Ich habe sie nicht gewollt. Doch jetzt ist sie da, und wir müssen miteinander klar kommen.
zwei Striche. Eindeutig, klar, dick und fett. Da war also was in meinem Bauch, irgendwo. Jemand hatte sich ungebeten eingeschlichen, in meinen Bauch, in mein Leben, einfach so reingemogelt. Ich bin nicht blöd, ich weiß natürlich, dass man vom Sex schwanger werden kann und wusste das auch damals, als ich 17 Jahre alt war. Und zwei Striche vor mir sah. Um eben diese beiden Striche zu vermeiden, nahm ich pünktlich jeden Abend die Pille. Genützt hatte meine Pünktlichkeit aber wohl nichts, wie man sehen konnte. Der zweite Strich hatte es sich trotzdem in meinem Bauch gemütlich machen können.
Lass es abtreiben, du hast dein Leben noch vor dir.
Bekomm es und gib es zur Adoption frei. Du hast dein Leben noch vor dir.
Es ist ein Grund zur Freude, es hat sein Leben noch vor sich.
Mach was du willst, aber entscheide dich schnell, du bist schon in der 8. Woche.
Es ist deine Entscheidung, aber ich unterstütze dich.
Letzteres war der Vater des Kindes, mein Freund. Mein allererster Freund, mit dem ich zu dem Zeitpunkt genau 2 Jahre zusammen war. Mein Freund, der mir jeden Abend um 19 Uhr eine SMS schrieb, dass ich meine Pille auch wirklich nehme und nicht vergesse. Mein Freund, der Kinder liebte. Und ich, die nie Kinder wollte. Die viel lieber Karriere machen wollte und möglichst viel Geld verdienen, die immer über Teeniemütter gelächelt hatte, über deren Dummheit, nicht vernünftig verhüten zu können. Die Kinder als nervig empfand.
So standen wir also vor den zwei Strichen und hatten ein Problem, um es mal milde auszudrücken. Er änderte dann seine Meinung und wollte eine Abtreibung oder das Kind mit allem, was dazugehört. Wenn ich es erst mal gesehen habe, schaffe ich es garantiert nicht, es an fremde Leute abzugeben.
Um es kurz zu machen, wir entschieden uns für das Kind mit allem, was dazugehört. Auch wenn wir beide noch unser Abitur vor uns hatten, wir nicht mal wussten, ob wir wirklich zusammen bleiben wollten, wir beide noch bei unseren Eltern wohnten.
Ich hatte keinen Bezug zu dem Etwas in mir, aber ganz unvorbereitet wollte ich auch nicht an die Sache herangehen. Also besorgte ich mir Literatur. Ich las Bücher über Schwangerschaft und Geburt und das Leben mit einem Säugling, wusste alles über die verschiedenen Stadien der Schwangerschaft, Kaiserschnitte und Periduralanästhesie, drei-Monats-Koliken und Babynahrung. Wir besuchten einen Geburtsvorbereitungskurs, der im Endeffekt nichts gebracht hat, aber ganz nett war. Wir gingen regelmäßig zur Frauenärztin, die uns unser Etwas auf dem Bildschirm zeigte. Ich kann bis heute nicht verstehen, wie manche Frauen weinen müssen, wenn sie den Herzschlag ihres Babys auf einem rauschenden Schwarz-Weiß-Bildschirm sehen. Ich interessierte mich mehr für die Technik des Ultraschallgeräts als für das, was es anzeigte - das Innere meiner Gebärmutter, ein Kind. Ich entwickelte mich zur Expertin im Erkennen, was der Arm und was das Bein war, ich erkannte das Geschlecht, noch bevor die Ärztin es ausgesprochen hatte.
Wir hatten einen kurzen Streit, als ich in der Schule auf die Frage, ob ich es denn schon spüre, beiläufig mit Ja, seit ein paar Wochen antwortete. Warum ich es ihm denn nicht gesagt hätte, es sei doch so wichtig und schön. Dass es so wichtig war, wusste ich nicht, und als schön empfand ich es auch nicht unbedingt.
Mit der Zeit entwickelte ich eine neutrale Beziehung zum Etwas (das Etwas war inzwischen eine Sie geworden) in meinem Bauch. Ich mochte es weder noch hasste ich es. Ich ärgere dich nicht, du ärgerst mich nicht, das war unser insgeheimer Deal. Und geärgert hat sie mich wirklich nicht, ich hatte keinerlei Beschwerden in der Schwangerschaft, habe nur von vollerem Haar und reinerer Haut profitiert. Zugenommen habe ich nur da, wo es sollte, am Bauch und den Brüsten, und ich bekam so viele Komplimente in der Schwangerschaft wie nie. Das sie nie viel Platz beansprucht hat, musste ich mir auch keine von den hässlichen Gummibund-Hosen kaufen, sondern konnte bis zuletzt meine alten Hosen anziehen.
Rückblickend muss ich sagen, war die Schwangerschaft wirklich angenehm.
