Zunächst einmal möchte ich von meinem Krankheitsbild berichten.
Ich bin ein mittlerweile 19 jähriges Mädchen. Seit wann ich unter Agoraphobie leide, kann ich nicht genau sagen. Meine erste Panikattacke hatte ich mit 12 Jahren, das war die Zeit in der meine Eltern sich trennten. Es war keine schöne Trennung, nachts beschmissen sich meine Eltern mit Sachen. Mein Vater trank, schrie und ich wurde nicht selten nachts von meiner Mutter in den Arm genommen. Mein Vater ist kein schlechter Mensch, er ist eben nur sehr eigenwillig und verletzlich..
Ich weiß noch, dass ich an jenem Tag, an dem ich meine erste Panikattacke bekam, mit meiner Mutter vor dem Fernseher saß (es waren Sommerferien), wir schauten irgendetwas auf dem Ersten. Rosamunde Pilcher, oder was weiß ich. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich auf einmal losschrie und keine Luft mehr bekam, ich rannte auf unsere Terrasse und lief im wie wild geworden im Garten her rum. Alles endete damit, dass meine Mutter mich ins Krankenhaus fuhr, damals noch sehr besorgt. Dies wiederholte sich seitdem fast täglich. Die Ärzte konnte nie etwas feststellen, im Krankenhaus ging es mir auch immer wieder gut, sie machten EKGs und den üblichen Routinekram.
Irgendwann schrie meiner Mutter mich während einer dieser Attacken an, dass sie das nicht mehr aushalte, und ich ja nur ihre Aufmerksamkeit wolle. Ich sagt ihr, dass das nicht der Fall sei. Doch natürlich glaubte sie mir nicht. Mittlerweile war es ihr auch nur noch peinlich, da viele Nachbarn sie darauf ansprachen. Mein Vater war auch eher verärgert als besorgt. Alles besserte sich auch wieder, als die Schule wieder anfing. Ich glaube, damals habe ich nie wirklich über die Attacken nachgedacht, wie heute. Es war auch glaube ich etwas anderes. Eher eine Belastungsstörung, durch mein Unterbewusstsein ausgelöst. Ich schreibe das auch nur, um zu verdeutlichen, dass ich schon seither ein anfälliger Mensch bin, mit Reizen nicht gut umgehen kann.
Als ich dann mit meiner Mutter und meinem Bruder auszog, besserte sich zunächst alles. Ich war damals 13, kam gerade auf die Oberschule.
Mein 14. Und 15. Lebensjahr waren glaube ich meine goldenen Jahre. Durch meine Eltern geprägt, war ich nur mit ( neuen ) Freunden unterwegs. Wir tranken, rauchten, gingen auf verbotene Konzerte und integrierten uns halbwegs in die Gothic-szene. Ich war damals zu meinem Vater gezogen, schon Anfang meines 14. Lebensjahres. Er war oft tagelang weg, da er ein neues Restaurant auf Rügen eröffnet hatte. Ich konnte stets tun und lassen, was ich wollte. Man schubste mich glaube ich einfach in das eiskalte Wasser des Lebens. Mit meiner Mutter verstand ich mich keineswegs, sie warf mir vor zu depressiv zu sein. Wenn ich heute zurück blicke glaube ich, dass sie einfach jemanden brauchte, an dem sie ihre Wut über die Trennung etc. auslassen konnte. Seitdem ist sie auch nicht mehr meine Mama, wie ich sie aus meinen Kindertagen kenne. (Vielleicht ändert sich auch einfach nur die Sichtweise ab einem bestimmten Alter.)
Aber irgendwie änderte sich alles im Laufe meines 16. Lebensjahres. Meine Freunde wurden anders, mein Vater verlor sein Restaurant und war ständig zu Hause. Da kündigte sich meine Agoraphobie zum ersten Mal an. In der Schule war ich oft so müde, dass ich nach Hause ging. Seit jeher habe ich jeden Tag Kopfschmerzen. Ich wollte dann einfach den ganzen Tag nur in meinem Zimmer rumliegen.
