Mutismus?
Hallo Steffiz2,
Ich bin weiblich, werde nächsten Monat 38 Jahre alt und bin vor ca. 2 Jahren auf das Wort und den Begriff Mutismus gestossen. Und zwar war in damals an einer Arbeitsstelle, wo ich mit dem Chef allein war und damit tägliche Pausen nur mit ihm verbrachte. Am Anfang war ich regelrecht begeistert, dass ich in dem Büro so oft allein war. Irgendwann nach ein paar Monaten merkte ich, dass ich trotz meines (nicht mehr so blutjungen) Alters und ca. 18 Jahren Berufserfahrung totale Hemmungen hatte, mich mit meinem Chef zu unterhalten. Mir fielen keine Themen ein und wenn, dann war ich beim Sprechen völlig unsicher und stotterte sogar manchmal (ich habe als Kind nie gestottert.) Irgendwann war meine Scham so groß, dass ich eine regelrechte Sprechblockade hatte und nicht mal mehr den Mund aufbekam. Mein Chef mutierte zum Alleinunterhalter und war entsprechend genervt. Das war mir so peinlich, dass ich anfing, nachzuforschen, was mit mir los ist. Durch diese Angst vorm Reden war auch meine Konzentration katastrophal und ich hatte Angst, dass mich mein Chef irgendwann vor die Tür setzt, weil er mich für geistesgestört hält. Dass ich nur für ein Jahr befristet angestellt war, beruhigte mich nur bedingt.
Ich stieß somit auf die Begriffe Mutismus bzw. selektiver Mutismus, befasste mich mit den entsprechenden Hintergründen.
Wenn ich zurückdenke, war ich schon immer extrem schüchtern außerfamiliären Personen gegenüber. Aus Verlegenheit lächelte ich viel und man empfand mich wenigsten als höfliches Kind, wenn ich auch nix sagte. In der Schule sprach ich nur mit wenigen Freunden. Andere Kinder lehnte ich innerlich ab und bildete mir ein, die würden mich eh nicht mögen. In Mitarbeit, sagten mir viele Lehrer, würde ich eigentlich die Note 5 verdienen, sie würden mir aber eine bessere Note geben, damit nicht die 5 zwischen ansonsten lauter 2en steht. Die Vorstellung, mich melden oder vor der Klasse oder anderen Menschenmengen zu reden, rief bei mir Schweissausbrüche hervor. Im Ferienlager war ich immer Aussenseiter, wurde viel gehänselt, weil ich einfach nicht ungezwungen kommunizieren konnte; ich traute mich nicht, auf andere zuzugehen.
Im meiner Lehre im Büro habe ich, nach meiner Erinnerung, nie mehr gesagt als Ja, Nein, Bitte und Danke. Bei Zusammenkünften an Geburtstagen oder anderen Feiern war ich die einzige, die nie etwas sagte. Es ging einfach nicht. Später hatte ich dann eine ganz ganz liebe Kollegin, zu der ich tiefes Vertrauen hatte und mit der konnte ich mich ganz offen und unkompliziert unterhalten.
Irgendwann sah ich es dann als lebensnotwendig an, zu reden und bemühte mich; bis heute mit Widerwillen. Ich würde mein Leben am liebsten schweigend absolvieren. Bis heute geht es mir so, dass ich noch einigermaßen Unterhaltungen führen kann, wenn ich nur eine Person gegenüber habe. Sobald es mehrere sind, sehe ich keinen Anlass und kein Bedürfnis zu reden.
Weil ich nicht viel rede, halten mich scheinbar ne Menge Menschen für dumm. Weil ich mich dafür so schäme, ist, wie gesagt, meine Konzentration futsch, da ich in Gedanken immer nur bei der Angst vor anderen bin und mich nicht auf eine Sache konzentrieren kann.
Manchmal habe ich Angst, dass mein Leben irgendwann ruiniert ist und ich so wenig Selbstachtung habe, dass ich arbeitslos werde und nie wieder berufstätig sein kann bzw. mich keiner mehr nimmt.
Ich zwinge mich notgedrungen zum Reden, aber es kostet mich so viel Energie, da tagtäglich so viel Widerwillen im Spiel ist.
Seltsamerweise bin ich auf schriftlicher Eben eine regelrechte Schnattertasche. Ich schreibe gern und viel. Nur mündlich klappt es nicht.
Letztens erfuhr ich von meiner Oma, dass meine Mutti (die schon seit 18 Jahren tot ist und die ich nicht mehr selbst fragen kann), als Kind auch extrem schüchtern war und fremde Personen nicht angeschaut geschweige denn, gegrüßt hat. Ich kenne meine Mutti allerdings als normal sprachgewandt, kontaktfreudig und beliebt.
Mein Kind ist jetzt 5 Jahre alt. Mich für sie einzusetzen, fällt mir komischerweise leichter als für mich selbst zu reden.
Allerdings fallen mir bei ihr die gleichen Symptome auf. Sie ist zu Hause eine Schnattertasche, spricht tadellos und ist auch sehr klug. Wenn sie unterwegs Bekannte trifft, versteckt sie sich, schaut weg und ihr würde nie im Leben einfallen, wenigstens Hallo zu sagen. Das ist mir zwar anderen gegenüber peinlich, aber ich kann sie nicht schimpfen, da ich großes Verständnis dafür habe. Selbst bei Oma und Opa, die sie nur ca. aller 2-3 Monate sieht, geht es ihr oft ähnlich.
Wegen meiner Konzentrationsstörung habe ich mich schon testen lassen auf ADS, Alzheimer und Demenz. Es ist keines von den dreien. Wegen Sozialphobie bin ich momentan in Behandlung. Aber ich frage mich, kann ich eine Art Mutismus haben??
In meinem Leben gibt es sehr wenige Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Andere (und die sind jetzt nicht zwangsläufig unsympatisch) fehlen mir einfach die Worte.
Hast du als Mutist die Erfahrung gemacht, dass die Angst vorm Reden die Konzentration stört?
Könnte ich etwas zu deinen familiären Hintergründen erfahren und wie du so durchs Leben kommst?
Würde mich über eine Antwort von dir freuen!
Liebe Grüße
Sharazany