Kurz nach meinem letzten Geburtstag (in den Zwanzigern) geworden bin, habe ich angefangen über mein derzeitiges Leben nachzudenken. Ich stehe kurz vor dem Eintritt in das Berufsleben, was mich natürlich nervös macht. Wo wird man arbeiten, wird einem der Job Spaß machen?
Aber viel wichtiger ist die Frage, wie mein persönliches Leben in den nächsten Jahren aussehen soll. Ich habe seit vielen Jahren einen Freund, seit einigen Jahren leben wir auch zusammen. Wir sind zusammen gekommen, als ich noch sehr jung war und waren einmal für ein Jahr getrennt. Ich habe also eine vage Vorstellung, wie das Leben als Single aussieht- die guten und die schlechten Seiten. Es ist der Lauf des Lebens, dass man sehr viele gemeinsame Erinnerungen an schöne Zeiten, aber auch an schwere Zeiten hat. Mein Freund ist sehr gutaussehend, sehr nett, lustig und was für viele Frauen wohl das Wichtigste ist: eine treue Seele. Ein perfekter Mann, ein perfektes Leben und eine gute Zukunftsprognose, mag man meinen. Doch von einem Tag auf den anderen tauchte ein Gefühl auf, ein bohrender Zweifel. Es gibt viele Dinge, die mich sehr stören und ich habe auch schon oft versucht, darüber zu sprechen. Heraus kamen dabei die üblichen Diskussionen, in denen Frau sich hysterisch und missverstanden vorkommt. Was für Männer unwichtige Kleinigkeiten sind, scheint uns Frauen viel wichtiger zu sein. Oder nur mir? Wie Frau Probleme nun mal so angeht, habe ich eine Liste erstellt. Eine? Tausende. Da diese Listen zu nichts führten, außer, dass ich mich selbst für bescheuert halte, über was ich mich aufrege, versuche ich, die Dinge etwas abstrakter zu formulieren:
Ich vermisse meine Freiheiten (nicht die sexuellen). Ich vermisse meine Unabhängigkeit. Den Luxus, in erster Linie nur für mich selbst und meine Probleme sorgen zu müssen. Sowohl auf den Haushalt bezogen, als auch auf alle anderen alltäglichen Stationen. Ich vermisse, dass mir jemand einmal alles abnimmt, jemanden, der mir durch seine Tatkräftigkeit und Stärke importiert. Ich vermisse die Ungezwungenheit, dass die Dinge einfach laufen. Ich mag nicht für zwei sorgen und denken. Ich mag nicht um Aufmerksamkeit und Interesse kämpfen. Ich habe das Gefühl, dass das Management der Beziehung weitestgehend an mir hängen bleibt und das ist so anstrengend geworden. Was nicht heißen soll, dass ich mir nicht bewusst bin, dass eine Beziehung Arbeit bedeutet und lange Zeit war ich auch mehr als bereit für die meine zu arbeiten.
Aber dann kam dieser eine Abend. Nichtsahnend stand ich an einer Bar und diskutierte mit einer Freundin den ... Faktor ihres Expartners, der, nebenbei erwähnt, sehr hoch ist. Abschließend folgte das obligatorische Gespräch über den Glauben an die große, ewige Liebe, deren glühendster Verfechter natürlich ich als Vertreter der -gemeinhin verhassten- Fraktion Jugendliebe bin. Da sprach ich die magischen Worte Natürlich haben wir auch Probleme, aber ich weiß wir gehören zusammen. Ich hab ihn gesehen, damals, als ich XY Jahre alt war und ich wusste das einfach!- da drehte ich mich zu meinem Glas um, nahm einen theatralischen Schluck und alles hat sich -zumindest bis zum heutigen Stand, das sind jetzt T plus zwei Wochen- verändert. Da stand jemand. Jemand mit wahnsinnig fesselnden Augen, der lose zur Gruppe gehörte. Groß, schlank, durchtrainiert. Kein Schönling, sondern eher der Typ kanadischer Holzfäller, nur ohne dieses Flanellhemd. Man stellte sich vor und kam sofort ins Gespräch. Das Gespräch war derart unterhaltsam, dass ich als Raucher das Rauchen vergaß- trotz Alkoholkonsum. Die gegenseitige Sympathie wurde irgendwann bekundet und der Vertreter der Fraktion Jugendliebe zog es wohlweißlich vor, an diesem Abend nicht in einen bestimmten Club zu gehen, um keine Probleme zu verursachen.
