Grillsaison
Es beginnt bereits im Frühjahr: Das Wetter wird beständiger es regnet nur noch jeden zweiten Tag und die pralle Sonne erwärmt dann schon mal gerne die Luft bis auf 13 Grad Celsius. Und schon kommen die Grillzombies aus ihren vom Sozialamt subventionierten Löchern gekrochen und hauen ihre Billig-Mikrowellenkost tonnenweise auf den Elektrogrill ein Balkon-Event im sechsten Stock für die ganze fünfköpfige Familie inklusive Freunde und Nachbarschaft.
Für die Menschen, die sich das Hochhausleben im Russenviertel am Stadtrand nicht leisten können und von all dem heiteren Treiben auf den Balkons nichts mitbekommen, ist erst die Grillsaison im Hochsommer eröffnet, wenn sie mittags im dreiteiligen, bunt geblümelten Liegestuhl in mitten ihres grünen Anwesen dösen und von rechts und links je eine tiefschwarze Rauchschwade über sie einbricht und der Gestank nach drittgradig verbranntem Geflügelfleisch sich durch die Nasenöffnungen windet und letztendlich das olfaktorische Nervenzentrum im Gehirn betäubt.
Das Grillen an sich ist tief in den männlichen Genen verankert und aus der heutigen maskulinen Praxis nicht mehr wegzudenken, zeigt es doch der emanzipierten Frauenwelt eindrücklich auf, dass wir Männer doch zwei Dinge gleichzeitig vollbringen können: Fleisch/Wurst grillen und Bier saufen. Frauen halten dagegen naturgemäß in den meisten Fällen Distanz zum Grill; wissen sie doch, dass die Speckschwarte auf und nicht vor den Grill gehört.
Für die Männer ist das Grillen nicht ein einfaches Zubereiten einer Mahlzeit, sowie etwa das täglich lieblose Kochen der Frau, es ist vielmehr eine Philosophie.
Zunächst ist richtige Arbeitskleidung wichtig, denn gegrillt wird prinzipiell mit freiem Oberkörper und kurzer, zweistreifiger Sporthose. Mann zeigt halt gerne was er hat: reichlich Brusthaar auf dem Rücken, Hängetitten, die in Konkurrenz zu denen seiner Frau stehen, ein von Bier und Wein geschwängerten Bauch, o-beinige, arthritische Kniegelenke, alte, lange und breite Operationsnarben in der Leistengegend und schlaffe Haut wohin das trübe Auge blickt. Um das typische Outfit komplett zu machen, sind die sandsteinfarbenen Sandalen und die dunkelblauen Kniestrümpfe, die unmittelbar am Feuer wegen Entzündungsgefahr auch kurzzeitig bis zu den Achillessehnen herab geschoben werden dürfen, unablässig.
Ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass sich ausschließlich das Sippenoberhaupt um das Entfachen und Instandhaltung des Feuers zu kümmern hat. Wer sich dem widersetzt, wird die rhetorische Faust des Patriarchs in Form endloser So-klappt-das-nie-Diskussionen schnell im Genick spüren oder aber er/sie wird genötigt sein, den Anblick des schmollenden Mannes den Rest des Tages (gegebenenfalls auch des gesamten Wochenendes) ertragen zu müssen, während sich der auf das Abstellgleis geschoben geglaubte Stammvater vorsätzlich ein bis drei Kisten Kölsch gepflegt in den Rachen schüttet.
Denn nur der Grillmeister weiß: für ein ordentliches Feuer benötigt man etwas Grillkohle respektive Holz und vor allen Dingen jede Menge Spiritus oder wahlweise Benzin. Da heißt es geschwind ein Sack Holzkohle in den Grill geworfen und mit 60 Liter Benzin übergossen und angezündet. Einer eventuell auftretenden Verpuffung, die in einem Wohnungsbrand samt Brandleichen endet, wird gelassen entgegengeblickt, denn Schwund gibts bekanntlich immer.
Gegrillt wird allerdings nur mit der Glut und drum verkrümelt sich Papa mit seinen Kumpels bereits am Sonntagmorgen ab acht Uhr in den Garten Grillen bedeutet halt Opfer bringen und eben mal auf den Kirchenbesuch zu verzichten! macht das Feuer schon mal an, damit er nachmittags Muttis lustige Fleischspieße auflegen kann.
