Kriegsverbrechen und Genozid Israels Krieg in Gaza
Kriegsverbrechen und Genozid Israels Krieg in Gaza
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Von REGINE NAECKEL, 7. Januar 2009 -
Das israelische Bombardement und die Angriffe der Bodentruppen in Gaza gehen unvermindert weiter. Israel setzt dabei Phosphorgranaten, abgereicherte Uranmunition und Streubomben ein. Seit Beginn des Krieges am 27. Dezember starben über 680 Palästinenser. Mehr als 3000 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Opfer sind vor allem Zivilisten.
Am 5. und 6. Januar, griff die israelische Armee zwei Schulen der Vereinten Nationen an, in denen palästinensische Flüchtlinge Schutz gesucht hatten. Ein Angriff erfolgte aus der Luft, der andere mit Panzergranaten. Die geographischen Koordinaten der zu Flüchtlingscamps umgewidmeten Gebäude waren noch am Tag zuvor der israelischen Militärführung von UN-Mitarbeitern übermittelt worden. Die Schulen waren darüber hinaus durch eine UN-Flagge weithin erkennbar. Doch genau sie wurden zum Ziel. Allein in der Schule von Jabaliya starben 43 Palästinenser. (1) Insgesamt sind mehr als 15.000 Menschen wegen des anhaltenden Bombardements und Beschusses ihrer Häuser auf der Flucht.
Israel erklärte nach dem Beschuss, aus den Schulen heraus hätte die Hamas Mörsergranaten abgefeuert. Man habe das Feuer lediglich erwidert. Zum Beweis legte das israelische Militär gestern Abend ein Video vor, auf dem ein Raketenabschuss aus einem Schulgebäude zu erkennen ist. Doch die Filmaufnahmen stammen vom Oktober 2007! (2)
John Ging, Direktor des UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) in Gaza, bestätigte gegenüber Al Jazeera noch einmal, Israel über die genaue Lage der Flüchtlingsunterkünfte informiert zu haben. Genauso wie Michel Abdel Massih, ein in London lebender Anwalt für Menschenrechte, fordert er eine internationale Untersuchung des israelischen Angriffs. (3)
Erste diplomatische Konsequenzen hat Hugo Chavez gezogen. Aus Protest über Israels Militäroperationen in Gaza hat er gestern den israelischen Botschafter in Caracas des Landes verwiesen.
Die humanitäre Katastrophe
Für die wenigen Berichte, die das humanitäre Drama in Gaza zeigen und beschreiben, müssen westliche Journalisten noch immer auf die Meldungen ihrer palästinensischen Kollegen zurückgreifen. Israel verweigert trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem Journalisten weiter die Einreise nach Gaza und will seinen Krieg unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit führen. (4)
Die Nachrichtenlage ist dementsprechend ungenügend. Seit Beginn der israelischen Aggressionen kommen die erschreckendsten Meldungen von Mads Gilbert, einem norwegischen Narkosearzt und Professor an der Universität Tromso, der seit vergangenen Mittwoch (31. Dezember) im Al-Shifa-Krankenhaus arbeitet. Der Irish Times gegenüber erklärte Gilbert vor zwei Tagen, dass Israel Phosphorbomben und DIME-Munition einsetzt. (5) (Der Einsatz israelischer Phosphorbomben war gestern sogar Spiegel-Online einen Artikel wert, versteckt im Wissenschaftsteil. (6))
In einer Vielzahl von Statements berichtet Gilbert neben seiner Arbeit als Arzt für BBC, CBS, Sky News und Al Jazeera direkt aus Gaza und macht deutlich, dass Israel ganz offensichtlich das Ziel verfolgt, die Zivilbevölkerung anzugreifen. Am 3. Januar wandte er sich per SMS an die Weltöffentlichkeit: Sie haben vor zwei Stunden den zentralen Gemüsemarkt von Gaza bombardiert. 80 Verletzte, 20 Tote, alle kamen hierhin nach Shifa. Wir waten im Tod, Blut und Amputationen. Viele Kinder. Schwangere Frau. Ich habe noch nie etwas so Schreckliches erlebt. Jetzt hören wir Panzer. Erzähl es weiter, sende diese Meldung weiter, ruf es weiter. MACH ETWAS! MACH MEHR! (7)
Immer wieder beschreibt er die verheerenden Verletzungen: Menschen werden von der sogenannten DIME-Munition (Dense Inert Metal Explosive) nicht nur zerfetzt. Die Wirkung dieser schrecklichen Waffen beruht auf der Einsprengung feinster Metallpartikel in den Körper unter hohem Druck. Die Munition führt zu Verbrennungen 3. Grades, dann verteilen sich die Metallpartikel im Körper und sind so klein, dass sie auch röntgendiagnostisch nicht auffindbar sind. Darüber hinaus soll die Munition mit abgereichertem Uran bestückt sein und damit gentoxisch wirken. Israel setzt diese Munition schon seit 2006 in Gaza ein, nie zuvor jedoch in dieser erschreckenden Menge. (8)
Gemeinsam mit seinem norwegischen Kollegen Erik Fosse operiert Gilbert die Opfer. Sie kommen in Wagenladungen ins Krankenhaus, erklärt er. Allein von den 210 Verletzten, die heute in das Krankenhaus kamen, sind 35 in der Notaufnahme gestorben. Unter den Toten sind 18 Kinder unter neun Jahren. Wir amputieren am laufenden Band. Die Korridore sind voll mit Verstümmelten. Ich kann die Zahl der Amputationen nicht mehr zählen. Einem Kind habe ich heute eine Hand amputiert, das Kind verlor elf Familienmitglieder. Wir haben ein neunmonatiges Baby, dessen ganze Familie von Israelis getötet wurde. (9)
Nach Gilberts Schilderungen beschießt das israelische Militär auch gezielt Ambulanzen. Unter den Hunderten Opfern, die er bereits gesehen hat, waren lediglich zwei Hamas-Kämpfer.
