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Auf den ersten Blick gibt es meines Erachtens nur zwei mögliche Grundeinstellungen, aus denen der Wunsch, von Fehltritten nicht informiert zu werden, resultieren könnte. Die erste Grundeinstellung ist lediglich eine scheinbare, nämlich die der Gleichgültigkeit. Sollte es mir allen Ernstes gleichgültig sein, was mein Partner treibt - was es in offenen Beziehungen mehr oder weniger geben mag- dann sollte es hingegen auch egal, was derjenige dann wirklich praktiziert. Zumindest sollte bei wirklicher Gleichgültigkeit des Sexlebens des Geschlechtspartners kein Grund vorliegen, sich vor Informationen über "Affären" zu verschließen.
Die zweite Möglichkeit wäre die formal-logisch stringente, moralisch allerdings inkonsequente Grundeinstellung, namentlich die der Angst vor Enttäuschung. Da es bei Gleichgültigkeit eines "Fehltrittes" gegenüber auch konsequenterweise die bloße Information über diesen "Ausrutscher" gleichgültig sein sollte - was sollte daran stören?- kann es sich bei der zweiten Ausprägung eines angeblichen Wunsches vor Geheimhaltung nur um einen Fall handeln, in welchem ein Fehltritt des Partners nicht gleichgültig ist. Es handelt sich folglich auch nicht um eine "offene Beziehung", sondern man verlangt Exklusivität am Partner. Nun wird derjenige, der sich diesen Wunsch der Geheimhaltung von Sex außerhalb der Beziehung zu eigen gemacht hat, eine Motivation gehabt haben, aus der dieser Wunsch resultierte. Dies wird die Angst vor der Enttäuschung sein, die Angst vor der Realität bzw. die Angst vor der Wahrheit. Diese Person bevorzugt es mithin, blind in einer enttäuschenden Realität zu leben, und verzichtet darauf sich ein klares Bild von den Dingen zu machen, die sie in persönlichster Weise tangieren. Sie verzichtet ferner darauf, die Modalitäten der Dinge zu durchblicken, die ihr wichtig sind bzw. die sie prägen. Diese feige Angst, lieber die Augen zu verschließen, als mit der Wahrheit konfrontiert zu werden, zeigt doch, wie groß die Bedeutung der Beziehung ist, zeigt, wie viel auf dem Spiel steht.
Doch was steht auf dem Spiel? Es ist die Verlustangst einer von Pessimismus geprägten Beziehung. Man nimmt sich die Möglichkeit, entscheiden zu können, ob man- sollte sich der Pessimismus bewahrheiten- der Enttäuschung sowieso der latent vorhandenen Angst ein Ende setzt. Man nimmt sich aus Angst vor der Angst die Autonomie. In meinen Augen ist das ein Fall von Resignation. Wenn der Mut fehlt, vorhandene Informationen abzuwägen, um für sich - autonom- die beste Entscheidung zu treffen, dann wird es dadurch nicht besser, sich der Informationen zu verschließen. In meinen Augen ist es irrational, sich, ohne dass viel auf dem Spiel steht - nämlich lediglich eine vertrauenslose von Pessimismus geprägte Beziehung-, der Entscheidungsmöglichkeiten zu berauben, sein eigenes Glück zu verwirklichen.
Ferdinand von Schill sprach weiland davon, ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende zu bevorzugen. Dem kann ich mich hier abschließend nur anschließen.