Wendepunkt 50
Alter ist, wenn dein Telefon klingelt und du hoffst, dass es nicht für dich ist!
(von Avinasho)
Mit dem 50. Geburtstag taucht der Horizont auf, erkannte ganz klar Joschka Fischer, Ex-Außenminister, als er in einer Talk-Show seine Biographie Die rot-grünen Jahre vorstellte. 50, das ist der Zeitpunkt, an dem wir das klare Gefühl haben: Die restliche Lebenszeit wird sehr überschaubar.
Old age is when the telephone rings on Saturday night, and you hope it is not for you, formulierte Osho treffend. Die schiere Biologie zwingt uns einen langsameren Rhythmus auf. Das Tempo runterfahren eine Chance, langsamer und bewusster zu werden?
Vom Slow-Go zum No-Go
Die ersten Zipperlein wollen nicht mehr weichen und wir richten uns darauf ein, auf Dauer mit der einen oder anderen Krampfader zu leben. Im Kopf tauchen die ersten Szenarien auf: Was, wenn der Körper nicht mehr so kann, wie ich will oder noch schlimmer: gar nicht mehr kann? Vom Slow-go zum No-go (das ist aus dem Slang der Altenpfleger). Grund zur Panik? Nicht wirklich. Die Industrie hat längst den Silver Market, also das Geschäft mit den Alten entdeckt, und drückt Anti-Aging Produkte auf den Markt. Hormondebatten überschwemmen nicht nur die Frauenzeitschriften, Vitaminpräparate quellen aus den Apothekerregalen und durch die Parks stapfen buntscheckige Rentner-Gruppen mit klappernden Nordic-Walking-Stöcken.
Orgasmus im Alter?
Ganz langsam hat sich auch eine neue Ästhetik ausgebreitet: NIVEA z.B. preist die Schönheit älterer Körper auf ganzseitigen Anzeigen. Subtext: Beruht die Schönheit in Wahrheit etwa auf einer geistigen/seelischen/spirituellen Haltung, die der Körper ausdrückt? Sogar im Fernsehen tut sich was. Die Vorstellung Alt ist nicht nur unschön und etwas, wovor man Angst haben muss macht sich langsam aber stetig breit. Alte Menschen werden deshalb nicht mehr nur als Randfiguren dargestellt (o.k. King Lear war immer eine Ausnahme). Es geschehen Dinge, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären. So was z.B.: Christiane Hörbiger (69) spielt eine fünfundsechzigjährige Frau, die, nachdem ihr Mann gestorben ist, mit ihrem neuen Liebhaber gleich zwei Mal einen Orgasmus hat. Im Bild, nicht im Off. Das Alter wird zusehends weniger als ein asexueller Zustand wahrgenommen und die Alten werden nicht mehr nur diskriminiert (außer, zugegeben, auf dem Arbeitsmarkt).
In ihrer Sendung Generation 80 plus stellte Sandra Maischberger neulich im November eine illustre Runde 80- bis 104-Jähriger vor. Dort bemerkte die Psychoanalytikerin Margarethe Mitscherlich (90), es gebe für ihren Geschmack zu wenig Mode für alte Menschen (die bequem und schön sein sollte) und dass sie das Tragen von Spaghetti-Trägern nicht wirklich vermisse. Gisela May (83), Schauspielerin, Diseuse und berühmte Brecht-Interpretin, erzählte, im Alter entscheide man schneller, was wirklich wichtig sei, weil man schneller darauf achten muss, was einem guttue. Und so hätte man nicht mehr so viel Zeit für Nebenkriegsschauplätze. Und Simone Rethel, Frau des 104-jährigen Johannes Heesters, stellte ihren neuen Bildband Die Schönheit des Alters vor. Die Melancholie des Alters ist: Die Zeitgenossen verlassen einen. Manche Alte, wie Satyananda und sein Freund Pittchen (beide über 80) helfen sich mit Humor und Galgenhumor darüber hinweg.
Treffen sich beide auf der Beerdigung eines gemeinsamen Freundes. Fragt Satyananda: Pittchen, kommst du auf meine Beerdigung auch? Antwortet Pittchen: Nee du, morgen hab ich schon was vor!