Schlimmer wurde es, als ich eine Art Herzrasen bekam. Nicht wie das normale Rasen nach dem Laufen oder bei extremer Angst. Sondern ein richtiges, unkontrolliertes Klopfen. Seitdem lebte ich in Angst, denn immer wenn ich dieses Herzklopfen bekam, wollte ich alleine sein, niemand sollte merken, wie schlecht es mir in dem Moment ging. Natürlich war ich beim Arzt, aber so wie das nun mal ist, ließ sich vor seinen Augen kein Klopfen her auf beschwören. Ich erzählte meinen Freunden ein wenig davon, aber die nahmen das nicht so ernst. Ich bekam es in den unterschiedlichsten Situationen. Im Unterricht, zu Hause, bei Freunden. Bis heute weiß ich nicht, was das ist. Es war jedenfalls kein normales Herzrasen wie bei einem Angstanfall. Ich kann nur feststellen, dass ich es heute, seit ich vieles versuche lockerer zu nehmen nicht mehr so oft oder so stark bekomme. Mittlerweile reicht es aus, wenn ich mit hinhocke und Blut zum Herzdrücke (durch Verkrümmung), also quasi in der Fötus-Stellung verharre. Damals wusste ich absolut nicht damit umzugehen. Keiner verstand mich. Ich redete nicht mehr darüber und mied seitdem einfach den Kontakt zu anderen Menschen. Ich mochte es nicht, flüchten zu müssen. Ich weiß, dass ich dadurch schon viele soziale Kontakte verloren habe.
Einen weiteren Panikanfall bekam ich mit einer Freundin und einer Bekannten in der U-Bahn. Es war ein Sonntag und ich war beide Tage davor auf Konzerten gewesen. Auch diesen Abend hatten wir das gleiche vor. Aber durch Schlafentzug und zu wenig Nahrung oder Flüssigkeit, wurde mir sehr schlecht. Ich fing urplötzlich an zu heulen und wollte einfach nur nach Hause in mein gemütliches, warmes Bett und alleine sein. In dem Moment in der U-Bahn dachte ich bloß oh mein Gott, das ist so weit weg, das schaffe ich nicht, mir gehts so schlecht.. Hilfe.. Danach verzichtete ich dann auch auf Konzerte. Naja das heißt, ich versuchte es ein Jahr später auf einem Nine Inch Nails Konzert, doch diesmal bekam ich mitten in der Menge ein Herzklopfen, völlig in Panik, sagt ich meine Freundin ich habe etwas verloren und müsse es unbedingt suchen. Bevor sie was sagen konnte, hatte ich mich auch schon aus ihrem Blickfeld entfernt. Die einzige Möglichkeit waren die Toiletten, aber selbst da war ich so paranoid, dass ich nur dachte Ich bin nicht alleine, hier sind überall Menschen, wenn die was merken.. das muss jetzt weggehen.. oh Gott!.. Nach 10 Minuten unkontrolliertem Herzrasen ging ich aus der Toilette raus, hatte aber so Angst, dass ich umfallen, einen Herzinfarkt, einem Platzen einer Arterie im Kopf (wegen dem hohen Druck im Herz/Kreislauf) oder derartiges bekommen könnte, dass ich mich einfach dort auf den Boden setzte. Mitten auf der Toilette. Ich danke heute noch dem Mädchen, die mich so freundlich fragte, ob alles okay sei..Ich erzählte ihr davon, sie fragte, ob ich Drogen nehme, ich verneinte. Dann war das Herzrasen weg. Das Konzert mittlerweile im Gange. Meine einzige Möglichkeit, so sehr zu Tanzen und zu Springen, dass ich nicht auf mein Inneres hören musste. Mich so sehr verausgaben, dass ich einen Grund hatte, dass mein Herz schnell schlägt.
Viele derartige Attacken folgten danach und ich isolierte mich immer mehr.
