Ihn bis dahin gar nicht so eingeschätzt hätte
Das Problem ist, daß diese Leute sich selbst auch nie als Nazis einschätzen.
Sondern nur als "besonders konservativ".
Nun, jetzt kannst Du ihn ja einschätzen.
An Deiner Stelle würde ich mich von ihm zurückziehen. Wenn er für Dich noch in irgendeiner Form nützlich sein sollte, dann belaß es bei einem sehr losen Kontakt. Ansonsten laß die "Beziehung" zu ihm einschlafen.
Diskutieren würde ich auf diesem Niveau mit ihm nicht mehr. Wenn ich Sachen lese wie "sicher nicht alles richtig war, was der führer damals gemacht hat", kommt mir das Kotzen, ehrlich.
Aber leider denkt ja nicht nur Dein Freund so. Bis tief in die Mitte unserer Gesellschaft hinein, und zwar quer durch alle Schichten, hört man heutzutage, daß der Adolf "anfangs" doch auch sehr gute Sachen gemacht habe. Sogar dem Ende können einige noch was abgewinnen: Ohne den Krieg hätte es ja das anschließende Wirtschaftswunder nicht gegeben. Und überhaupt, sonst wären ja eh die Russen gekommen. Und dann wären wir alle jetzt kommunistisch. Und außerdem habe man "früher" wenigstens noch nachts die Straße passieren können, ohne Angst haben zu müssen, weil auf Raub die Todesstrafe stand, damals, in der "guten alten Zeit".
Kotzen könnte ich angesichts von soviel Dummheit, Ignoranz, und vor allem grenzenloser Ich-Denke: Hauptsache den eigenen Leuten ging es - vorläufig - erst mal gut. Wie es dem Nachbarn erging - und zwar von Anfang an! - der Jude war, oder Kommunist, oder Zeuge Jehovahs, oder Farbiger, ... dafür haben sich diese Biedermänner damals ebensowenig interessiert wie heute. Das sind Egoisten, wie sie im Buche stehen - sie interessieren sich nur für das eigene Wohlergehen, ihre eigene Familie, ihre eigenen Lieben - der "Rest" interessiert nicht. Das sind Kollateralschäden, die in Kauf genommen werden. Davon wollen sie nichts sehen, nichts hören, nichts wissen.
Und eines muß ich Adolf und seinem Propagandaminister Goebbels wirklich lassen: Er hat messerscharf erkannt, wie wenig dazu gehört, solche Menschen zu führen. Nicht umsonst hatte die NSDAP eben nicht nur das "national", sondern auch das "sozialistisch" im Namen. Nicht umsonst war Adolf ein kleiner Emporkömmling, der genau wußte, daß die meisten Menschen käuflich sind, daß sie sich erst mal für sich und dann erst für die anderen interessieren - vorausgesetzt, daß es sie nichts kostet, das zu tun.
Natürlich ist das nicht der alleinige Grund für seinen Aufstieg gewesen. Das war viel komplexer, führt aber jetzt zu weit, darum geht es hier ja auch nicht.
Ich gebe Dir folgenden Tip:
Wenn Du künftig Menschen kennenlernst, dann gib ihnen innerlich so eine Art "Probezeit", in der Du zwar den Kontakt zu ihnen pflegst, die Beziehung aber als noch in der "Testphase" betrachtest.
Wenn die Macken dann zutage treten, stell Dir einfach mal folgende Frage:
Wo hättest Du vor 60 Jahren gestanden - und wo dieser Mensch?
Vielleicht wärst Du ja auch ein Mitläufer gewesen - damals, unter den gegebenen Umständen. Aber bedenke bitte, daß Dein Kumpel es sogar heute, unter völlig anderen Voraussetzungen, nämlich ohne jede Not, bereits IST!
Und dann frag Dich mal, ob er vor 60 Jahren wohl so zu Dir gehalten hätte, wie Du jetzt (noch) zu ihm, wenn die Gestapo bei Dir vor der Haustür gestanden hätte, um Dich "Ausländer" abzuholen und außer Landes zu weisen.
Bist Du sicher, es hätte ihm leid getan?
Geschweige denn, daß er Dir geholfen hätte?
Werner