Jede Spätabtreibung ist eine Abtreibung zu viel. Deshalb
unternehmen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
heute erneut den Versuch, dass es hier im Deutschen
Bundestag zu einer tragfähigen Initiative kommt, damit
Spätabtreibungen vermieden werden.
Wir müssen Frauen und ihren Partnern, wir müssen
dem Kind, das sie erwarten, und wir müssen den Ärztinnen
und Ärzten und den Hebammen die notwendige
Hilfe und Unterstützung geben. Darum geht es; das sage
ich in aller Deutlichkeit. Es geht nicht um die Bevormundung
der Frau, wie es uns von Rot-Grün unterstellt
wird. Unser Ziel ist es, die Verzweiflung der Frauen zu
mindern. Das verdient unseren vollen Einsatz.
Ebenso klar möchte ich sagen, dass niemand bei uns Interesse
an einer erneuten Diskussion über den
218 StGB insgesamt hat.
Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns eine Beobachtungs-
und Nachbesserungspflicht auferlegt. Diesem
Auftrag müssen wir endlich nachkommen.
Es gab im Jahr 2003 217 Spätabbrüche. Geht man davon
aus, dass die Lebensfähigkeit des Kindes aufgrund
des medizinischen Fortschritts heute schon sehr viel früher
gegeben ist, nämlich ab der 22. Schwangerschaftswoche,
dann ist es im vergangenen Jahr sogar zu 337 Spätabbrüchen
gekommen. Das mag manchem angesichts
von insgesamt 128 000 Schwangerschaftsabbrüchen pro
Jahr wenig vorkommen. Aber die Zahl ist kontinuierlich
gestiegen. Dabei ist noch die Dunkelziffer zu berücksichtigen;
denn so mancher Schwangerschaftsspätabbruch
wird als Totgeburt registriert. Ich will hier eines klar sagen:
Das ist keine Frage von Zahlen. Es geht hier um die
Frage: Wie können wir in einer besonders bedrückenden
Situation Leben schützen?
Diese Situation ist deshalb so bedrückend, weil Spätabbrüche
zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die Kinder
bereits lebensfähig sind, weil sie Paare betreffen, die
sich ein Kind wünschen, und weil es um den Umgang
mit behindertem Leben geht. Ich hatte in den vielen Gesprächen,
die wir fraktionsübergreifend geführt haben,
den Eindruck, dass wir uns darin einig waren ich hoffe,
dass wir uns darin noch einig sind , dass das Leben des
Kindes zu schützen ist, dass Eltern in dieser verzweifelten
Situation Hilfe erfahren müssen und dass behindertes
Leben zu achten ist.
Wir wissen aber auch dies zeigt die Entwicklung
nach der Reform des 218 StGB , dass bei Spätabbrüchen
ein besonderer Handlungsbedarf besteht; denn die
embryopathische Indikation ist damals in guter Absicht
entfallen. Man wollte dafür sorgen, dass damit
keine weitere Diskriminierung behinderten Lebens stattfindet.
Aber damit ist gleichzeitig die zeitliche Begrenzung
von Abtreibungen bis zur 22. Woche entfallen.
Weggefallen sind auch die verpflichtende Beratung und
die Bedenkzeit. Das heißt, Schwangerschaftsabbrüche
sind im Rahmen der medizinischen Indikation heute
ohne jegliche Beratung und ohne jede Bedenkzeit praktisch
bis unmittelbar vor der Geburt zulässig. Das mag
nachvollziehbar sein und muss es sogar sein, wenn unmittelbare
Lebensgefahr für die Mutter besteht. Aber das
ist nicht mehr nachvollziehbar, wenn es um eine medizinische
Indikation im Zusammenhang mit PND geht. Es
ist doch geradezu widersinnig, dass dann, wenn die
Schwangerschaft fortgeschritten ist und das Konfliktpotenzial
und die Belastung der Frau in dieser Situation
noch größer werden, weil das Kind lebensfähig ist, das
Schutz- und Beratungskonzept wegfällt. Denn dann sind
keine verbindliche Beratung und keine Bedenkzeit mehr
gegeben. Die Mutter steht ohne Hilfe da, sie ist auf sich
allein gestellt, sie ist allein gelassen. Unsere Auffassung
ist: So kann es nicht bleiben, das muss geändert werden.
Das Ziel, behindertes Leben besser zu schützen, ist
bisher nicht erreicht worden. Die Praxis zeigt, dass Kinder
nach wie vor wegen einer erwarteten Behinderung
abgetrieben werden. Das steht in krassem Gegensatz
zum Grundgesetz; dort haben wir in Art. 3 den Satz eingefügt:
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden.
Dieser Vorschlag kam in der letzten Legislaturperiode,
als wir interfraktionell darüber beraten haben, von dem
früheren Kollegen Schmidt-Jortzig von der FDP. Wir haben
ihn gerne aufgegriffen.
Deshalb möchten wir klarstellen: Eine absehbare Behinderung
allein ist kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch.
Es kommt auf die Gefährdung für das
Leben der Mutter an. Es kann nicht sein, dass allein wegen
einer Behinderung abgetrieben wird.
Sie haben in einem Zwischenruf gefragt, was denn die
Ärztinnen und Ärzte und die Hebammen dazu sagen. Ich
will Ihnen aus dem Positionspapier des Bundes Deutscher
Hebammen etwas mit auf den Weg geben. Dort
heißt es, dass gerade die Spätabtreibungen die dunkelste
Seite von pränataler Diagnostik sind, weil die Frauen
traumatisiert sind und weil diese Traumata Auswirkungen
auf die Gesundheit, auf nachfolgende Schwangerschaften
und Geburten haben. So sehen es die Hebammen.