Israel ist allenfalls propagandistisch der Sieger
1,5 Millionen Palästinenser sitzen in dem größten Gefängnis der Welt fest. Die meisten haben keinen Strom, kein Wasser, keine Nahrung. Sie sind dem permanenten Beschuss durch Bomben und Panzergranaten ausgesetzt. Sogar vom Meer aus findet der Angriff statt. Der einzige Fluchtweg aus Gaza nach Ägypten wurde von der Regierung in Kairo abgeriegelt. Zu groß sind die wirtschaftlichen und politischen Interessen, die Ägypten mit Israel verbinden. Als in der Sylvesternacht Palästinenser die Grenzabsperrungen durchbrachen, wurden sie von ägyptischen Polizeikräften nach Gaza zurückgebracht. Mubarak ließ 1000 zusätzliche Grenzschützer aufmarschieren.
Die humanitäre Katastrophe in Gaza war schon vor Beginn des israelischen Krieges unbeschreiblich: die Menschen hungern, haben keine ausreichende medizinische Versorgung. Israel hat sie von der Wasser- und Stromzufuhr abgeriegelt. Gaza ist seit Jahren wie eine Falle. Die Weltöffentlichkeit hat geschwiegen. Allein der Staat Israel maßt sich das Recht an, über das Wohl und Wehe von über einer Millionen Menschen zu befinden und man ließ ihn gewähren. Hamas-Raketen werden zur Lebensbedrohung des Staates Israel erklärt, der Iran der Drahtzieherschaft und als Waffenlieferant beschuldigt.
Tatsache ist, da sind sich Experten einig, dass die Qassam-Raketen primitivste Eigenbauten aus Abflussrohren sind und die Herstellung nicht das Qualitätssiegel internationaler Waffenlieferungen trägt. Der Beschuss israelischer Siedlungen ist mehr ein Hilferuf Verzweifelter als die militärische Aktion eines waffenstrotzenden Terrorregimes. Trotzdem gelingt es Israel immer wieder, zumindest die westliche Welt von seinen berechtigten Zielen zu überzeugen.
Dabei verfügt Israel über weitaus effektivere Propagandamethoden als die Hamas. Selbst eine relativ unbedeutende Umfrage der FAZ belegt Israels Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. FAZ.NET führte in der vergangenen Woche eine Abstimmung unter den Lesern durch. Die beiden Hauptfragen waren: Ist Israel im Recht? Das Land muss sich vor Terror schützen und Hamas hat Israel provoziert oder Israel blockiert einen Frieden für Nahost und darf sich jetzt nicht wundern. Bis zum 31. Dezember lautete das Votum der Leser: 40 Prozent glaubten Israel im Recht, 44 Prozent waren gegenteiliger Ansicht. Plötzlich am 1. Januar dem letzten Abstimmungstag wendete sich das Blatt ganz erheblich. Mit einem Mal lag die Zustimmung der Leser für den israelischen Standpunkt bei mehr als 72 Prozent, wunderte sich selbst die FAZ und ging der Sache auf den Grund.
Das dürfte damit zu tun haben, dass eine Mitarbeiterin der israelischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf per Rundmail zum Jahreswechsel schnell dazu aufgefordert hatte, sich an der Umfrage zu beteiligen. We need your votes, hieß es, noch sei es Zeit, das Umfrageergebnis zu beeinflussen, frei nach Barack Obamas Wahlmotto Yes, we can, ermittelte die FAZ selbst die Manipulation. (10)
Der Pressesprecher der israelischen Botschaft in Berlin, Aaron Sagui, sagte dazu, das Internet habe sich seit langem als Teil der Öffentlichkeitsarbeit erwiesen. Und er erklärte, Israel müsse auf diese Weise für Unterstützung werben, schließlich sei es die Hamas, die die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde einsetze und es einer den Menschenrechten verpflichteten Demokratie wie Israel schwermache, militärisch vorzugehen.
