Zuerst Sex oder zuerst kennenlernen
Richtlinien für die Sexualerziehung
in Nordrhein-Westfalen
Stellungnahme zum Entwurf vom 30.4 1998 an die mitwirkungsberechtigten Verbände weitergeleitet am 18.12.1998
I. Vorbemerkung
Nach Schaffung einer lange vom Bundesverfassungsgericht angemahnten gesetzlichen Grundlage für die schulische Sexualerziehung - die Einfügung von Absatz 5 zu 1 des Schulordnungsgesetzes im Jahr 1994 - war eine Neufassung der bisher geltenden Richtlinien aus dem Jahre 1974 unabweisbar geworden.
Die Verfasser haben sich offensichtlich bemüht, die Inhalte annehmbar und leicht verständlich darzustellen. Sie haben Wichtiges und Unwichtiges gemischt, ohne Bedenken Widersprüchliches ausgesagt und in eingängigen Formulierungen problematische Inhalte geglättet oder wie selbstverständlich behandelt. Die aus rechtlichen Gründen einzuhaltenden Schranken werden kaum deutlich, die Rechte der Eltern und Kinder ebenso wenig.
II. Bemerkungen zu inhaltlichen Aussagen
1. Ja zu ganzheitlicher und wertebezogener Sexualerziehung
Der Elternverein NRW begrüßt grundsätzlich die im ersten Kapitel genannten Aufgaben und Ziele schulischer Sexualerziehung. Sexualerziehung darf sich in der Tat nicht auf die reine Wissensvermittlung beschränken, wenngleich diese deren unentbehrliche Grundlage ist, sondern sie muß Jugendlichen zu einem sinnbestimmten und wertorientierten Mann- beziehungsweise Frau-Sein verhelfen. Zu Recht spricht der Entwurf von einer ganzheitlich anzulegenden Sexualerziehung. Sexualität muß als Teil der Gesamtpersönlichkeit gesehen werden, als eine den ganzen Menschen prägende Kraft, die Quelle eines gelingenden und beglückenden Lebens sein kann.
Der Entwurf bekennt sich zu einer wertebezogenen Sexualerziehung, wenn er die Achtung vor der Würde des Mitmenschen betont, die es gebietet, andere Menschen auch im Bereich des Sexualität nicht für eigene Zwecke zu benutzen oder auf Teilaspekte ihrer Person zu reduzieren, sondern sie in ihrer Gesamtpersönlichkeit wahrzunehmen und zu respektieren (S. 5 unten). Er fordert, daß Werte, Tugenden und Normen bewußt gemacht und reflektiert werden (S. 5 vorletzter Absatz).
2. Nein zu unzulässiger Indoktrination
Zu diesen Aussagen steht in Widerspruch, daß der Entwurf im Ganzen eine wert-freie, um nicht zu sagen wert-lose menschliche Sexualität zu vermitteln sucht, die sich am aktuellen sexuellen Verhalten orientiert, das faktische Geschehen als normative Kraft bewertet und die bewährten Werte menschlichen Zusammenlebens außer acht läßt.
Im Abschnitt Sexuelle Orientierungen (5.4) des Entwurfes heißt es: Demnach sind Hetero-, Bi-, Homo- und Transsexualität Varianten von Sexualität, die ohne Unterschiede im Wert, zur Persönlichkeit des betreffenden Menschen gehören. Es ist zwar richtig, daß es unterschiedliche sexuelle Lebensweisen gibt, aber es ist nicht richtig, diese als gleichwertige Varianten von Sexualität nebeneinanderzustellen. Humanethologen wie Eibel-Eibelsfeldt warnen immer wieder vor einem solchen Mißverständnis, das schwerwiegende persönliche wie gesellschaftliche Folgen nach sich zieht. Da der Mensch emotional und in seiner Sexualpsychologie an eine ehige, dauernde Partnerbindung angepaßt ist (Eibel-Eibelsfeldt), bergen homo- und bisexuelle Lebensformen sowohl physische als auch psychische Gefahren.
Es ist dem Elternverein NRW unverständlich, wie der Entwurf verantworten will, den jungen Menschen erwiesene Fakten und damit notwendiges Wissen vorzuenthalten:
.nämlich bezüglich Homosexualität, daß
im Gegensatz zum Vaginalbereich der Darm nicht auf Geschlechtsverkehr angelegt ist, also Analverkehr fast immer zu feinen Hautrissen führt, folglich die AIDS-Gefährdung ebenso zunimmt wie das Auftreten von Allergien gegen Fremdeiweiß - verbunden mit einer erheblichen Schwächung des Immunsystems, - überdurchschnittlich häufiger Partnerwechsel auftritt, also das Eingehen dauerhafter Partnerschaften wesentlich erschwert ist und psychische Belastungen folglich vermehrt eintreten,
die Begegnung mit dem anderen Geschlecht als Ergänzung und Bereicherung nicht erlebt wird und
der von der Natur vorgegebene Zweck des Sexualtriebes, nämlich die Elternschaft, ausgeschlossen bleibt.