Die besten Jahre
Meditierer haben gute Gründe, dem Alter gelassen entgegenzublicken. Jetzt ist wissenschaftlich erwiesen, dass Meditation beruhigend auf Geist und Körper wirkt und so die schädliche Wirkung von Stress und Ärger, dem Alterungsbeschleuniger Nr. 1, ausbremsen kann. Bewegung in Maßen ist ein bekanntes Anti-Aging-Mittel. Moderne Meditierer tanzen viel, sie rauchen selten und wissen emotionale Stabilität und Lebensfreude in ihrem Leben zu schätzen und zu pflegen. Auch das ist eine die Lebensqualität erhöhende und lebensverlängernde Maßnahme (Gasser, Kreutner, Hinkel: Ihre besten Jahre und was sie darüber wissen sollten). In dem Buch von Axt, Die Kunst länger zu leben, erfährt man im Kapitel Das Geheimnis der 100-Jährigen, dass Neugier und Lernbereitschaft segensreiche Tugenden sind, um geistig fit zu bleiben. Eine relativ leichte Übung für uns Sucher, die wir oft durch die Kontinente gezogen sind, mehrmals Beruf, Arbeit und Partner gewechselt haben und deswegen meist nicht die allerfleißigsten Rentenzahler waren; ergo bis ins hohe Alter arbeiten werden.
In Berlin haben Karina (63) und Armin (58) vom Institut für Lebenskunst und Tantra (www.tantra-in-berlin.de, Motto: Eine neue Kultur der Sinnlichkeit und des Friedens im Alltag) dieses Jahr einen Abend für die Generation 50 plus entwickelt. Da geht es darum, in der Zeit nach dem Wendepunkt 50 die zweite Lebenshälfte bewusst und bejahend zu erleben, Körper und Sinne zu genießen, Herz und Seele zu nähren, Tiefe und Stille zu erleben und/oder Projekte zu initiieren, um das Leben und Wohnen im Alter sinn- und freudvoll zu gestalten. Ihre Themenabende wie z.B. Sinne, Dankbarkeit, Sexualität, Bewusst älter werden oder Vergänglichkeit hatten so regen Zuspruch, dass ihr ALTERnativer Abend im neuen Jahr monatlich stattfinden kann.
Die Kunst der liebevollen Annahme
Um was geht es bei Liebe und Sex über 50? Armin und Karina schenken in den tantrisch-hell-warm gestalteten Institutsräumen hoch über den Dächern Berlins Tee ein und erklären: Die Kunst, Ja zu sich selbst zu sagen, wird einen Zacken schärfer, (heißt: dringender), wenn die Körperkräfte nachlassen. Außerdem sind wir gut beraten Ja zu unseren Grenzen zu sagen, weil der körperliche Raubbau sonst zu groß wird und zur Erschöpfung bis hin zum Burn-out führen kann. Hier geht es darum, die Kunst der liebevollen Annahme zu erlernen. Nicht immer leicht.
Und der Sex im Alter? Ist nicht mehr so extrem triebgesteuert, erklärt Karina. Das Interesse am Sex nimmt kaum ab, aber es geht nicht mehr so um das Hasengehoppel, sondern mehr ums Fühlen, im Moment bleiben, nicht ums Tun, sondern ums Sein. Paare werden geschützt im Institut für Lebensqualität und Tantra. Die Zeiten, als es mit großem Geschrei darum ging, seine Freiheit durch ständigen Partnerwechsel unter Beweis zu stellen, haben die Menschen über fünfzig meist erfolgreich hinter sich gebracht. Es geht nicht mehr darum, von A nach B zu rennen, sondern in die Tiefen von A einzutauchen.
Und Partnerwechsel? Es ist für ältere Menschen bei einem Neuanfang eine ganz andere Herausforderung, sich und ihren Körper zu zeigen, als wenn man zusammen alt geworden ist. Beide erklären, es gehe drum, das Leben rund zu machen im Rückblick. Das gehe nur durch Loslassen und Abschied von Körper, Beziehungen, Familie, Vorstellungen. Und zwar dann, wenn es angesagt ist.
Meditationen, die auch im Institut angeboten werden, spielen eine hilfreiche Rolle dabei. Karina und Armin halten es mit Hermann Hesse, der seine Betrachtungen und Gedichte über das Alter so überschrieben hat: Mit der Reife wird man immer jünger. Hesse beschreibt darin, wie der Körper uns zur Langsamkeit zwingt. Und auch, warum alte Menschen z.B. so gerne gärtnern. Sie haben die Geduld und die Hingabe zu warten und zu gucken, was die Pflanze ganz langsam hervorbringt. Ein Garten kann zur Kraftquelle werden.
Was ist mir noch wichtig?
Seine Vergänglichkeit wird einem immer bewusster und macht drastisch die Dringlichkeit klar, endlich das zu tun, was man schon immer tun wollte, das zu erledigen, zu wagen, anzugehen, was man nicht länger vor sich herschieben kann. Denn die Zeit rennt. Die Verantwortung, sein Leben Jetzt oder Nie! so zu gestalten, wie man es sich schon immer gewünscht, aber vielleicht nie gewagt hat, wird deutlich spürbar. Was ist mir (jetzt noch) wichtig? wird zur zentralen Frage. Im Hier und Jetzt leben, auch und gerade wenn man weiß, dass man sterben wird. Raus aus den Konzepten rein ins Leben!
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