Hat der Staat Israel sein Existenzrecht verwirkt?
Bombardements von Flüchtlingslagern, auf Wochenmärkten und Angriffe auf Ambulanzen sind offensichtlich die Menschenrechte, die Israel den Palästinensern zubilligt.
Bereits am 29. Februar vergangenen Jahres drohte Israels Vize-Verteidigungsminister Matan Vilnai den Palästinensern in Gaza eine "Shoa" an. In einem BBC-Interview äußerte er, Israel sei zu allen Schritten bereit, um den Beschuss mit Qassam-Raketen aus dem Gazastreifen zu stoppen.
Nur zu einem war Israel in der Vergangenheit nie bereit: Mit der Hamas zu verhandeln. Das hätte - so die Sicht Israels - die Hamas weiter gestärkt. Und es gab niemanden Ägypten, Jordanien, die Saudis und die Palästinensische Autonomiebehörde eingeschlossen der ein Interesse an einer gestärkten Hamas gehabt hätte. Trotzdem: Alles, was uns so weit gebracht hat, war eine Folge von Entscheidungen. Und die meisten Entscheidungen waren falsch, glaubt Gershon Baskin, einer der beiden Direktoren des israelisch-palästinensischen Thinktanks IPCRI, heute in einem Interview im Tagesspiegel.
Sogar Juden, die einst eine Zwei-Staaten-Lösung präferierten und sich politisch dafür stark machten, sehen mehr und mehr die Ausweglosigkeit dieses Ziels: Ein freies Palästina neben einem Staat Israel wird es ihrer Ansicht nach nie geben. Israel wird nie friedlich mit seinen Nachbarn leben, mehren sich die Stimmen. Eine davon ist die von Gilad Atzmon.
Atzmon ist in Israel geboren und leistete seinen Militärdienst während des Libanonkrieges 1982. Seit 1993 lebt er in England und zählt zu den bedeutendsten Saxophonisten und Autoren. So wurde Gilad Atzmon bereits nach seinem ersten Roman mit Schriftstellern wie Philip Roth verglichen. Immer wieder beschrieb er das Selbstverständnis heutiger Israelis, die nicht wissen wollen, dass ihr Land auf palästinensischem Grund und Boden errichtet wurde. Sie begreifen nicht, daß Palästina die Heimat der Palästinenser ist. Auf wunderbare Weise verstehen sie nicht, daß Israel auf Kosten des palästinensischen Volkes entstand, dort, wo sich die Dörfer und Städte, die Felder und Gärten der Palästinenser befanden. Die Israelis realisieren nicht, daß die Palästinenser in den Flüchtlingslagern der Region eigentlich die enteigneten und vertriebenen Menschen aus Bir Shiba, Yafo, Tel Kabir, Sheikh Munis, Lod, Haifa, Jerusalem und vielen anderen Orten und Städten sind. Wenn man sich fragt, wie es kommt, daß die Israelis ihre eigene Geschichte nicht kennen, so ist die Antwort recht einfach: Sie wurde ihnen nie erzählt. Die Umstände, die zum israelisch-palästinensischen Konflikt führten, liegen gut versteckt in der israelischen Kultur. Spuren der palästinensischen Zivilisation im Land vor 1948 wurden beseitigt, schreibt er unter dem Titel 'Leben mit geborgter Zeit auf gestohlenem Land'.(11)
Unmittelbar nach dem Beginn der israelischen Angriffe meldete sich Atzmon mit einer vehementen Kritik gegen Israel zu Wort: Um die neueste verheerende Mordexpedition Israels zu begreifen, muss man das israelische Selbstverständnis und den ihm innewohnenden Hass begreifen, der sich gegen alle Nichtjuden richtet, und den besonderen Hass gegen alle Araber. Mit diesem Hass ist alles durchtränkt, Lehrpläne wie Politikerreden und -entscheidungen, er wird von Kulturschaffenden transportiert, selbst innerhalb der sogenannten "Israelischen Linken". Livni, Barak und Ashkenazi geben dem israelischen Volk soeben das, was es will: arabisches Blut, und zwar in möglichst großen Mengen. Dieses wiederholte Morden seitens israelischer Politiker fällt aber auf das israelische Volk als Ganzes zurück, nicht etwa nur auf ein paar Politiker und Generale. Wir haben es hier mit einer barbarischen Gesellschaft zu tun, die in politischer Hinsicht von Blutdurst und tödlichen Neigungen angetrieben wird. Eines dürfte zweifelsfrei feststehen - für diese Leute kann es keinen Platz im Kreise der Nationen geben. (12)
Quelle: http://www.hintergrund.de/content/view/336/66/