Liebes Forum,
nachdem ich ich mich jetzt seit Monaten mit Herzklopfen und unguten Gefühlen abquäle, versuche ich jetzt mal, auf diesem Weg Hilfe zu finden:
Mein Freund und ich sind mittlerweile seit etwa 1,5 Jahren ein Paar, er ist Ende 30, ich Ende 20. Wir haben beide studiert, wobei er seit ungefähr 10 Jahren mit seinem Studium fertig ist und ich derzeit immer noch studiere und nebenher arbeite. Ich habe viele Beziehungen hinter mir und hatte mich erst wenige Monate, bevor wir zusammen kamen, von meinem vorherigen Partner getrennt, weil mir die Beziehung so vorkam, als habe sie keine Perspektive. Will sagen: Ich probiere eigentlich nicht mehr rum, sondern fühle mich so, als wäre es an der Zeit, eine feste und dauerhafte Partnerschaft zu finden, in der eine gemeinsame Wohnung, ein gemeinsamer Karriereplan und auch Kinder denkbar sind. Wir haben uns sehr heftig ineinander verliebt und konnten uns eine ganze Weile lang gar nicht oft genug sagen, wie sehr wir uns mögen und wie toll wir uns finden. Spätestens nach einem dreiviertel Jahr Beziehung aber begannen bei mir die Zweifel.
Hintergrund ist, dass ich meinen Freund unter der Prämisse kennen gelernt habe, er sei Freiberufler, der immer wieder Auftragsarbeiten annimmt und sich so über Wasser hält. Das wirkte zunächst individuell und attraktiv - einer, der seine Jobs mit Leidenschaft und Perfektionismus angeht, einer, dem Geld nicht so wichtig ist und der sich auch nicht in irgendeinem Hamsterrad ausbeuten lässt, sondern frei und mutig durchs Leben geht. Dass er in einer kleinen Wohnung mit winziger Küche und ohne Bad lebt, fand ich in Ordnung - ich bin selbst jemand, der nicht viel Wert auf Statussymbole und teure Accessoires legt, wenn er dafür Freiräume genießen, lange Reisen unternehmen bzw. ehrenamtlichen oder künsterischen Hobbies nachgehen kann. Nachdem aber immer mehr Monate ins Land gingen, ohne dass ich in irgendeiner Form erkennen konnte, dass er auf der Suche nach neuen Projekten war, wurde ich immer nervöser. Die Kommentare meiner Mutter, er lebe nicht altersentsprechend und er sei wohl sehr verschlossen und was denn an dem wohl faul sei (die mich natürlich sehr verletzten) haben da natürlich auch nicht unbedingt geholfen, meine Zweifel zu zerstreuen. Mit der Zeit fiel mir auch auf, dass er besonders zum Monatsende hin immer knapp mit Geld war und ich schlussfolgerte daraus, dass er offenbar regelmäßig zum Monatsanfang Geld bekam. Insofern begann die These, dass er von Erspartem lebt, zu bröckeln. Kurz gesagt: Es häuften sich die Indizien, dass da irgendwas absolut nicht stimmte.
Auf Andeutungen und vorsichtige Nachfragen meinerseits reagierte er immer ausweichend, zum Teil sogar aggressiv. Irgendwie ist es ihm dabei gelungen, die "Schuld" auf die Fragensteller zu verschieben, so nach dem Motto: Es ist ja frech, wenn Leute andere danach fragen, was sie tun und das ginge doch niemanden etwas an. Meine Bedenken hat er damit aber nicht zerstreut, eher im Gegenteil - die Ungewissheit begann an mir zu nagen und mich ängstlich zu machen. Wenn das so unklar ist, was verschweigt er noch? Womit verbringt er seine Zeit, wenn ich arbeite oder studiere? Die erste kleinere Krisensituation löste seine Behauptung gegenüber Freunden von mir aus, die zu Besuch waren, und zu denen er sagte, er arbeite als freier Kameramann. Ich sprach ihn später darauf an und sagte, dass mir das total unangenehm gewesen sei, weil es doch einfach nicht stimme, da er ja eben nicht arbeite. Auch gab mir ein Kommentar einer Bekannten von ihm zu denken, zu der ich gesagt hatte, das ich ja toll fände, wenn man seinen eigenen Weg ginge und sich das traue und dass ich mich fragte, wie er das hinbekäme. Sie sagte dazu: "Naja Hartz 4 halt". Im Nachhinein steigt mir echt die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich mir überlege, wie verwirrt ich davon war und tatsächlich dachte, sie würde ihm das nur unterstellen, weil sie ihn nicht so gut kenne!
