an0N_1250845099zOhje.. jetzt wird's noch abstrakter - aber Du hast danach gefragt..
Das "Recht auf Leben".. Eine Terminologie, mit der unheimlich gerne um sich geschmissen wird.
Das lässt sich schlecht in einigen Zeilen behandeln, immerhin beschäftigen sich ja ganze Bücher mit dieser Idee. Ich kann aber gerne versuchen, ein paar Gedanken dazu zusammenzufassen:
Vorherschicken möchte ich, dass wir uns spätestens damit auf das Feld der Grundsatzdebatten und philosophischer Fragen begeben, die für betroffene Frauen in ihrer Einzelheit wohl recht wenig Bedeutung haben, wenn man sich aber auf die Ebene der gesellschaftlichen Moral- und Ethikdiskussion begibt, durchaus von Relevanz sind.
Also erstmal ein paar Fragen: was ist mit "Recht auf Leben" gemeint und für wen gilt es? Im späteren Verlauf kommen auch noch die Fragen: wo muss man Einschränkungen machen, wo Ausnahmen? - Auf die werd' ich aber ob des Platzes nicht mehr eingehen, es gibt aber Grenzbereiche, die man noch gesondert behandeln kann.
Beginnen wir also mit der Rechtsgenese:
"Recht" ist ja nicht etwas, was von der Natur aus entsteht/verteilt wird. In der Natur herrscht ziemlich durchgängig das "Recht des Stärkeren". Und was das betrifft, liegt unser Fall ja doch recht klar: die Frau ist gewiss mit ihren Möglichkeiten die Stärkere.
Nirgendswo in der Natur gibt es ein "Recht auf Leben". Nur mal für die, die meinen, dass das ja ach so selbstverständlich wäre.
Wir haben aber in unserer Zivilisation ein recht ausgeprägtes und kompliziertes Rechtssystem. Das allgemeine "Recht auf Leben" - so wie man es aus den Grundgesetzen ableiten kann, bezieht alle Bürgerinnen und Bürger dieses Rechtstaates mit ein und jene die theoretisch Bezieher von Grundrechten sein können (z.B. über unsere territorialen Grenzen hinaus), also kurz: alle *Personen* der Gattung Mensch. Tiere kommen z.B. nicht in den Genuss dieser Grundrechte.
Ungeborene sind z.B. auch nicht Verfüger über diese Grundrechte. Ihnen kommt aber ab einem gewissen Entwicklungsstadium gewisser Schutz zu - der aber bei weitem (bis zur Geburt) nicht mit dem Schutz zu vergleichen ist, der Geborenen zukommt.
Weitere wichtige Elemente unserer Grundrechte sind aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung etc. sowie der Verbot des Eingriffs des Staates in die Reproduktion/Familienplanung (damit sollte vor allem vor Zwangssterilisationen geschützt werden, so wie es im 3. Reich geschah, schliesst aber auch (relativ) freie Verfügung über Verhütungsmittel mit ein, so dass es jedem selbst überlassen ist, wann und ob er Nachwuchs zeugt, desweiteren, dass von niemanden ohne sein Wissen oder seine Zustimmung Genmaterial oder gar Eizellen oder Spermien entnommen werden können, um damit Nachwuchs zu "produzieren").
Selbst wenn man jetzt davon ausgeht, der Embryo hätte ein "Recht auf Leben" (<- was er explizit nicht hat), steht man vor der eigentlichen Frage, ob eine schwangere Frau nun auch die *Pflicht* hat, diesen in ihrem Körper am Leben zu erhalten und zum Leben zu verhelfen. Der Embryo kann schlecht ohne die Frau, also unabhängig, überleben. Man kann es somit nur mit der Hilfe der Frau. Ist sie nun aber dazu verpflichtet?
Ein Vergleich: ein Mensch ist krank und wird vermutlich sterben, wenn ich ihm nicht meine Niere / mein Knochenmark spende. Kein Gesetz *verpflichtet* mich dazu, dieses auch zu tun. Selbst, wenn es sich nur um einen geringfügigen Eingriff handeln würde, es bliebe mir überlassen, da ich das alleinige Bestimmungsrecht über meinen Körper habe und nicht verpflichtet bin, auf Kosten meiner körperlichen Integrität, jemandes Leben zu retten /zu schützen. Ich *kann* es tun, aus persönlichem Interesse (es ist ein Mensch, an dem ich sehr hänge) oder aus einer moralischen Verpflichtung heraus. Ich habe aber keine rechtliche Pflicht dazu.
Im Prinzip verwehrt eine Frau, die eine Schwangerschaft abbricht in erster Linie noch nicht einmal das *Recht auf Leben* (welches, wir erinnern uns, so ja noch nichtmal exisistiert), sie macht nur von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch- dass der Embryo ohne sie nicht überleben kann ist ja nichts, was sie bestimmt hätte, das hat die Natur gemacht - ähnlich, wie bei einem Kranken, den ich mit einer "Körperspende" retten könnte.
Und 9 Monate sind auch nicht gerade ein Pappenstiel (plus der körperlichen Konsequenzen und Risiken).
