Warum ist die blöde Magersucht so stark?

salli_12268326

Da mich im Moment die kranke Seite immer wieder einholt und zum Teil wieder sehr stark ist, möchte ich euch einfach meine Gefühle mitteilen. Ich möchte sie raus lassen und nicht verdrängen.
Gestern zum Beispiel wollte ich mir ein Vanille-Joghurt kaufen gehen, da ich ja auch noch zunehmen muss. Doch ich stand eine Ewigkeit vor dem Regal und kontrollierte immer wieder die Kalorien. Innerlich führte die kranke Seite mit der gesunden einen grossen Kampf. Ich wäre am liebsten in eine Ecke gegangen und hätte mich dort verkrochen.
Was geht bloss in mir vor? Ich sitze da, sollte meine Arbeiten erledigen, doch immer wieder merke ich , wie meine Gedanken abschweifen und ich ins Leere starre. Ich frage mich, will ich wirklich wieder zurück in die Klinik? Will ich es darauf ankommen lassen? Wieso schafft es die gesunde Seite nicht, sich durchzusetzen, stärker zu sein als die kranke? Ich möchte doch einfach nur wieder normal leben können. Essen worauf ich Lust habe und nicht bei allem, was ich esse, die Kalorien ausrechnen. Ich möchte einfach wieder leben so wie früher. Ich möchte mich selber akzeptieren. Ich weiss ja eigentlich, dass ich auch mit ein paar Kilos mehr nicht dick bin. Ich wäre dann ja immer noch dünn. Nur in meinen Augen sehe ich dann dick aus. Wenn ich jedoch andere Menschen anschaue, dann finde ich Normalgewichtige wunderschön. Warum sehe ich das denn bei mir nicht? Ich habe Angst, die Kontrolle wieder zu verlieren.

selver_11957295

Hallo Isa,
was du beschreibst, ist die gefürchtete Ambivalenz der Anorektikerinnen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass du unter dieser starken inneren Zerrissenheit spürbar leidest. Leider kann man dir in diesem Zustand mit wenigen Worten kaum helfen. Du bist bereits in ambulanter Psychotherapie, was richtig ist. Nun bleibt nur zu hoffen und abzuwarten, dass die psychischen Ursachen, die dem Krankheitsbild zugrunde liegen, in der Therapie beseitigt werden können.Ich kann dich nur motivieren, nicht aufzugeben und zu versuchen, ausreichend zu essen. Indem du dich der dominierenden Gewichtsphobie widersetzt, schwächt sie sich ab. Zugleich solltest du dir deine Gesundheit fest zum Ziel machen und dich dann auch auf dieses Ziel fokussieren.Es geht nicht um dein Aussehen und es geht auch nicht darum, wie du dich im Spiegel siehst. Es sollte dir allein darum gehen, dass du dir eine gesunde und unbelastete Zukunft nicht von einer Krankheit nehmen lässt.

LG Nus

almut_12568059

selver_11957295

Hallo nus,
mir helfen deine Antworten und Beiträge immer sehr! Es geht mir zZt wie isa, wie lux, ach an sich wie sehr vielen hier...

Wollte daher einmal deinen Satz "Indem du dich der dominierenden Gewichtsphobie widersetzt, schwächt sie sich ab" hinterfragen. Er klingt so gut und ich würde ihn wirklich sehr gerne glauben. Leider mache ich momentan die schmerzhafte Erfahung, dass er nicht zutrifft!!! Ich widersetze mich der Phobie, esse also, spüre körperliche Veränderungen in Richtung Zunahme - die Gewichtsphobie schwächt sich aber nicht nur NICHT ab, sondern wird geradezu schlimmer!!! Was ist denn nun wahr?

Konkretere Frage: warum wird die Angst, auch wenn ich mich ihr widersetze und esse, nicht schwächer, wie du sagst? Warum nicht??? Sorry, ich bin so verzweifelt u am Rande alles Aushaltbaren angelangt...

Isa, auch deine Antwort darauf würde mich natürlich interessieren, glG

selver_11957295

almut_12568059

Hallo Wolfsfrau,
durch die Konfrontation mit einer Angst, spürt man sie vorübergehend verstärkt. Man setzt sich mit ihr auseinander, lenkt sich nicht mehr ab und wird sich der Angst bewusster. Die Angst wird dadurch aber nicht stärker. Man empfindet es nur so, weil man sich intensiver mit ihr befasst. Mal ein anderes Beispiel. Wenn jemand an einer Agoraphobie leidet, spürt er zuhause seine vorhandene Angst nicht so stark als wenn er sich öffentlichen Plätzen nähert. Durch die wiederholte Annäherung an öffentliche Plätze schwächt sich die Angst dann aber nach und nach ab.In der Psychotherapie spricht man von der Konfrontations-bzw. Expositionstherapie.

Lg Nus

usagi_11900566

selver_11957295

..
wenn ich mich einmischen darf, ich würde Magersucht nicht mit einer herkömmlichen Phobie vergleichen sondern eher mit einer SUCHT - wie z.B. Drogen-oder Alkoholsucht.

Sicher lässt die Angst vor dem Essen nach, wenn man damit begonnen hat - das kann vielleicht jede hier bezeugen - aber das bedeutet nicht, dass man clean oder geheilt ist.
Wie ein Drogensüchtiger kann einem immer wieder das Verlangen nach der Abnahme kommen und ebenso kann man von verlorenen Kilos auch wieder "angefixt" werden. Es ist das gleiche Prinzip. Auch wenn wir nicht so körperich abhängig werden wie ein Heroinsüchtiger, spielt sich im Gehirn etwas ähnliches ab.
Ein Agoraphobiker wird niemals Sehnsucht nach dem Gefühl haben, auf öffentlichen Plätzen Panik zu bekommen und deswegen zu Hause bleiben.

selver_11957295

usagi_11900566

Keine Suchterkrankung.
Anorexie ist ein komplexes eigenständiges Krankheitsbild, auch deshalb, weil die Gewichtsphobie ein deutlicher Teil des Krankheitsbildes ist. Dieser Teil, natürlich nicht die gesamte Erkrankung, lässt sich mit der Konfrontationstherapie behandeln. Der therapeutische Ansatz für die gesamte Krankheit geht natürlich über die Konfrontationstherapie hinaus und erstreckt sich auch auf die Ursachen des Krankheitsbildes. Dafür befindet sich Isa ja in Therapie. Viel mehr kann sie nicht machen. Sie kann die Therapie nur unterstützen, indem sie dort mitarbeitet und sich im übrigen um eine ausreichende Ernährung bemüht. Dieses Bemühen ist bereits die Konfrontation mit der Gewichtsphobie ebenso wie es ein angsteinflößendes Wiegen wäre.

LG Nus