Ich muss ehrlich gestehen, dass ich gar nicht genau weiß wie ich anfangen soll.
Erstmal ich heiße Ina und bin 30 Jahre alt. Ich hatte eine wirklich fantastische Kindheit. Eine tolle Familie mit mächtig Liebe und Aufmerksamkeit, ein großer Freundeskreis und viel Spaß im Leben. Verhaltensauffällig war ich somit auch nie, denn ich bin schon immer jemand mit einem Lächeln im Gesicht gewesen. Mir macht es einfach sehr viel Freude, wenn andere Menschen um mich herum glücklich sind. Wenn andere lachen, geht es mir gut.
Naja jedenfalls ist dies meine Erinnerung bis vor einem halben Jahr. Letzten Sommer ist plötzlich ein lange verdrängtes Kindheitserlebnis wieder aufgetaucht. Ich wurde im Alter von 8 oder 9 Jahren von einem 7 Jahre älteren Jungen zum Sex gezwungen. Jedenfalls glaube ich, dass man in so einem Alter definitiv nicht sein Einverständnis gibt. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber noch genau an die Umgebung und das eine weitere Person aufgepasst hat, das niemand etwas davon mitkriegt. Nachdem alles vorbei war, habe ich mich blutend mit Schmerzen ins Bad eingeschlossen. Niemals habe ich irgendjemanden davon erzählt. Wie denn auch! Ich habe unglaubliche 22 Jahre alles verdrängt! Wie kann denn so was passieren? Wenn man sich mal mit Freunden über das Thema Sex unterhält, hätte es doch einfach klick machen müssen, oder? :???:
Auf jeden Fall wird mir dadurch einiges bewusst, z.B. warum ich seit ich 8 bin stetig an Gewicht zugenommen habe. Oh und männliche Partner sind ein absolutes Tabu! Ich dachte bislang eigentlich immer, dass es an der Figur liegt, keinen Freund zu haben bzw. zu kriegen. Aber wenn ich mir die ganze Sache rückwirkend anschaue, denke ich eher, dass ich absichtlich unterbewußt zugenommen habe, damit mich nie jemanden will, der mir etwas antun könnte. Somit erklärt sich wiederum auch, warum meine besten Freunde sich irgendwann als schwul geoutet haben. Ich scheine ein Faible darin zu haben, so was vor denen zu merken.
Tja, einigen MOnaten sitze ich nunmehr in einen Loch gefangen und es wird täglich schlimmer. Ich traue mich nicht irgendeiner Person dieses schwere Geheimnis anzuvertrauen. Ich will keine Mitleidsblicke oder ähnliches haben. Ich will den Personen um mich herum noch sicher in die Augen blicken können, ohne Hintergedanken die weiß ES. Und niemand soll jemals die Chance auf so einen Dolchstoß haben. Ich will anderen ja auch keine Sorgen bereiten, schließlich bin ich immer ganz gut alleine in meinem Leben klar gekommen. Die Leute um mich herum sind oft zu mir gekommen, wenn sie Probleme hatten oder Rat brauchten, und ich habe versucht zu helfen so gut es ging, so soll es auch bleiben und nicht umgekehrt. Aber zurzeit geht es mir immer schlechter und ich habe das Gefühl privat nichts mehr auf die Reihe zu bekommen. Eine Freundin/Kollegin fragte mich kürzlich, was mir fehlt, ich würde mich anders verhalten wie sonst. Ja, ich muss gestehen, dass ich so oft an alles denken muss und sich immer mehr ein Teufelskreis aufbaut. Vorgestern Abend war ich so traurig und melancholisch, dass ich zu einer Rasierklinge gegriffen habe und mir einen Strich über den Unterarm gezogen habe. Das schlimme daran war: Es war schön! Schön mal einen anderen Schmerz zu empfinden, schön Blut zu sehen und zu merken, dass man noch am leben ist. Schön, dass alles andere im Hintergrund verschwindet und man wieder frei von grausamen Gedanken ist. Gestern morgen habe ich mich dagegen dafür geschämt, weil mans sieht. Ich denke aber mal, dass es nur eine leichte Narbe gibt und sie bald verschwindet. Ängstlich bin ich davor, noch mal in so eine für mich aussichtslose Situation zu gelangen, dass ich wieder zur Klinge greife. Versteht mich nicht falsch, ich habe keine suizidalen Gedanken oder ähnliches. Ich habe sicherlich in der letzten Zeit häufig über eine Lösung nachgedacht, aber niemals würde ich dies wirklich durchziehen. Ich liebe meine Arbeit, meine Familie und meinen Freundeskreis. Ich bin schließlich 30 und stehe mitten im Leben, und bin keine jugendliche Person ohne Zukunftsvisionen. Ich wurde schon immer als starke Persönlichkeit anerkannt und eigentlich bin ich das auch gewesen. Mein Beruf ist für mich perfekt und ich werde dort gebraucht und respektiert. Aber irgendwie sehe ich zur Zeit alles nur schwarz und ich verkrieche mich oft zu Hause in meinem Bett und will einfach in Ruhe gelassen werden... :-(
Könnt ihr mir helfen und mir sagen, wie ich da alleine wieder herauskomme? Ich möchte nicht zu einem Therapeuten, da ich wirklich niemanden etwas davon erzählen will und kann. Sicherlich schlagt ihr mir vor, dass ich trotzdem einfach mal da hingehen soll und es sagen soll, damit ich mich wieder besser fühle, aber ich habe solche Angst davor! Auch meiner Familie würde ich nichts davon freiwillig sagen, da diese die Person von damals auch kennt. Verdammt es ist mir alles so schrecklich peinlich! Gibt es evtl. gute Literatur mit der ihr das geschafft habt? Und wie kann man denn 22 Jahre alles ausblenden und vergessen!!!
Ich bitte euch dringend um ein paar Tipps, damit ich wieder aus diesem Sumpf rauskomme! Das muss doch auch von alleine wieder klappen, am liebsten würde ich einfach alles vergessen. Helft mir bitte!
Ina