Dann mit 17 Jahren mein erster Umzug in ein anderes Bundesland. Mein Vater versuchte sein Glück mit einem eigenen Hotel. Zu meiner Mutter kaum noch in Kontakt, war ich schon fast gezwungen mitzukommen, auch wenn sie mir anbot, einen Neuanfang bei ihr zu starten. Aber mein Stolz ließ das nicht zu. Außerdem betrachtete ich alles als einen Neuanfang. Ich hatte in der 10. Klasse nur meinen Realschulabschluss geschafft. Ja, ich bin ein fauler Mensch und ich war gewohnt, nie zu lernen, und trotzdem irgendwie durchzukommen. Aber da ich durch meine Angst auch kaum noch den Unterricht richtig verfolgte, sondern nur auf mein nächstes Herzrasen wartete, bekam ich nichts mit. Oft verließ ich die Schule auch einfach nach ein paar Stunden, auf dem letzten Zeugnis stehen nämlich keine Fehlzeiten. Jedenfalls wollte ich mit meinem Neustart in Brandenburg noch einmal die 10. Klasse machen, ich war nie dumm, eigentlich fiel mir vieles in der Schule sogar leicht. Eben nur, wenn ich Lust hatte. Dort lief auch vorerst alles gut. Die Schule lag zwar 25km entfernt von unserem Ort, aber das machte mir komischerweise nichts aus. Die Leute nahmen mich sehr herzlich auf, ich wurde gemocht und integrierte mich schnell. Ich glänzte in den Fächern Deutsch, Kunst und Geschichte.
Zwischendurch bekam ich wieder mein Herzrasen, aber von da an versuchte ich, mich selber zu heilen ich stürmte nicht mehr aus dem Unterricht, sondern versuchte einfach es zu ertragen. Manchmal half das tatsächlich was. Andere Male ging ich aus dem Klassenraum, einmal hatte ich einen richtigen Zusammenbruch in dem ich losweinte und einer Freundin von der Schule meine Scham unter Tränen gestand. Doch sie behandelte mich anders als meine Freunde aus Berlin, obwohl ich sie noch nicht lange kannte.. Sie sagte nur Hey, was solls? Dann haben wir jetzt wenigstens immer einen Grund, aufm Flur rumzuhängen ;)!
Ich war froh, von nun an ging es mir auch besser. Doch dann nach 4 Monaten der nächste Schock. Ich musste wieder umziehen, mein Vater setzte sein Hotel irgendwie in den Sand und suchte sich noch Arbeit.. auf Usedom (Mecklenburg-Vorpommern). Dieser Umzug jedoch veränderte sehr, sehr viel in meinem Leben. Mit dem Spruch Arbeiten, wo andere Urlaub machen kann ich nur mit einem sauren Geschmack im Mund einstimmen. Zum neuen Schulhalbjahr kam ich dort auf das örtliche Gymnasium, 10 Minuten Fußweg von unserer neuen Wohnung. Doch die Leute dort schnitten mich. Niemand mochte mich wirklich. Von Anfang an. Auch den Lehrern war ich ziemlich egal. Ich hastete jeden Tag durchs Haus um die Räume zu finden, auf dem Schulhof stand ich immer dämlich alleine rum und aß selbstgemachte Brote, da ich in der Cafeteria zu keinem gehen konnte. Es dauerte nicht lange, da fingen natürlich die Lästereien an. Ich sei arrogant, hielte mich für etwas besseres, weil ich aus Berlin komme. Ein Mädchen war nett zu mir, aber auch nur, wenn ich sie alleine antraf oder im Ort. Ich kannte niemanden, hatte niemanden zum reden, meine alten Freunde aus Berlin, wendeten sich zwar nicht ab, aber gewöhnten sich daran, dass ich weg war. In Brandenburg hatte ich schon kein Internet und da wir viel über Messenger kommunizieren, ebbte der Kontakt ab. Ich verpasste die besten Partys in Berlin, konnte eine meiner Freundinnen nicht zu ihrem 18. Besuchen. Seitdem bin ich bei ihr unten durch. Das einzige, was mir irgendwie Halt gab war mein Freund, er verstand mich zwar nicht, aber er versuchte mich soweit wie nur möglich mich zu trösten und mir Mut zuzusprechen. Komisch, dass ich ihn davor noch nicht erwähnte. Wir kamen Ende der 10. Klasse zusammen, ich war sehr froh, dass ich ihn damals hatte und er mir immer half den Unterricht zu überstehen mit seiner lustigen und charmanten Art. Als ich wegzog, besuchte er mich jedes Wochenende. Auf Usedom leider nur noch 1 oder 2 mal im Monat, aber immerhin! Er kaufte sich auch einen neuen Handyvertrag, sodass wir immer umsonst telefonieren konnten.
