Meine Mama starb am Alkohol!
Hallo meine Liebe,
ich vermute, dass ich gut nachempfinden kann, wie Du Dich fühlst.
Mir kommen viele Dinge, die Du schreibst sehr bekannt vor. Vor allen Dingen: "Ich frage mich nur ob ich überreagiere, oder nicht. Soll ich beharrlicher sein oder kann ich überhaupt dagegen etwas unternehmen?"
Zunächst einmal ist es so, dass Du leider nur so lange etwas tun kannst, wie sie überhaupt weiß, dass sie ein Problem hat. Und selbst dann ist es eine Frage der Willenskraft, etwas zu ändern. Du reagierst nicht über, das kann ich Dir so schon sagen. Denn selbst wenn nur der Verdacht in Dir keimt, dass "etwas nicht stimmt", ist es gut, es auch auszusprechen. Besser man lacht später einmal drüber, weil es nicht so war, wie es aussah, als dass man die Beerdigung seiner Mutter planen muss. Ich will Dich nicht verrückt machen. Die Alkoholkarriere meiner Mama hat wesentlich früher begonnen, als die Deiner Mutter, wenn ich das richtig verstehe. Das lässt sich also vielleicht gar nicht vergleichen.
Um einen besseren Zugang zu ihr zu bekommen, wäre es vielleicht gut, wenn Du ihr von vornherein den Irrglauben nimmst, dass Alkoholprobleme immer nur solche Menschen haben, die im Leben nichts erreicht haben, ungebildet, oder mittellos sind. Alkohol ist nichts für "Versager". Alkohol ist gerade deshalb Volksdroge Nummer 1, weil viele Menschen durch diverse Faktoren dem Druck, der durch Gesellschaft, Familie oder den Beruf an sie gestellt wird, nicht mehr stand halten.
Vielleicht nimmst Du ihr auf diesem Wege die Scham, sich ein doch eventuell bestehendes Alkoholproblem einzugestehen. Benutze doch den Alkohol, um ihr klarzumachen, auf welchen Weg sie sich da gerade begibt.
Alkohol "lauert" ÜBERALL! In vielen Speisen, auf Feiern, Veranstaltungen, ja sogar in Medikamenten. Will sie sich tatsächlich ein Leben lang in Abstinenz üben, nur weil sie über's Ziel hinaus geschossen ist?
Ich war ebenfalls Zeit meines Lebens mit meiner Mama allein. "Ich weiß dass ich es nicht schlimm erwischt habe, da sie mich nicht schlägt oder irgendwas vergleichbares wenn sie betrunken ist." Das hat meine Mutter auch nie getan, sie konnte zwar gemeine & verletzende Dinge sagen, wenn sie getrunken hatte, aber körperliche Gewalt habe ich nie erfahren. Allerdings musst Du DEIN Problem mit dem Alkoholkonsum Deiner Mutter nicht kleinreden, nur weil sie Dich nicht schlägt. Mit dem Moment, wo Du merkst, dass sie die Kontrolle verliert, läuft es einem kalt den Rücken hinunter, weil man ab sofort hilflos ist und es sich anfühlt, als laste eine zentnerschwere Verantwortung auf den Schultern. Ab jetzt ist Rollentausch angesagt: Denn nicht mehr sie sorgt sich in existenzieller Weise um Dich, wie Mütter es um ihre Kinder IMMER tun, sondern es ist umgekehrt. Du bist erst 16 und solltest dieses Gefühl nicht kennen müssen.
Mein Problem in Deinem Alter war, dass ich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu meiner Mutter stand. Das ist bei allen Kindern so, die bei ihren Eltern leben. Der Einfluss, den Du hast, ist nicht besonders groß und man wird nicht ernst genommen: "Sie findet eher, dass ich überreagiere". Ich kenne das alles so genau... =(
Vertraue Dich doch einmal einer erwachsenen Person an, die Deine Mama gut kennt. Ihre beste Freundin, Deine Oma, oder, oder, oder....das sind Menschen, die sich mit ihr auf Augenhöhe unterhalten können. Du wirst jetzt wahrscheinlich denken, dass Du Dich damit illoyal ihr gegenüber verhältst und tatsächlich könnte es sein, dass sie es Dir zum Vorwurf machen wird. Fakt ist aber, dass Du Dir einfach nur Hilfe suchst, damit zum einen Du nicht unter der Last zusammenbrichst und zum anderen jemand gefunden wird, der sie auch erreichen kann. Was auch immer Du tust - schaffe Dir ein dickes Fell an. Sollte sich das Trinkverhalten Deiner Mama zum Alkoholismus entwickeln, oder es schon soweit sein, können sich ihr Frust und ihre Wut auch mal gegen Dich, oder Deinen Bruder richten. Bei Alkoholikern ist es irgendwann so, dass alle um sie herum die Schuld an ihrem Elend tragen, sie selbst aber nichts dafür können.
Leider war ich erst 8, als meine Mama schon gehörige Probleme mit dem Trinken hatte. Als ich alt genug war, um zu verstehen, was genau los ist und was zu tun ist, war es einfach schon zu spät und bereits viel zwischen uns passiert. Abgesehen davon war meine Mutter ziemlich resistent gegen alle Einflüsse von außen. Zusätzlich war sie ein sehr dominanter Mensch, mit dem man sich nicht gerne anlegte. Führte dazu, dass mich einige, denen ich mich anvertraut hatte, allein ließen mit allem. Geschwister hatte ich auch keine. Am Anfang bekam ich sogar Schelte, weil ich meiner Mama das Gläschen Wein nach einer harten Woche nicht gönnen würde. Als das Kind in den Brunnen gefallen war, strömten dann alle auf mich ein. Wollten Infos, stellten Fragen usw. Solange aber das Wohneigentum da war und der Mercedes vor'm Haus stand, wollte niemand ein Problem sehen. Am Ende war ALLES weg.
Die Profis raten immer dazu, einen Alkoholiker fallen zu lassen, bis er so weit unten angekommen ist, dass er sich selbst Hilfe sucht. Mir war das alles immer zu passiv. Teile Dich auf jeden Fall jemandem mit, der ein gutes Verhältnis zu Deiner Mutter hat. Vielleicht erreicht sie ja jemand anderes.
Ich wünsche Dir, dass Deine Mutter gerade vielleicht einfach nur ein wenig durchhängt und wieder die Kurve kriegt. Es sind ja nicht alle Menschen gleich - für alle anderen Momente suche Dir einen guten Gesprächspartner und mache Dir immer wieder klar, dass Du für das Leben Deiner Mutter nicht verantwortlich bist, auch wenn es sich vielleicht so anfühlt.
Liebe Grüße!