Zusammenfassend: Es ist ihm über einen wirklich langen Zeitraum gelungen, mich zu täuschen und mir das Gefühl zu geben, er stünde mitten im (alternativen) Leben. Im letzten Sommer haben wir dann in einem Projekt zusammengearbeitet, das ich an Land gezogen hatte. Als er wollte, dass ich die Rechnung schreibe, fühlte ich mich ausgenutzt bzw. fühlte mich extrem unwohl mit dem Gedanken, dass ich meinen Steuerfreibetrag nutzen soll, damit er davon auf Kosten des Staates profitiert. Das hört sich vielleicht herzlos oder übertrieben "moralisch" an, aber ich könnte mir für mich niemals vorstellen, irgendwelche staatlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen und parallel schwarz zu arbeiten bzw. rumzutricksen. Und seinem Verhalten nach musste ich ja schlussfolgern, dass er von Arbeitslosengeld lebt und somit also Angst hat, seine Einkünfte direkt wieder abgenommen zu kriegen. Das Ganze gipfelte in einen riesigen Streit, in dem er wieder sagte, er müsse sich für nichts rechtfertigen, mir ankreidete, dass ich ihm nicht vertrauen würde etc. etc., und wieder kein einziges Mal die Worte "arbeitslos" oder "Problem" in den Mund nahm. Ich hätte ja gar keine Ahnung, meinte er nur (wie auch - er spricht ja nicht mit mir!). Als ich dann gegangen war, fing er offenbar an, auf Stellenanzeigen zu reagieren und Bewerbungen zu schreiben, weil ihm offenbar zum ersten Mal klar geworden war, wie sehr mich das alles belastet und dass das für mich ein potenzieller Trennungsgrund ist.
Mittlerweile sind schon wieder 2 Monate vergangen, in denen ich weder mitbekommen habe, dass er irgendwo zum Bewerbungsgespräch war, noch dass sich in irgendeiner Form irgendetwas getan hätte. Ich zweifle sogar daran, dass er überhaupt Bewerbungen abgeschickt hat, vielleicht ist er aber auch abgelehnt worden?! Das Ganze ist so ein riesen Tabuthema, dass ich überhaupt nicht weiß, wie ich das angehen soll, weil auch klar ist, dass ein Gespräch darüber automatisch in ein riesiges, anstrengendes Krisengespräch ausufert.
Seit ich so sehr für das Thema sensibilisiert bin, fällt es mir schwer, ihn auch nur einen Tag länger als bis 10 Uhr schlafen, Computer spielen oder sonst irgendwas "Sinnloses" tun zu sehen - dauernd habe ich Herzklopfen und bitte ihn innerlich, doch endlich irgendetwas zu tun, damit sich seine Lage ändert. Ich verstehe ihn nicht, verstehe auch nicht, was er sich dabei denkt oder was er vorhat, weiß nicht einmal, wie lange er schon arbeitslos ist, wie das passiert ist oder ob er das womöglich für ein legitimes Lebensmodell hält, in dem er sich eingerichtet hat und das er vielleicht auch gar nicht vorhat, zu verlassen. Parallel ist er aber ein sehr stolzer Mensch mit vielen Interessen, der eigentlich durchaus in der Lage sein sollte, sich zu versorgen und vorallem auch wesentlich besser zu leben, als es ihm jetzt möglich ist. Zusätzlich finde ich gruselig, dass er offenbar ständig Dinge vor mir verheimlicht. Ich habe zwar keine Ahnung, wie das mit dem Hartz 4 läuft, weil ich noch nie vorher damit in Berührung gekommen bin, aber ich nehme an, dass er regelmäßig zum Amt muss und von irgendwelchen Maßnahmen und Einschränkungen betroffen ist. ich habe davon aber noch nie auch nur im Entferntesten etwas mitbekommen.
Dauernd hat er große Träume und Pläne, es wird aber kaum etwas davon in die Tat umgesetzt. Immer wieder hoffe ich, dass sich etwas tut und dann alles ins Lot kommt, verliere aber nach und nach die Hoffnung. Jetzt gerade gibt es wieder einige spannende Jobangebote, ich traue ihm aber schon fast nicht mehr zu, dass er es hinbekommt, sich zu bewerben und frage mich auch (möglicherweise übertrieben besorgt) welcher Arbeitgeber einen Menschen einstellt, der riesige Lücken im Lebenslauf und keine vernünftige Erklärung dafür hat.
Mich bedrückt und belastet das alles so sehr, dass ich nicht nur anfange, schlecht zu schlafen, sondern auch schon selber in Aktionismus mit immer mehr und noch mehr Arbeit und Freizeitaktivitäten ausbreche. Wenn ich mit ihm bei ihm zu Hause sitze, fühle ich mich schon nach kurzer Zeit wie gelähmt und werde ungeduldig, versuche ihn anzutreiben..
Wenn ich mich emotional nicht so sehr mit ihm verbunden fühlen würde (denn das muss man auch mal erwähnen: In Bezug auf die Beziehung und mich ist er ein ganz toller Partner, der sich einfühlt, geduldig und liebevoll und emotional intelligent ist und mit dem ich mich überwiegend sehr gut fühle), wäre das alles nicht so kompliziert und es fiele mir leichter, eine Entscheidung zu treffen.
Was meint ihr? Was ist da los? Warum sitzt ein gut aussehender, intelligenter, gesunder, kreativer Mann, der sowohl eine Ausbildung als auch ein Studium abgeschlossen hat, zu Hause und bezieht Hartz 4?? Und was kann ich tun, um mit diesem Schlamassel fertig zu werden?
Sorry, dass das so ein langer Text geworden ist - das musste einfach raus, schätze ich.
Danke schonmal,
Sorgenmädchen