Nicht selten, rief ich ihn während des Unterrichts unter Tränen an. Ich verkraftet einfach den Hass der anderen Menschen nicht, denen ich nie etwas getan hatte. Ich begann einfach nur noch Angst zu haben, vor dem nächsten Schultag. Nachts konnte ich nur 2 Stunden oder gar nicht schlafen, dadurch war ich am nächsten Morgen so fertig, dass ich immer Angst hatte umzukippen oder dergleichen. Ich war immer blass, was mir Angst machte. Ich schwitze in der Schule, aber mir war eiskalt; Halte Hände, kalte Nasenspitze. Ich war nervös, dachte oft, der Raum würde vor meine Augen anfangen sich zu bewegen. Damit begann der richtige Teufelskreis, ich versuchte zu schlafen, aber es ging kaum, da war einfach zu viel Druck. Ich hatte immer Angst davor, dass es mir am nächsten Tag schlecht gehen könnte und die anderen noch mehr zu reden hätten, wenn ich vor ihnen umfallen oder mich übergeben könnte. Ich war auch absolut appetitlos, jedoch zwang ich mich immer zu essen, weil ich sonst Angst hatte umzukippen (was mir vorher noch nie passiert war..), trotzdem meine größte Angst. Durch den Schlafmangel war ich unkonzentriert und viel empfindlicher für Reize, ich wollte einfach nur noch heulen. Dann begann ich die Schule immer unregelmäßiger zu besuchen, oft versuchte ich es noch, aber ging dann früher nach Hause. Damit hatten die anderen natürlich noch mehr zu Reden. Einmal, als ich mich in der Pause auf der hintersten Toilette einschloss, hörte ich die Mädchen über mich reden. Sie kannten mich wirklich kein Stück. Ich verstehe nicht, warum ich so ein großes Gesprächsthema war. Ich bin kein arroganter Mensch, keineswegs.
Oft wenn ich morgens zur Schule musste, ging ich zwar aus dem Haus, aber bog dann in Richtung Seebrücke ab und verbrachte so manche Vormittage damit, mich selbst zu bemitleiden. Mein Papa wollte von all dem nichts hören, mit meinem Bruder sprach ich nicht über so etwas, da er mir auch viel jung vorkam (damals 12). Ich erfand auch oft Bauchschmerzen und Übelkeit um gleich im Bett zu bleiben, anstatt den Umweg über den Strand zu machen. Irgendwann war diese Möglichkeit natürlich auch ausgereizt. Ich erzählte meinem Vater was in mir vorging, aber er sagte, ich hätte einfach nur keine Lust auf die Schule und irgendwas müsse ich ja gemacht haben, dass die anderen mich so verabscheuten. Völlig vor den Kopf gestoßen, von meinem Papa, den ich doch so liebte, zog ich mich immer mehr zurück. Ich verstand nicht wie ein Mensch, der selber manchmal unter Panik leidet (zwar einer anderen Form) mich nicht verstehen konnte und mich als Lügnerin darstelle und am schlimmsten, in mir einen Menschen sah, der anderen Menschen gegenüber kaltherzig oder arrogant sein konnte. Niemals. So war ich nicht. Ich schwänzte weiter, war, wenn ich in der Schule war, nur halbherzig bei der Sache. Wie gesagt, den Lehrern war das auch egal. Mein Klassenlehrer sprach mich auf meine vielen Fehltage an, ich erzählte ihm auch mein Problem, doch er verstand es einfach nicht, was mich mittlerweile auch nicht mehr überraschte. Dann kamen die Osterferien 2008, die ich bei meinem Freund in Berlin verbrachte. Ich sprach mit ihm über mein Problem, er ist ein sehr lieber und gutherziger Mensch und redete mit seinen Eltern. Diese sagten, es wäre eigentlich kein Problem bei ihnen zu wohnen. Doch damit war ich etwas überfordert, ich war mit meinem Freund erst ein Jahr zusammen und wollte