Bisexuelle Lebensweisen bergen die aufgezeigten gesundheitlichen und seelischen Gefährdungen gleichermaßen und erschweren sowohl die Gründung wie den Erhalt von Ehe und Familie.
Zu bedenken ist weiter, daß nach wissenschaftlichen Forschungen Homosexualität nicht ausschließlich angeboren ist, sondern zu einem größeren Teil erworben wird. Gerade weil es in der menschlichen Entwicklung vor der hetero-sexuellen Zeit eine auto-erotische oder homo-erotische Phase gibt, kann leicht eine Prägung oder eine Fixierung auf homosexuelle Praktiken erfolgen. Eine schulische Sexualerziehung, die von der Gleichwertigkeit der Homosexualität mit der natürlichen Heterosexualität ausgeht, kann folglich eine solche Prägung oder Fixierung auslösen.
Angesichts der körperlich wie seelisch belastenden Umstände ist es nicht nur unverantwortlich, sondern rechtswidrig, wenn schulische Sexualerziehung eine Gleichwertigkeit von Hetero, Bi- und Homosexualität vorgibt. Diese, Festlegung des Entwurfes überschreitet die gesetzlich gebotene Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen ( 1 Abs.5 SchOG). Sie ist vielmehr eine einseitige, ideologisch begründete Auffassung von Sexualität, die abweichende Lebensweisen zur Normalität aufwertet. Ein solches Vorgehen ist Indoktrination. Indoktrination aber ist unzulässig und der staatlichen Schule untersagt. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach festgestellt (E. vom 21.12.1977, BverfGE 47,46 ff. und E. vom 3.5.1988, NVwZ-RR 90, 18).
Der Elternverein NRW fordert daher eine entsprechende Änderung der Richtlinien.
3. Ganzheitliche Sexualerziehung - Anspruch nicht erfüllt
Im Abschnitt Beziehungen und Sexualität (5.1) wird zutreffend erklärt: Die Sexualerziehung soll die Fähigkeit fördern, tragfähige Bindungen aufzunehmen und zu gestalten. Hinweise auf notwendige Voraussetzungen hierfür fehlen.
Die frühe Aufnahme sexueller Beziehungen wird in keiner Weise problematisiert, sondern fast als anzustrebender Wert behandelt. Hier werden die Jugendlichen in den Fragen der ethischen Bewertung weitgehend alleingelassen, wenn man von den Minimalforderungen wie Achtung des anderen und Vermeidung einer Schwangerschaft und Vermeidung von AIDS einmal absieht. Verhaltens- wie Evolutionsforscher sind darin einig, daß die sog. überschießende Sexualität des Menschen, also die immer wache und nicht an Paarungszeiten gebundene menschliche Sexualität, in erster Linie im Dienst der Bindungskraft von Mann und Frau, also der Paarbindung steht, um der menschlichen Nachkommenschaft die besten Aufwachsbedingungen zu sichern. Bindung und Liebe meinen immer den ganzen Menschen und nie nur dessen Körper. Um aber den ganzen Menschen kennenzulenen, braucht es Zeit. Die körperliche Vereinigung sollte am Ende des Kennenlernprozesses und nicht an dessen Anfang stehen. Einschlägige Studien, wie z.B. die vorletzte ShellStudie zeigen, daß der Anteil der Ehe-Gegner unter den Jugendlichen mit frühen sexuellen Erfahrungen am größten ist. Frühe sexuellen Erfahrungen ziehen im Normalfall häufigen Partnerwechsel nach sich. Dies führt zu einer Schwächung der seelischen Bindungskraft, weil die Hoffnung auf eine dauerhafte Verbindung mit jeder gescheiterten Beziehung schwächer wird. Bindungsangst, vorschnelle Resignation bei Partnerproblemen und hohe Scheidungsraten sind die Folge.
Elternhaus wie Schule haben die Verpflichtung, Kindern und Jugendlichen Orientierungshilfen zu geben. Gerade im Bereich der Sexualität sind wir ihnen solche Wegweisung schuldig. Statt Kapitulation vor problematischen Fakten, schlimmer noch Gutheißen problematischer Fakten, schulden wir den jungen Menschen Ermutigung zum Wartenkönnen, also zu Verzicht und Geduld.