Hier besteht Handlungsbedarf. Wir können das
Problem nicht einfach negieren, wie Sie es in Ihrem Antrag
tun.
Wenn ein Kind dank medizinischen Fortschritts heute
ab der 22. Schwangerschaftswoche lebensfähig ist, dann
wird dieses Kind häufig im Mutterleib getötet das ist
Fetozid oder es kommt auf die Welt und bleibt unter
Umständen unversorgt liegen, in der Erwartung, dass es
bald sterben wird. Sie alle kennen den Fall des Oldenburger
Babys Tim, der durch die Presse gegangen ist. Es
ist 1997 wegen eines Downsyndroms in der 25. Schwangerschaftswoche
abgetrieben worden, aber wie durch ein
Wunder hat Tim überlebt. Er hätte heute wahrscheinlich
weniger Behinderungen, wenn er nicht nach der Abtreibung
viele Stunden unversorgt liegen gelassen worden
wäre. Ein solcher Fall darf sich nicht wiederholen.
Ich glaube, an erster Stelle muss es zu einem Wertewandel
in unserer Gesellschaft kommen, und zwar in
zweifacher Hinsicht. Wir müssen wieder verstärkt die
Tatsache in das Bewusstsein rücken, dass Schwangerschaftsabbrüche
dem Grunde nach eine Tötung sind und
damit rechtswidrig.
So steht es auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Ein ungeborenes Kind hat denselben Anspruch
auf Schutz wie ein geborenes Kind.
Zum anderen brauchen wir eine andere Einstellung zu
Menschen mit Behinderungen. Sie dürfen in unserer Gesellschaft
nicht ausgegrenzt werden.
Die Aktion Mensch hat im Rahmen ihrer 1 000-Fragen-
Aktion die Frage aufgeworfen: Gibt es ein Recht auf ein
gesundes Kind? Natürlich gibt es ein solches Recht
nicht. Es gibt den Wunsch von Eltern der ist nachvollziehbar
, ein gesundes Kind zu haben. Aber was heißt
gesund? Was heißt behindert? Die Aktion Mensch tritt
für ein Recht auf Unvollkommenheit ein. Ich glaube, wir
brauchen dringend diese neue, andere Sicht behinderten
Lebens sowie auch seiner Qualität und seines Wertes.
Dafür müssen wir uns gemeinsam stark machen.
Dem dient unser Ansatz und dem dient unser Bemühen,
Spätabtreibungen zu vermeiden.
Wir haben immer wieder neue Anläufe unternommen.
Wir haben mit Ihnen das Gespräch gesucht und über
viele Stunden hinweg verhandelt. Oft hatte ich die Hoffnung,
wir würden zusammenkommen und gemeinsam
einen Weg finden. Wir haben in der letzten Legislaturperiode
einen Versuch unternommen, aber unser Antrag
wurde kurz vor Ende der Legislaturperiode abgelehnt.
Wir haben es erneut versucht und wir werden auch in
den Ausschussberatungen weiterhin versuchen, gemeinsam
mit Ihnen diesen Weg zu finden. Ihr heute vorliegender
Antrag erschöpft sich in Appellen und kann deshalb
nicht der Weg sein. Wir haben gesehen, dass der in
der letzten Legislaturperiode aufgrund Ihrer Initiative
beschlossene Appell an die Ärzteschaft, den Rechtsanspruch
auf Beratung im Mutterpass festzuschreiben,
ins Leere gegangen ist und sich nichts geändert hat.
Aus unserem Antrag ergeben sich fünf Ansatzpunkte,
die realisiert werden müssen:
Erstens. Wir legen großen Wert auf eine verbesserte
umfassende Beratung. Sie muss verbindlich sein und sie
muss über die medizinische Beratung hinausgehen. Sie
muss psychosozialer Art sein und sie muss den Müttern
in dieser verzweifelten Situation helfen.
Zweitens. Es bedarf der Sicherheit im Befund. Deshalb
braucht man ein interdisziplinär besetztes Gremium
von Ärzten. Hier sind neben dem Gynäkologen auch der
Kinderarzt und der Genetiker gefordert. Es geht nicht
darum, dass die Frau vor ein Gremium zitiert wird, sondern
darum, den ärztlichen Befund abzustützen und damit
Klarheit zu schaffen.
Drittens. Wir brauchen die Einführung einer Bedenkzeit
von drei Tagen, denn in einer Schocksituation kann
man nicht verantwortlich handeln. Diese Frist ist notwendig,
damit die Frauen und ihre Partner sich Klarheit
verschaffen können, um Ja zum Kind zu sagen oder unter
Umständen in dieser bedrängten Situation doch den
Weg zur Abtreibung zu gehen. Diese Entscheidung darf
nicht in einer Schocksituation getroffen werden.
Viertens. Wir müssen die Arzthaftung auf den Prüfstand
stellen.
Viele Ärzte drängen die Frauen zur Abtreibung. Deshalb
glauben wir, dass man den Weg, der in Frankreich
eröffnet worden ist, diskutieren muss, nämlich die Haftung
auf grobe Fahrlässigkeit zu beschränken.
Fünftens. Wir legen Wert darauf, dass der gesetzgeberische
Wille klargestellt wird.
Ich appelliere noch einmal an Sie: Gehen Sie mit uns
gemeinsam diesen Weg. Lassen Sie die Frauen nicht allein.
Helfen Sie denjenigen, die sich ein Kind wünschen,
und helfen Sie, dass behindertes Leben in unserem Land
besser anerkannt wird!
Herzlichen Dank.