Intaktes Jungfernhäutchen als Bedingung
Ägyptens Grossmufti erlässt Hymen-Fatwa für Eheschliessungen
Ohne ein intaktes Hymen kann eine muslimische Araberin nicht heiraten. Oder doch? Manche religiöse Autoritäten in Ägypten gestatten der Frau die Rekonstruktion des Jungfernhäutchens - um sie und die Ehre der Familie vor Skandalen zu bewahren.
ber. Kairo, Anfang März
So schnell die Ankündigung gekommen war, so rasch war sie auch schon unter den Tisch gekehrt. Ägyptens Grossmufti, Ali Gomaa, hatte in einer beliebten Talkshow des staatlichen Fernsehens die Rekonstruktion eines zerstörten Jungfernhäutchens propagiert! Da Gomaa der Grossmufti aller sunnitischen Muslime ist, gelten seine Worte grundsätzlich als Fatwas, als islamische Rechtsgutachten. Am nächsten Tag war die Hymen-Fatwa in vielen arabischen Zeitungen abgedruckt. Ein paar Tage später wurde sie dort auch wieder eingeschränkt: Sie gelte für Mädchen, die vergewaltigt worden seien. Schliesslich seien diese nicht schuld an der Zerstörung ihrer Ehre, die natürlich auch die Ehre der Familie ist.
Widersprüche
Wer die Sendung im ägyptischen Fernsehen gesehen hat, weiss, dass Gomaa sehr wohl die Rekonstruktion des Jungfernhäutchens im Allgemeinen gutgeheissen hatte. Als einzige Einschränkung hatte er gesagt: Wer sein Hymen durch Sex vor der Heirat verloren hat und es wieder annähen lassen will, sollte zuerst seine Tat bereuen. Auch verheirateten Frauen gab Gomaa einen ungewöhnlichen Tipp. Sie sollten einen etwaigen Seitensprung nicht ihrem Ehemann beichten, sagte der Mufti in der Talkshow. Damit würden sie einen unnötigen Skandal provozieren und ihre Familie zerstören. Der Ehemann sei durch das Geständnis seiner Frau, einen Fehltritt begangen zu haben, praktisch gezwungen, sie zu verstossen. Daraus würde ihm, seiner Frau und den Kindern unermessliches Leid erwachsen.
Die religiösen Scheichs im Nahen Osten erklärten empört, dass die beiden Fatwas im krassen Gegensatz zu den Geboten des Islams stünden. Der verbiete voreheliche Beziehungen und auch den Seitensprung. Geschähen sie trotzdem, so verlange der Islam, dass die Täter bestraft würden. Auf Ehebruch stehe die Geisselung, nicht jungfräuliche Bräute dürften augenblicklich verstossen werden. Gomaas Fatwas wirken deshalb auf den ersten Blick fortschrittlich. Mit ihnen bewahrt er Frauen vor viel Ungemach. Bei genauerer Betrachtung scheint Gomaa jedoch die gängige Doppelmoral der islamischen Welt zu zementieren. Warum müssen wir Mädchen als Jungfrau in die Ehe gehen und unsere Verlobten nicht? fragt die Kunststudentin Amina.
In der arabischen Welt und in Iran ist der voreheliche Beischlaf weit verbreitet. Da er tabu ist, muss er heimlich geschehen. Gesprochen wird nicht darüber; im Gegenteil behaupten Araber und Iraner gern, dass sie die Gebote des Islams erfüllten. Von dem Widerspruch profitieren zahlreiche Ärzte. In Ägypten und am Golf blühen die Kliniken, wo im Stillen Hymen rekonstruiert werden. Die Operation kostet umgerechnet zwischen 500 und 2000 Franken - für die meisten Araberinnen ist das viel Geld. Hebammen wissen, wie ein fehlendes Jungfernhäutchen preisgünstiger ersetzt werden kann. Sie präparieren ein Säckchen mit Hühnerblut. Vor der Hochzeitsnacht wird es in die Scheide eingeführt, erklärt Amina.
Unreife
Scheich Khaled al-Gindi stimmt dem Mufti zu: Natürlich darf ein Hymen repariert werden. Gindi ist eine bekannte religiöse Autorität in Kairo. Er gehört nicht nur dem Lehrkörper der Azhar-Universität an, sondern ist auch ein Mitglied des hatif al-islami, einer grossen islamischen Telefonseelsorge. Die Rekonstruktion sei in jedem Falle erlaubt, fährt Gindi fort. Es sei nicht die Aufgabe des Menschen, über die Moral anderer zu richten. Gindi vertritt den toleranten Islam, der heute in Vergessenheit gerät. Kaum ein Scheich erwähnt noch, dass für die Bezichtigung des Ehebruchs vier Augenzeugen beigebracht werden müssen. Das ist praktisch unmöglich und deshalb ein Zeichen dafür, dass der Prophet Mohammed Demütigungen vermeiden wollte.
Doch Gindi hat noch ein weiteres Argument: Frauen und Männer sind im Islam gleich, doch nur Frauen haben ein Hymen. Deshalb kann dieses niemals als Beleg für wahre Jungfräulichkeit gelten. Schön formuliert. Doch warum räumt der Scheich dann nicht mit dem Jungfräulichkeitswahn der islamischen Welt auf? Dazu, meint Gindi lächelnd, seien die Muslime leider noch nicht reif. Und bis es so weit sei, werde die Notlösung der Rekonstruktion des Hymens gestattet!
Quelle: http://www.nzz.ch/2007/03/08/vm/articleEZNAZ.html