Der Abschnitt Beziehungen und Sexualität entspricht nicht dem vom Richtlinienentwurf festgelegten Konzept ganzheitlicher Sexualerziehung. Er bedarf dringend der Überarbeitung und Ergänzung.
4. Ehe und Familie kommen zu kurz
Im Entwurf heißt es: Die Thematisierung der besonderen Bedeutung von Ehe und Familie ist Teil der Sexualerziehung. Dieser Satz steht allein und ohne weitere Hinweise in einem Abschnitt Veränderte Familiensituation (5.3), der insgesamt nur 9 Zeilen umfaßt. Darin liegt eine Verkennung der Bedeutung von Ehe und Familie.
Die Sehnsucht nach einer dauerhaften, verläßlichen und ausschließlichen Bindung zwischen Mann und Frau entspricht dem Glücksbedürfnis der Mehrheit der Menschen. Die jährlich fortgeschriebene Studie des Allensbach-Institutes belegt dies deutlich. Auch heute noch zählen fast 90% aller Jugendlichen und jungen Erwachsenden eine auf Dauer angelegte glückliche Bindung zwischen Mann und Frau und zwei bis drei eigene Kinder zu den wichtigsten Vora setzungen eines gelingenden Lebens. Zugleich bieten bejahte Ehe und Fa den besten Schutzraum für ein Heranwachsen seelisch gesunder Kinder.
Außerdem sollte Sexualität nicht nur als Kraft der Bindung, sondern auch als Kraft des Lebens angesprochen werden. Im Entwurf heißt es zu Anfang: Sie (die Sexualität) ermöglicht nicht nur die Weitergabe von Leben (1.). Positiv thematisiert wird diese nicht. Sie erscheint vielmehr vorwiegend im Zusammenhang mit Verhütung - verhütet werden nach unserem Sprachgebrauch nur Übel. Elternschaft ist eine der schönsten Aufgaben des Menschen. Jedes Kind ist ein großes Geschenk und hat ein Recht auf Leben. Das Ja zum Kind darf in der Sexualerziehung nicht ausgeklammert werden.
Zu Recht hat das Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates gestellt (Art. 6 I). Auch die Landesverfassung sichert ihnen den besonderen Schutz des Landes zu (Art. 5). Aus diesen Verfassungssätzen folgen nicht nur Rechte der Bürger auf Schutz, den die staatliche Ordnung zu gewährleisten hat, sondern daraus ergibt sich auch die Verpflichtung des Staates Ehe und Familie zu fördern. Die Verfassungsnormen begründen Werte für die schulische Sexualerziehung, denen sich die Schule nicht durch ein liberalistisches Mißverständnis von Toleranz entziehen darf. Denn die sexuelle Lebensweise des einzelnen ist im Gegensatz zur landläufigen Meinung unserer hoch individualisierten Gesellschaft nicht nur reine Privatsache. Sie hat immer auch gesellschaftliche Auswirkungen. Der Rückgang der Eheschließungen und Geburten, die hohe Zahl von Abtreibungen, Scheidungen, Scheidungswaisen und Alleinerziehenden legen beredtes Zeugnis dafür ab und belasten nicht nur die unmittelbar Betroffenen.
Der Elternverein NRW hält es für unerläßlich, daß der Abschnitt Ehe und Familie überschrieben und ergänzt wird um Ausführungen zum Wert und zur Bedeutung von Ehe und Familie für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft.
5. Abtreibung ist rechtswidrig
Beim Thema Schwangerschaftskonflikte (5.7) darf der Unterricht nicht nur das Recht der Betroffenen auf eine eigene Entscheidung im Rahmen der geltenden Rechtsnormen berücksichtigen. Er muß auch klar das Recht des Kindes auf Leben ansprechen, denn Leben beginnt nicht erst mit der Geburt. Den Schülern und Schülerinnen ist bewußt zu machen, daß und warum Abtreibung rechtswidrig ist, auch wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt. Wenn, wie der Entwurf vorsieht, die Lebensperspektiven ungewollter Kinder und ihrer Eltern reflektiert werden, sind dabei auch die aus der Weitergabe des Lebens sich ergebenden Bindungen und Verpflichtungen einzubeziehen.
Auch in diesem Abschnitt fordert der Elternverein NRW Ergänzungen.
III. Elternmitwirkung nicht ausreichend
Der Elternverein NRW stimmt den Aussagen des Entwurfesvöllig zu, daß Sexualerziehung angesichts der Bedeutung der sexuellen Sozialisation für die Persönlichkeitsentwicklung als gemeinsame Aufgabe von Elternhaus und Schule zu sehen und anzugehen ist. (Abschnitt 2.).
