Re
Liebe S.,
auch bei einer auf den ersten Blick "rationalen" Entscheidung, wird dein Bauch ein Wörtchen mitgeredet haben. Jedoch ist einem das nicht so bewusst.
Es ist völlig normal, dass man danach ersteinmal gemischte Gefühle hat, es war ja auch bestimmt eine sehr belastende Zeit und Entscheidung. Vor allem, wenn Dein Freund nicht hinter Dir stand. Aber lass' Dir nicht einreden, Du hättest die falsche Entscheidung getroffen. Vertrau' Dir selbst, stell' Dich nicht in Frage.
Als ich meinen Abbruch hatte, war ich vorher und danach zum Teil auch verwirrt. Im nachhinein kamen mir die 10 Tage von der Feststellung der Schwangerschaft bis zum Abbruch wie eine Ewigkeit vor. Die psychische Belastung war auch mit nichts vorherigem zu vergleichen, vor allem, da jeder eine "Meinung" dazu hat, sich im Moment die gesamte Politik und alle Medien damit beschäftigen, uns zum Kinderkriegen zu annimieren.
Und die Abtreibungsgegner und Angstmacher ja auch oft nicht gerade zu den zurückhaltensten Personen gehören.
Kaum jemand unterstützt einen in dieser Zeit, man fühlt sich damit so allein und würde aber so dringend ein bisschen Zuspruch brauchen oder jemanden, der einem diese Last zumindest ein bisschen abnimmt. Bei mir wurde die Entscheidung zwar durch die Bank weg akzeptiert, aber einige hätten es doch richtiger gefunden, ich hätte es bekommen.
Und die, die meine Entscheidung richtig fanden, hielten sich auch mit Unterstützung zurück, weil sie ja unsicher sind und Angst davor haben, dass ich nachher vielleicht doch ein Kind wollte und sie mich falsch beraten könnten. Diese Verantwortung will keiner tragen.
Neben meinem Umfeld hatte ich aber vor allem das Gefühl, dass die ganze Gesellschaft von mir erwartet das Kind zu bekommen - wie ich dazu stehe und was ich für das beste halte, nur zweitrangig ist. denn ich bin im passenden Alter, hätte die Unterstützung bekommen und wäre wahrscheinlich noch nicht mal eine allzu schlechte Mutter gewesen.
Ich musste ersteinmal erkennen, dass es okay ist, dass ich diese Entscheidung treffe, dass ich dem Druck nicht nachgeben muss.
Was ich Dir nur raten kann: zweifle nicht an Dir, lass' Dir nichts einreden und red' Dir selbst auch nichts ein. Für mich klingt Deine Geschichte danach, dass Du für Dein (irgendwann) Kind die besten Startmöglichkeiten möchtest, ohne die Belastungen von Nikotin, Tabletten und Alkohol. Das macht Dich doch zu einem sehr verantwortungsbewussten Menschen! Du hast Dir genau überlegt, was das richtige ist und ja, auch wenn andere da den Kopf schütteln - da kannst Du stolz drauf sein.
Profamilia bietet im übrigen eine psychische Nachbetreuung an. Ich würd' mich an Deiner Stelle aus solchen Foren wie diesem erstmal fernhalten. Zu penetrant sind die, die sich daran ergötzen, dass es Dir (erstmal) schlecht geht, auch wenn manche das hinter geheucheltem Mitleid verstecken.
Und Du bist auch gar nicht so allein: immerhin treffen jedes Jahr über 200.000 frauen in Deutschland die gleiche Entscheidung - nur sprechen die wenigsten darüber, vor allem die, die damit klarkommen - eben weil so wenige Verständnis dafür haben. Ich hatte am Anfang auch ein Problem damit, eventuell stigmatisiert zu werden, plötzlich gehörte ich zu "denen, die abgetrieben haben". Vorher dachte ich, dass passiert nur Teenagern, die zu doof sind, eine Kondomeinweisung zu lesen.
Aber: es gibt nicht die Gruppe der "Abtreiber", die irgendwie psychisch gestört sein müssen, wenn nicht vorher ("wie kann man nur?"), dann eben hinterher ("geschieht Dir recht so!"), es kommt in allen Altersklassen und in allen Schichten vor.
Je höher der Bildungsabschluss, desto größer ist übrigens auch die Neigung zum Abbruch, Du befindest Dich also wenn dann in illustrer Gesellschaft. ;)
Ich kann Dir nur aus eigener Erfahrung sagen, dass man das die ersten Wochen erstmal alles verarbeiten und sortieren muss, danach geht es aber den meisten Frauen wieder absolut prima. Die, die sich natürlich im Internet einer Gehirnwäsche unterziehen, haben da natürlich schlechtere Karten. Wenn Du also trotzalledem Dich übers Internet mit dem Thema auseinandersetzen möchtest, dann geh' auf Seiten, die Deine Entscheidung akzeptieren. Eine Linkliste findest Du auf der Wikipediaseite zum Schwangerschaftsabbruch, ganz unten.
Ich sehe meinen Abbruch als 2. Chance, mein Leben so zu gestalten wie ich es möchte - und da freue ich mich sehr drüber. Genauso lässt das mir die Möglichkeit offen, irgendwann das Kind zu bekommen, welches ich möchte, von dem richtigen Mann und ohne, dass Nikotin oder Alkohol da irgendeinen schädigenden Einfluss hatten. Auch mir ist bewusst, dass ich ggf. ein Leben in die Welt setze, welches wahrscheinlich über 80 Jahre andauern wird. Und die Zeit sollen meine Kinder doch auch völlig auskosten können und nicht von vorneherein benachteiligt sein.
Lass' Dir ein bisschen Zeit und hol' Dir Unterstützung. Das wird schon wieder.. :)
Lieben Gruß,
R.