Wenn jemand ohne meine Zustimmung in mein Haus eindringt und verlangt, darin zu wohnen, so kann ich es ihm auch verwehren - auch, wenn er nur für 9 Monate bleiben will. Egal, ob ich die Tür abgeschlossen hatte, oder nicht (Analogie zur Verhütung). Das erscheint jedem selbstverständlich. bei einer Schwangerschaft geht es aber nicht um so etwas materielles oder triviales, wie mein Haus, sondern um nichts weniger, als meinen Körper.
Sie *kann* das Kind austragen (wenn es nicht sowieso ihr Wunsch ist), sie tut das dann aber nicht, weil sie die Pflicht dazu gegenüber dem Embryo hat, sondern aus reiner Güte bzw. aus moralischen Grundsätzen. Denn bis zu dem Zeitpunkt, wo minimale Empfindungsfähigkeit da ist, tut sie es nicht dem Embryo zuliebe, denn solange er noch jenseits der Bedürfnisfähigkeit ist, wirds ihm wohl ziemlich egal sein, er *hat* gar keinen Wunsch zu leben.
Für die, die immer noch glauben, einem Ungeborenen stehen die gleichen Rechte zu, wie einer geborenen Person, der sollte sich mal vor Augen halten, dass Menschen seit neuestem ein Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz haben (körperliche Unversehrtheit), es aber noch nichtmal im Ansatz Gesetze gibt, die Alkohol- oder Nikotingenuss oder Extremsportarten in der Schwangerschaft verbieten. Das Ungeborene wird in dem Sinne als Teil des Körpers der Frau gesehen, und so wie sie sich mit Nikotin und Alkohol vergiften darf, bzw. sich mit Extremsportarten gefährden darf, so darf sie das gleiche auch mit ihrem Ungeborenen tun. Er wird rechtlich *nicht* unabhängig von ihr betrachtet. Wenn man andererseits geborenen Kindern Alkohol gibt, macht man sich strafbar.
Keine Frage ist der jetzige Rechtsstand was Schwangerschaftsabbrüche und Schutz von Ungeborenen betrifft, in Deutschland noch sehr unausgegoren und teilweise auch wiedersprüchlich.
Ein entscheidendes Kernelement findet sich aber auch in unserer Fristenlösung wieder: nämlich, dass es für gewisse Eingriffe auch eben gewisse Fristen gibt. Was dem Umstand zuzurechnen ist, dass mit unterschiedlicher Entwicklung dem Ungeborenen auch ein unterschiedlicher Schutz zukommt. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären, auf den Du Dich bezogen hast.
Einen wenige Wochen alten Embryo, der 0 Empfinden, 0 Interessen, 0 Meinung und 0 Bedürnisse hat, rechtlich über grundlegende Rechte der Frau zu stellen, ist völlig absurd und widersprüchlich zum Grundgesetz. Auch die theoretische(!) Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruch ist ansich nicht rechtskonform. Aber deswegen wird er ja als solcher auch nicht durchgezogen und ist ein Kompromiss, der die Gemüter der Abtreibungsgegner beruhigt, jedoch der Frau faktisch den Schwangerschaftsabbruch ermöglicht. Leider ist er in seiner Uneindeutigkeit eben immer wieder Anlass solcher Diskussionen... Andere Länder sind dort wesentlich weiter. (Manche auch rückständiger. interessanterweise sind gerade diese Länder aber auch in vielen anderen Bereichen rückständig.)
Um das nochmal zu verdeutlichen: die Polizei ist verpflichtet, wenn sie von Straftaten weiss (vor allem, wenn bewusst ist, dass dabei Menschen zu Tode kommen), einzugreifen. Auch hat jeder Bürger das Recht, Straftaten - notfalls mit Gewalt - zu verhindern. Die Adressen der Praxen, die Abtreibungen durchführen, sind öffentlich.
Würden sich nun Abtreibungsgegner mit Gewalt Zutritt zu diesen Praxen verschaffen und versuchen, die Durchführungen von Abbrüchen zu verhindern, na? - *sie* würden sich strafbar machen und das würde auch geahndet werden..
Du siehst also, wie es mit dem "Recht auf Leben" von Embryonen speziell in unserer Rechtsordnung aussieht?
Du siehst an diesen langweiligen Ausführungen, das "Recht auf Leben" zwar toll klingt, wenn man diese Idee aber mal unter die Lupe nimmt, es eine Phrase ohne viel Inhalt ist. Aber wie gesagt, Du kannst ganze Bücher dazu lesen - oder zumindest ausführliche Essays, die sich mit dem Thema befassen (gibt's auch im Internet)...
Persönlich finde ich es einfach absurd, aufgrund eines Organismus im vorpersonellen Stadium so einen Aufriss zu machen - nur weil er aufgrund seines genetischen Codes der Gattung Mensch zuzuordnen ist, ansonsten aber noch nicht viel menschliches auf sich vereint (z.B. Charakter, Leidensfähigkeit, usw.), wenn wir auf der anderen Seite völlig gedankenlos durchaus empfindungs- und leidensfähige Tiere töten und mit unserem Lebensstil ziemlich schmerzfrei das Leiden und Verhungern anderer Menschen anderorts unterstützen bzw. tatenlos zusehen, weil wir uns nicht dafür verantwortlich fühlen, da es sich nicht in unserem Territorium abspielt... Darauf sollte sich der Lebensschutz mal besser konzentrieren..
Einen schönen Abend,
R.