Oft heißt es, eine kleine Gruppe Radikaler präge das Islam-Bild. Die große Mehrheit der Muslime sei gemäßigt. Wenn das so ist, wie kann es dann immer wieder zu furchtbaren Misshandlungen von Frauen im Namen des Islam kommen? Weil zu selten Gewissen und Mitgefühl über Allahs Vorschriften gestellt werden.
In den zurückliegenden Wochen haben wir die Anwendung islamischen Rechts auf eine Art und Weise erlebt, die gemäßigte Muslime auf die Barrikaden bringen sollte. Über drei Vorfälle wurde ausführlich berichtet: Eine 20 Jahre alte Frau aus Katif in Saudi-Arabien berichtete, dass sie von mehreren Männer missbraucht und mehrfach vergewaltigt worden sei. Die Richter jedoch sprachen das Opfer schuldig. Ihr Verbrechen wird Umgang haben genannt: Als sie missbraucht wurde, saß sie mit einem Mann im Auto, mit dem sie weder verwandt noch verheiratet war, in Saudi-Arabien ist das illegal.
Letzten Monat wurde sie zu sechs Monaten Gefängnis und 200 Hieben mit einem Bambusstock verurteilt. 200 Hiebe sind genug, um einen großen Mann zu töten. Frauen erhalten üblicherweise nicht mehr als 30 Hiebe auf einmal, was bedeutet, dass das Mädchen von Katif, wie sie in den Medien genannt wird, ihre nächste Begegnung mit dem islamischen Recht sieben Wochen lang fürchten muss. Ein normales Leben wird sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis nie mehr führen: Schon jetzt wurde berichtet, dass ihr Bruder sie zu ermorden versucht hat, weil ihr Verbrechen die Ehre der Familie befleckt.
Islamisches Recht in Aktion haben wir auch im Sudan erlebt, wo eine 54 Jahre alte britische Lehrerin namens Gillian Gibbons zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt wurde, bevor sie die Regierung begnadigt hat. Der Frau hätten bis zu 40 Hiebe gedroht. Zu Beginn eines Leseprojekts in ihrer Klasse, bei dem auch ein Teddybär eine Rolle spielte, hatte Gibbons den Kindern vorgeschlagen, dem Teddy einen Namen zu geben. Die Klasse entschied sich für Mohammed; die Lehrerin ließ die Kinder gewähren. Das wurde als Blasphemie erachtet. Schließlich Taslima Nasreen, die 45 Jahre alte Schriftstellerin aus Bangladesch, die mutig für die Rechte der Frauen in der muslimischen Welt eintritt. Zur Flucht aus Bangladesch gezwungen, lebt sie bislang in Indien. Dortige muslimische Gruppen jedoch wollen, dass sie ausgewiesen wird, und eine dieser Gruppen hat 500.000 Rupien auf ihren Kopf ausgesetzt. Im August wurde Nasreen in Hyderabad von militanten Muslimen angegriffen, und in den zurückliegenden Wochen musste sie erst Kalkutta und dann Rajasthan verlassen. Taslima Nasreens Visum läuft im nächsten Jahr aus, und sie fürchtet, nicht mehr in Indien leben zu dürfen.
Oft wird gesagt, der Islam sei von einer kleinen Gruppe radikaler Fundamentalisten gekidnappt worden. Die große Mehrheit der Muslime sei gemäßigt. Wo aber sind die Gemäßigten? Wo sind die muslimischen Stimmen, die sich über das furchtbare Unrecht von Vorfällen wie diesen erheben? Wie viele Muslime sind bereit, aufzustehen und im Fall des Mädchens von Katif zu sagen, dass diese Form von praktiziertem Recht erschreckend, brutal und bigott ist und dass, ganz gleich, wer gesagt hat, es sei Recht, und vor wie langer Zeit dies gesagt wurde, so etwas nicht mehr geschehen dürfe?
Normalerweise sind muslimische Gruppen wie die Organisation der Islamischen Konferenz schnell, wenn es darum geht, das Bild des Islam zu verteidigen. Die Organisation, die 57 muslimische Staaten repräsentiert, schickte gleich vier Vertreter zum Vorsitzenden meiner Partei in den Niederlanden, um ihn zu bitten, mich aus dem Parlament zu entfernen. Ich hatte 2003 in einem Zeitungsinterview gesagt, dass manche Taten des Propheten Mohammed gemessen an westlichen Standards gewissenlos seien. Wenige Jahre später protestierten muslimische Vertreter in Dänemark gegen die Mohammed-Karikaturen und forderten die strafrechtliche Verfolgung von deren Urhebern. Doch obwohl die Vorfälle in Saudi-Arabien, im Sudan und in Indien dem Ansehen der islamischen Justiz größeren Schaden zufügen, als ein Dutzend Mohammed-Karikaturen das könnte, schweigen jene Organisationen jetzt still, die Schlange standen, um die abscheuliche Beleidigung des Islam durch die dänischen Karikaturen anzuprangern.
Ich wünschte, es gäbe mehr gemäßigte Muslime. Richtungsweisendes von Tariq Ramadan etwa, dem berühmten muslimischen Theologen der Mäßigung, würde ich jetzt begrüßen. Doch wenn es um echtes Leid geht, um echte Grausamkeit im Namen des Islam, ist Verleugnung das Erste, das wir von all diesen Organisationen hören, die sich so sorgen um das Bild des Islam. Gewalt, hören wir, stehe nicht im Koran, Islam bedeute Frieden, dies sei ein Fall von Kidnapping durch Extremisten, eine Schmutzkampagne und so weiter. Doch die anderslautenden Beweise häufen sich.
Unzüchtige geißeln
Das islamische Recht ist eine stolze Institution, der, zumindest in der Theorie, eine Milliarde Menschen, anhängen, und im Herzen der islamischen Welt ist es das Landesgesetz. Doch werfen Sie einen Blick auf den oben zitierten Vers: Zwingender noch als das Gebot, Unzüchtige zu geißeln, ist, dass der Gläubige kein Mitleid zeigt. Es ist dieses Gebot, Allah über sein Gewissen und Mitgefühl zu stellen, das den Muslim zum Gefangenen einer archaischen und extremen Geisteshaltung macht. Wenn gemäßigte Muslime glauben, dass man für das Mädchen von Katif kein Mitleid aufbringen sollte, was genau ist es dann, das sie zu Gemäßigten macht? Wo Gewissen und Mitgefühl eines gemäßigten Muslims Vorschriften Allahs widersprechen, sollte er sich für das Mitgefühl entscheiden. Solange das nicht viel öfter geschieht, bleibt ein gemäßigter Islam Wunschdenken.