking-Welt. Auch die mittlerweile etablierten und bürgerlich gewordenen Anhänger der früheren Öko-Szene fahren voll auf Jack Wolfskin ab: Anoraks und Trekking-Schuhe wohin man schaut - so sieht die deutsche Fußgängerzone aus.
Zusammenfassend lässt sich sagen: In weiten Teilen lieben es Männer heute entweder betont asozial/pubertär oder betont unauffällig.
Jugendkulturen wurden übrigens immer von Männern etabliert. Mädchen wurden integriert und mitgezogen, der vordergründige Look war aber immer der der männlichen Jugendlichen.
Weil männliche Mode im Gegensatz zur weiblichen Mode
nie Anhängsel oder Spielerei, sondern immer Ausdruck sozialer und politischer Einstellung war und ist, tut sie sich so schwer damit, sich zu ändern. Es nun gibt nun schon seit zehn bis 15 Jahren keine wirklich neuen popkulturellen Impulse mehr, die irgendeinen Wechsel in der Gesellschaft und damit auch in der Männermode bewirken könnten. Männermode ist also mehr als Frauenmode immer an gesellschaftlichen Wandel gebunden. Die gesamten 2000er waren eigentlich nichts weiter als ein verlängertes Nachspiel der zweiten Hälfte der 90er. Und es ist keine Änderung in Sicht. Wärend bei Frauen ein Retro-Trend den anderen jagt, ist Männermode aus oben gennanten Gründen dafür immun. Sie verharrt deshalb weitgehend - bis auf wenige Ausnahmen - in dem Kuddelmuddel der letzten zehn Jahre.