Sehr zu begrüßen sind auch die Hinweise, daß die Bereitschaft der Eltern zur Mitarbeit wächst, wenn sich die Schule um Kooperation bemüht, und daß der Erfolg der schulischen Sexualerziehung maßgeblich von der rechtzeitigen und umfassenden Information abhängt.
Dennoch ist es mit der positiven Erwähnung der gesetzlich verankerten Mitwirkungsrechte nicht getan, wenn im nächsten Abschnitt Gestaltung von Lernprozessen (3.) gefordert wird, daß neben den im schuleigenen Arbeitsplan vorgesehenen Lernangeboten schulische Sexualerziehung das situative Lernen als pädagogische Chance nutzen soll.
Im Schulordnungsgesetz ist festgelegt, daß die Erziehungsberechtigten über Ziel, Inhalt und Methoden der Sexualerziehung rechtzeitig zu unterrichten sind ( 1 Abs.5 SchOG). Rechtzeitig bedeutet, daß die Unterrichtung so frühzeitig geschehen muß, daß die Eltern die zu behandelnden Fragen vorher mit ihren Kindern besprechen können. Dieses Mitwirkungsrecht ist verfassungsrechtlich im Elternrecht verankert. Es kann deshalb nicht durch methodische Anweisungen ausgehebelt werden. Zwar müssen auftretende Fragen situativ beantwortet werden, aber die vertiefende, gründliche Bearbeitung des jeweiligen Themas darf erst nach der Information der Eltern erfolgen.
Der Elternverein NRW hält daher für nötig, daß der 2. Abschnitt den Wortlaut des Gesetzes wiederholt und die Bedeutung des Begriffes rechtzeitig erläutert.
IV. Grenzen schulischer Sexualerziehung
Fast lediglich empfehlend heißt es im Entwurf: Lehrerinnen und Lehrer sind zur besonderen Toleranz und Rücksicht gegenüber den unterschiedliche religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen und verschiedenen Wertvorstellungen der Eltern zu Fragen menschlicher Sexualität verpflichtet. Bedenken ... aus kulturellen oder religiösen Gründen sind auch deshalb besonders ernst zu nehmen, weil ein Anspruch auf Befreiung von diesem Unterricht nicht besteht (2.). Nähere Angaben hierzu fehlen. Im Abschnitt 3 Gestaltung von Lernprozessen werden Respekt, Achtung des Schamgefühls und das Toleranzgebot gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht als Begrenzung für den Unterricht, sondern nur zur Begründung dafür angeführt, daß im Unterricht Werte und Normen hinsichtlich des Sexualverhaltens in unserer Gesellschaft zu behandeln sind.
Nicht deutlich wird, daß in beiden Fällen ein Ausgleich zwischen Grundrechten der Eltern und Persönlichkeitsgrundrechten der jungen Menschen auf der einen Seite und dem Anspruch auf schulische Orientierungshilfen aller Schüler und Schülerinnen einer Lerngruppe auf der anderen Seite zu suchen ist. Der Ausgleich mag im Einzelfall schwierig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch Eltern und Kindern das Recht zuerkannt, Zurückhaltung und Toleranz bei der Durchführung der Sexualerziehung zu verlangen. Es sieht darin verfassungsrechtlich gebotene Schranken (von Eltern erstrittene Entscheidung vom 21.12.1977, BverGE 47,46).
Der Elternverein fordert, daß die Richtlinien diese Probleme ansprechen und die Gebote von Rücksichtnahme und Toleranz als rechtliche Schranken für die schulische Sexualerziehung herausstellen.
Da für außerschulische Einrichtungen sowie Experten und Expertinnen weder das grundsätzlich für die Schulen festgelegte Gebot der Unparteilichkeit ( 35 ASchO) besteht noch die Verpflichtung zu Rücksichtnahme und Toleranz auf die Werthaltungen von Schülern, Schülerinnen und Eltern gilt, hält der Elternverein NRW eine Kooperation für rechtlich nicht zulässig. Die im Abschnitt Verbindlichkeit und schuleigene Lehrpläne (7.) vorgesehene Kooperation mit Expertinnen und Experten sowie außerschulischen Einrichtungen ist daher ersatzlos zu streichen.
V. Fazit
Der vorgelegte Entwurf von neuen Richtlinien für die Sexualerziehung ist weder pädagogisch ausgereift noch rechtlich unbedenklich. Er bedarf einer gründlichen Überarbeitung.
45136 Essen, den 15.2.1999
Walburga Stürmer
Landesvorsitzende
http://www.elternverein-nrw.de/stellungnahmen/sexualerziehung.htm