nicht, dass unsere Beziehung durch zu viel Nähe zu Bruch ging, wo wir auch eigentlich ja daran gewöhnt waren, uns nur an den Wochenenden oder weniger zu sehen. Erst da zog ich in Betracht wieder nach Berlin zu ziehen. Als was tat ich? Ich besuchte meine Mutter und fragte, ob ich zu ihr ziehen könnte. Überraschenderweise reagierte sie positiver als ich dachte. Der Vater meines Freundes, Schulleiter meiner und seiner früheren Grundschule, besorgte mir einen Schulplatz in einer Gesamtschule in Berlin. Durch Beziehungen hatte ich sogar noch die Möglichkeit es in die Oberstufe zu schaffen, wie es immer mein Traum war. Kurz bevor es wieder nach Usedom gehen sollte, berichtete ich meinem Vater davon. Ich weiß noch, dass er sehr überrascht und traurig klang, was mir im Normalfall total leidgetan hätte, da er ja auch ein schweres Leben gehabt hatte. Damals war meine Wut über seine unverständliche Art jedoch größer. Ich sagte ihm, er solle meine Sachen irgendwann mal zu meiner Mutter bringen, das Wichtigste hätte ich erst einmal. Dann kam der erste Schultag für mich. Ich übernachtete an dem Sonntag bei meinem Freund, damit ich gleich mit seinem Vater in meine neue Schule fahren konnte. (Die Grundschule war direkt um die Ecke.) Dort angekommen, wurde ich auch relativ herzlich von der Klasse empfangen. Jedoch hatte ich natürlich die Nacht davor so unter Druck gestanden, dass ich erst um 4h morgens in einen unruhigen Schlaf gefallen war und der erste Schultag wurde zum Horrortrip für mich. Ich konnte nichts essen, wir war kotz-übel, ich musste ständig ein Würgen unterdrücken und ich wünschte mir irgendwie, dass sich die anderen nicht voller Begeisterung auf mich gestürzt hätten um mir alles zu zeigen und mir alles zu erzählen über ihre Schule, die Klassen, die Leute und, und, und. In Englisch war ich kurz vorm Heulen, aber ich riss mich soweit es ging zusammen, eine meiner neuen Lehrerinnen sprach mir Mut zu und irgendwie überlebte ich den Tag dann doch noch. Auch wenn ich nicht fassen konnte, dass man sich beim Lehrer einen Toilettenschlüssel abholen musste - mein einziger Fluchtort blieb mir also auch verwehrt.
Ich kam völlig erledigt in meinem neuen Zuhause bei meiner Mutter an, versuchte ihr zu verstehen zu geben, was mit mir passiert war nach dem Umzug. Ich schaffte es morgens nicht mehr aus dem Haus.
Ich konnte nicht frühstücken, da mir schlecht war, ich sah immer nur mein blasses Gesicht und meine kalten Hände und hatte absolute Angst, irgendwo umzukippen. So ging es den Rest der Woche. Meine Mutter kontaktierte die Schule und ich war ihr für das Verständnis, welches ich nicht von meinem Vater bekommen hatte, sehr dankbar. Die 4 Jahre in denen wir kaum miteinander gesprochen hatten, standen nicht zwischen uns, was ich davor sehr gefürchtet hatte.
Meine Mutter wusste, dass sie etwas tun musste, und so brachte sie mich zu meinem Kinderarzt, der mich behandelte seit ich geboren wurde - tatsächlich konnte er sich noch an mich erinnern. Er sprach mit mir alleine und ich versuchte ihm begreiflich zu machen, was mich bedrückte. Er überwies mich an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie. Nach einem Aufnahmegespräch wurde ich dort stationär aufgenommen. Schnell aber merkten sie, dass eine Tagesklinik für mich besser wäre, da könnte ich dann wieder lernen, einem Tagesablauf nachzugehen. Nach 5 Monaten wurde ich entlassen, auf eigenen Wunsch.