Nicht aus der Distanz betrachtet, war ich natürlich schon mitten im Problemstrudel und, wie das der durchschnittlich verrückte Mensch nun einmal so tut, habe ich mir den Verursacher des Problems noch einmal angeschaut, natürlich absolut im Glauben, das würde die Probleme lösen. Ich habe echt gehofft, dass ich am Freitag zu betrunken war und mir am Samstag auffallen würde, dass mein Gesprächspartner von gestern hässlich und langweilig sei. Ich bin an diesem Abend wieder nicht zum Rauchen raus gegangen und habe mich stundenlang äußert gut unterhalten. Nach harmlosen Schreiben im Internet gab es nur noch eine einzige Chance, sich noch einmal zu sehen, bevor meine Bekanntschaft für einige Zeit an das andere Ende des Globus (natürlich, was auch sonst) nach Hause flog. Rückkehr fraglich, zumindest an den Ort, an dem ich lebe. Ich habe mich heimlich mit einem Mann, der nicht mein Freund ist, in einer Bar verabredet. Und das größte Knistern seit Jahren erlebt, was nicht durch die verbotene Situation verursacht wurde. Nichts ist passiert- weil ich das so wollte. Ich spiele seit diesem Exempel meiner Willenskraft ernsthaft mit dem Gedanken, ein hauptberuflicher Fakir zu werden- oder zumindest mit dem Rauchen aufzuhören. Scherz beiseite, es kostete mich größte Kraft, diesem Knistern nicht zu erliegen. Und ich habe meinen Freund noch nie betrogen und auch nie überlegt, es zu tun, weil das einfach nichts für mich ist. Wie alle Frauen bin ich Freund von Bilanzen. Der Wert von Dingen, oder in diesem Fall von einem Menschen, kann nämlich sehr wohl anhand von Kriterien eingeschätzt werden und das Ergebnis beim weiteren Handeln helfen. Die Bilanz des Holzfällers ist denkbar schlecht: Nicht die gleiche Staatsbürgerschaft, nicht die gleiche Sprache (zumindest bin ich der seinen mächtig), er war nie auf der Uni (das soll nicht oberflächlich klingen, sondern ist einfach ein Bilanzpunkt), sein Beruf ist das absolute K.O.-Kriterium (Profisportler: häufige Ortswechsel, was kommt danach) und achja- auch er hat eine Freundin. Und dennoch ist die Faszination so groß, dass ich momentan gar nicht weiß wohin mit mir und schon gleich gar nicht weiß, was mit meinem alten Leben werden soll. Die Gegenseite denkt ähnlich.
Das Dilemma in dem ich nun stecke ist, dass meine Freundinnen, aber auch männliche Freunde oder Arbeitskollegen mich für meine besonnene Art schätzen. Meine Meinung wird eingeholt, weil ich mir Dinge gründlich überlege und auch vor Selbstkritik nicht zurückschrecke.
Kann ich hier so falsch liegen? Haben wir eigentlich keine Beziehungsprobleme? Bilde ich mir das alles ein? Weil ich ein tiefergehendes Problem habe, mit dem Zwang mein Glück zu zerstören? Bin ich vielleicht sogar ein schlechter Mensch und überheblich und suche immer nach etwas Besserem, weil ich in irgendeiner gestörten, verborgenen Region meines Unterbewusstseins aus unerfindlichen Gründen der Meinung bin, ich hätte noch nicht das Beste? Und was zur Hölle ist dann mit dem Holzfäller? Ist der ein Zeichen dafür, dass meine Beziehung in einer Krise steckt, aus der sie vielleicht nicht mehr herauskommt? Oder ist es normal, dass man sich Mitte Zwanzig fragt, ob der Lebensplan, den man sich ausgemalt hat, wirklich der richtige für einen ist?
Und wie bekommt man das dann hin?
Ich freue mich über knallharte, ehrliche Meinungen.