Dann kam die Geburt. Sie begann nicht spektakulär mit Blasensprung in der Öffentlichkeit, wie in Filmen immer gerne gezeigt, sie begann nicht mal mit Blasensprung, sondern mit Wehen, die in den folgenden 20 Stunden immer stärker wurden. Anfangs war ich heilfroh darüber, weil ich schon 12 Tage überfällig war. Die Freude verging mir schnell, aber ich muss sagen, es war lange nicht so schlimm wie vorgestellt. Es war überhaupt nicht so wie vorgestellt, wie man es immer erzählt bekommt. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas Besonderes zu erleben. Ich löcherte die Ärztin und die Hebamme mit medizinischen Fragen, die aber nichts mit dem Baby zu tun hatten. Es tat verflucht weh, aber ich hatte schon schlimmere Schmerzen. Das Bedürfnis zu schreien kam auch nie, ich leide lieber still vor mich hin, allerdings waren die Schmerzen auch keinesfalls vergessen, als es vorbei war und auf die Endorphine habe ich auch vergeblich gewartet. Das einzige, was ich spürte, war Erleichterung, die aber schnell wieder verschwand, als ich erkannte, dass der schlimmste Teil noch vor mir lag.
Sie war also da. Wurde mir auf meinen Bauch gelegt, schrumpelig, nass vom Fruchtwasser, fast kahlköpfig. Ich erkannte sofort den Mund meines Freundes wieder, der die ganze Zeit über neben mir gesessen hatte und sie schließlich abgenabelt hatte. Von der grenzenlosen Mutterliebe, die angeblich jede Mutter in diesem Augenblick durchströmt (wenn sie nicht schon während der Schwangerschaft kam) habe ich auch nichts gemerkt. Ich wollte nur schlafen, war ich ja die ganze Nacht damit beschäftigt, sie aus mir rauszuquetschen.
Die Zeit im Krankenhaus war schrecklich, die ersten Wochen danach waren es auch. Ich stillte und fand es furchtbar. Dennoch hatte ich ja in so vielen Büchern gelesen, dass es das Beste für das Kind sei, und ich wollte ja das Beste für mein Kind. Sie konnte ja nichts dafür, dass sie existierte. Der ständige Schlafmangel setzte mir ziemlich zu, und einige Male war ich nachts kurz davor, das Jugendamt anzurufen, dass sie meine Tochter abholen sollten oder aus dem Fenster zu springen. Da mein Freund ja leider nicht zum Stillen in der Lage war, musste ich auch immer aufstehen. Dazu kam das Gefühl, dass sie mich nicht mochte. Bei mir auf dem Arm schlief sie nie ein, andere mussten nur ein paar Schritte auf dem Gang gehen und sie pennte. Das teure Tragetuch, das ich angeschafft hatte und das ja ergonomisch so wertvoll wäre und in dem garantiert jedes Kind sanft schlafen würde, wurde grundsätzlich nur mit Gebrüll bedacht.
Ich wollte, dass es ihr gut ging, wollte das Beste für sie, weil sie ja für meinen Schlamassel nichts konnte. Aber diese Muttergefühle hatte ich irgendwie trotzdem nicht. Vielleicht war ich wirklich noch viel zu jung für ein Kind, mit 17 ist man eben nicht so erwachsen, egal was die anderen sagen.
Und trotzdem kamen sie irgendwann einfach - eine Art von Muttergefühlen. Sie kamen schleichend und ohne zu fragen, ähnlich wie damals der zweite Strich.
Ich war sicher, sie sei das süßeste Baby der Welt, als sie mit 6 Wochen das erste Mal lächelte (und überglücklich, als ich sah, dass sie genau das Lächeln hatte, in das ich mich vor einer halben Ewigkeit bei meinem Freund verliebt hatte).
Ich war wahnsinnig stolz, als sie sich mit 8 Wochen das erste Mal vom Bauch auf den Rücken drehte, obwohl in meinen schlauen Büchern stand, dass das erst mit 6 Monaten dran wäre.
Sie tat mir furchtbar Leid, als sie das erste Mal krank war und nur schlapp und halb im Koma in ihrem Bettchen lag. Ich vermisste sie ziemlich, als ich einen Tag frei hatte. Ich fühle pures Glück, wenn ich sie und meinen (inzwischen) Verlobten auf dem Boden herumtollen sehe und sie kichern höre. Und wenn ich ohne sie in der Stadt unterwegs bin, muss ich manchmal unwillkürlich lächeln, wenn ich an sie denke.
Karriere machen kann ich immer noch. Wenn ich studiere, geht sie normal in den Kindergarten und in die Schule. Wenn ich zu arbeiten beginne, kommt sie in die Pubertät und ist vielleicht ganz froh, mal sturmfreie Bude zu haben. Sie kann die Hochzeit ihrer Eltern miterleben und sie hilft mir, nicht immer aus allem eine Kopfsache zu machen, sondern auch mal auf meinen Bauch zu hören. Und sie zeigt mir, dass ich keine perfekte Mutter sein muss, damit sie glücklich ist - weder mit 18 noch mit 30.