In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt, ich habe meine Krankheit mehr im Griff als früher, ich kann mich irgendwie mehr beruhigen. Jedoch ist die tägliche Traurigkeit geblieben, ich wache auf und merke sofort, dass ich immer noch krank bin.
Deswegen rate ich euch, sobald ihr nur Symptome wahrnehmt, geht sofort zu einem Arzt! Und wenn der euch wegschickt, geht zu einem anderen!
Es ist schrecklich, wenn ich mich mit Agoraphobie identifizieren muss. Sie ist immer in meinen Gedanken. Wenn ich morgens aufstehe und wenn ich abends schlafen gehe. Es sind immer die gleichen Rituale, jede Sekunde meines Lebens: Ich prüfe meinen Puls, meine Gesichtsfarbe, meinen Herzschlag, meine Atmung, meinen Magen, mein Schwitzen. Ich habe eine ganz andere Einstellung zum Leben. Oft bin ich depressiv und wütend auf mich selbst. An manchen Tagen verzweifle ich daran, weder leben noch sterben zu wollen. (Ein Reset-Knopf, das wäre schön.)
Mir ist viel dadurch in meinem Leben kaputt gegangen, da ich auch nicht immer auf Verständnis gestoßen bin.
Mein Freund von damals ist mittlerweile nur noch ein sehr guter Freund. Das Verhältnis zu meinem Vater & seiner neuen Freundin ist sehr gut, ebenfalls zu meinem Bruder.
Die Therapie ist jetzt ein Jahr her. Ich habe es nicht zum Abitur geschafft, mache jetzt eine schulische Ausbildung zur kaufmännischen Assistentin, in der mich meine Mutter gesteckt hat, nach dem Motto Du machst das, oder gehst zurück in die Klapse. Es macht mir absolut keinen Spaß. Die Leute in der Klasse respektieren mich, aber ich habe dort keine festen guten Freunde, die mir den Schulalltag erleichtern könnten. Ich bin auch ein anderer Mensch als, diese Leute, die später Mal ihr eigenes Unternehmen gründen möchten. Ich bin eher ein Freigeist und Künstler, der keine Lust darauf hat, als Bürozombie zu enden.
Mittlerweile holt mich meine Krankheit immer wieder ein, sie ist eben ein Teil von meinem Denken und ich kann es nicht abstellen.
Aber mittlerweile gibt es wenigstens auch gute Zeiten! :) Es geht mir dann so gut, dass ich mich traue auch mit Leuten wegzugehen, die nichts von meiner Krankheit wissen. Jedoch bin ich mittlerweile ein ziemlicher Einzelgänger. Mir geht es dann besser, wenn keiner mich fragen kann, wie es mir geht, wenn ich mal wieder abrupt nach Hause möchte oder kurz die Augen zumachen muss. Leider muss ich sagen, dass ich es am Wochenende auch nur schaffe, wenn ich mich mit Alkohol betäube.
Es gibt immer noch Tage, an denen ich morgens zusammen breche und es nicht schaffe zur Schule zu fahren. Heute war einer dieser Tage. Ich bin vom Schulweg wieder zurück gefahren.
Ich konnte vor wenigsten Stunden nicht mit meiner Mutter einkaufen fahren, habe mich von meinem Handy zu Hause angerufen, um eine Ausrede zu finden, warum ich nicht mit kann.
Jaja, ich schäme mich dafür, denn ich weiß, dass ich nicht schwach werden darf. Aber manchmal kann ich einfach nicht anders als den einfachen Weg zu gehen.
Habe hier glaube ich sogar viel von meinem Leben im Text vergessen, aber schon mal Respekt, wenn dus bis hier her geschafft hast :) Sollte jemand fragen haben, kann er sich gerne bei mir Melden. Durch Therapie und Lebens/Krankheitserfahrung habe ich mir viel Wissen über die Krankheit angeeignet und kann vllt. dem einen oder anderen einen Rat geben. :) Natürlich kann man mir auch schreiben, wenn man sich einfach mal ausquatschen will, mir würde das vllt aus helfen. Liebe Grüße.