Könnte ich selbst geschrieben haben...
Ich weiß, dieser Thread ist alt, aber es werden immer wieder Hilfesuchende durch Google darauf stoßen. Deshalb antworte ich heute, vier Jahre nach deiner Frage.
Nun bist du ja schon 27, schon reifer, vielleicht ist das sogar von Vorteil. Denn diese Art der Manipulation zu durchschauen und dagegen eine Strategie zu entwickeln erfordert von dir schon eine gewaltige Portion Menschenkenntnis. Um damit leben zu können ein riesiges Stück Selbstbewusstsein.
Deine Geschichte gleicht fast bis in die Einzelheiten meiner Geschichte. Meine Mutter hat mich auch in einem für sie fremden Land aufgezogen, hatte aber immer ihren Mann, meinen Vater an ihrer Seite. Was die Situation nicht besser machte. Sie manipulierte meinen Vater, der mich dann gemeinsam mit ihr beschimpfte, demütigte, beschuldigte, anfeindete. Obwohl ich nie körperlich verletzt wurde, fühlte ich mich, als hätten sie es beide täglich getan. Psychische Misshandlung geht genauso tief wie körperliche.
Ich will mich hier nun gar nicht mehr mit meiner Geschichte befassen, dieses Thema habe ich abgehakt. Ich glaube, so lange man noch das Gefühl hat, darüber sprechen zu müssen, hat man es noch nicht verarbeitet. Ich habe es verarbeitet. Hier möchte ich dir schildern, wie ich mit meiner Mutter umgehe:
1. Ich habe mich von ihr emotional distanziert. Wenn sie Hilfe braucht und das artikuliert, was sie meist nicht tut, wäre ich für sie da. Im Innersten weiß sie das ganz genau.
2. Ich glaube ihr grundsätzlich nichts. Egal, was sie mir am Telefon erzählt, ich gehe davon aus, dass es ein Manipulationsversuch ist. Vor allem, wenn es eine Sache ist, die mich emotional berührt. Es berührt mich dann in diesem Moment noch immer. Ich versuche noch immer, die Situation zu verstehen, die sie mir schildert, nur um ihr im Schlimmsten Fall mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Aber sobald ich auflege, denke ich darüber nach und entscheide zu meinem Besten. Und für meine Familie.
3. Ich erzähle ihr nichts, was sie dazu veranlassen könnte, neidisch und missgünstig gegen mich zu sein. Denn meine Mutter ist eine äußerst neidische und missgünstige Person. Ihre engsten Freunde sind ihre ärgsten Feinde. Die Freunde wissen nur nichts davon.
4. Ich gehe ihren Freunden aus dem Weg. Denn um sich selbst ins rechte Licht zu rücken, fällt sie über mich als Person her, stellt mich hin wie eine Verbrecherin und sich selbst als das Opfer. Die Opferrolle ist ihre Lieblingsrolle. Ich habe ihr mein ganzes Leben nichts angetan. Im Gegenteil - ich wollte ihr immer helfen. Zum Dank hat sich mich beschuldigt, für nichts Nutze zu sein, nichts richtig machen zu können, ständig müsse sie meine Fehler korrigieren, ich wäre als Mensch unbrauchbar, als Frau hässlich, als Mitarbeiterin faul, als Mutter eine Versagerin, als Ehefrau eine schlechte Hausfrau. Das artikuliert sie so ihren Freunden gegenüber. Ich lasse die Freunde in dem Glauben. Und gehe ihnen so gut wie möglich aus dem Weg. Schließlich sind ihre Freunde ihre letzte Stütze, Jeder Mensch braucht jemanden.
5. Ihre Ratschläge sind immer falsche Ratschläge. Deshalb befolge ich sie niemals. Das war übrigens der erste Punkt, den ich bereits mit 18 erlernte. Er ist bis heute, fast 20 Jahre später, immer noch gültig.
6. Ich lasse meinen Mann nicht zu oft in ihre Nähe. Sie macht meine Beziehungen kaputt, indem sie sich als Frau, Mutter und Hausfrau besser darstellt, als sie eigentlich ist. Und sie schafft es, dass man ihr glaubt! Bei meinem ersten Mann ist ihr das gelungen. Mein zweiter Mann war vorbereitet. Deshalb ließ er sich nicht manipulieren. Wir besuchen sie gerade mal zu Weihnachten, zu Ostern und zu den Familien-Geburtstagen. Sie hasst ihn dafür und redet in unserer Abwesenheit schlecht über ihn, weil sie es nicht geschafft hat, ihn zu manipulieren und sich über mich zu stellen. Für meinen Mann bin eben ich die Beste! :-)
7. Ich rufe sie 1 x wöchentlich an, um mich davon zu überzeugen, dass es ihr gut geht. Sie selbst ruft so gut wie nie an.
8. Ich lebe mein Leben. Zu lernen, nicht ständig Rücksicht auf meine Mutter zu nehmen, hat Jahrzehnte gedauert. Ich fühlte mich früher ständig wie eine Egoistin. Das wäre genau das gewesen, was mir meine Mutter vorgeworfen hätte. Jetzt bin ich so weit, dass es mich kalt lässt. Was nicht heißt, dass ich sie nicht trotzdem liebe. Sehr ambivalent - ich weiß - aber eine gute Überlebensstrategie. Andernfalls könnte ich mein eigenes Leben vergessen.
9. Ich habe ihr verziehen. Sie tut mir manchmal noch immer unendlich leid. Vor allem, weil ich weiß, was alles in ihrer Kindheit vorgefallen ist. Manchmal tue ich mir selbst noch immer unendlich leid. Aber wisst ihr was? Meine Mutter lebt gut mit ihrer psychischen Störung! Sie ist eine Geschäftsfrau, hat ihre Angestellten, auf die sie sich verlassen kann und die viel von ihr halten. Sie hat einen funktionierenden Freundeskreis. Sie hat genug Geld und ist fleissig.
10. Als ich lernte, all diese Strategien erfolgreich umzusetzen, wurde auch mein Leben erfolgreich. Ich habe einen sicheren Beruf, fühle mich wohl, habe einen Mann, der mich liebt so wie ich ihn. Es geht mir finanziell gut. Wir haben alles, was man für ein glückliches Leben braucht. Nur dass ich eben mehr brauchte als Menschen mit gesunden Eltern. Ich brauchte die richtige Strategie. Diese zu finden dauerte fast zwei Jahrzehnte. Deshalb dauerte mein Weg zum Erfolg auch länger als der von anderen Menschen. Und es hat mehr Energie erfordert als bei anderen, um bis an den Punkt zu gelangen, an dem ich heute stehe.
Vielleicht kann ich deinen Weg durch meine Erfahrungen etwas abkürzen. Alles Gute!