Wenn mittags die Sonne bereits den kürzesten Schatten produziert hat, ist es dann endlich soweit: Der väterliche Grillgott legt die ersten tote Tiere auf den heißen Rost. Dazu benötigt Mann natürlich fachgerechtes Werkzeug und das widerspiegelt sich in der metallene Grillzange. Dass diese auch heiß werden kann, besonders wenn sie vier Stunden auf oder im Feuer liegt, lernt Mann gerne dazu. Jedes Mal! Denn schlimmsten Fehler, den Frau in einer solchen Situation machen kann, ist, wenn sie ihm ein Topflappen oder die Verbrennungssalbe reicht. Topflappen, womöglich noch selbst gehäkelte, und feuerfeste, von innen isolierte Grillhandschuhe sind nicht für das Geschlecht erfunden worden, welches seit Menschengedenken Krieg zu führen pflegt. Und die Salbe kann sie sich gleich auf ihr Schnitzel schmieren, denn ein richtiger Indianer kennt kein Schmerz. Nicht umsonst haben Hobby-Griller und Indianer die gleiche Bezeichnung: Rothaut.
Kinder können sich leicht und gekonnt beim Grillmaster nachhaltig einschleimen und damit eine günstigere Erbschaft rausschlagen, indem sie ihm unaufgefordert und regelmäßig ein erfrischendes Flaschenbier der Kasten steht üblicherweise im kühlen Gartenteich geöffnet anreichen. Liebe Kinder, das könnt ihr ruhig ohne Bedenken tun, euer Vati ist ganz bestimmt auch kein nichtsnutziger, versoffener Sack, auch wenn das die Mama jeden zweiten Abend durch die Wohnung brüllt. Er braucht vielmehr die Flüssigkeit zum überleben. Überlegt doch mal wie viel Flüssigkeit er am heißen Grill verliert. Alleine die Schweißmenge, die unaufhörlich von seiner Stirn auf das Grillgut tropft, bewegt sich im Bereich von fast einem Hektoliter. Das muss erstmal wieder aufgefüllt werden.
Bleibt nur noch die Frage offen: was kommt eigentlich alles auf den Grill? Um es kurz zu machen: alles. Und damit kehren wir dem Kompetenzbereich des Mannes den Rücken und verlassen uns vielmehr auf das, was uns das brave Hauslieschen so alles eingepackt hat: mariniertes Fleisch, farbenfroher Schaschlikspieß, Hähnchenkeule, Würstchen aller Art, Form und Größe sowie Mais, Tomaten und Zwiebeln. Lecker. Außerdem noch mindestens ein halbes Duzend verschiedener Salate.
Ebenso wichtig sind die Getränke. Für den Ollen Gerstensaft, für Frau Mama 18 Liter Kaffee und für die Kinder Cola und Fanta. Absolut out: stilles Wasser. Klar, trinkt schließlich keiner gerne was wo zuvor die Fische drin fickten.
Noch vor 15 Jahren fragte man noch: Ketchup oder lieber Senf? Heute hingegen gibt es allein 30 verschiedene Ketchup-Sorten (mit oder ohne Knoblauch, mit Curry, scharf oder süß, mit oder ohne Tomaten usw.). Und die müssen alle schön aufgebart vor dem Gartenhäuschen auf einer Bierbank stehen, hinzukommen mindestens ebenso viele Fertig-Soßen, die dürfen also auch nicht fehlen.
Serviert wird übrigens auf Porzellangeschirr; man ist jetzt umweltbewusster und außerdem spült Frau Zuhause ab.
Untermalt wird das familiäre Gelage mit dem neusten Hip-Hop-Müll vom Sohnemann, der seinen akkubetriebenen und mit Puff Daddy gespeisten Mp3-Player an zwei große Außenlautsprecher angeschlossen hat. Allein die Bassvibrationen sorgen dafür, dass das Schweinehals-Kotelett regelmäßig auf dem Grill bewegt wird. Ja, so ein Grill-Tag im Garten ist schon was Tolles. Zumindest für die betreffende Familie. Den Nachbarn hingegen geht dieser Mix aus Rauch, Gestank und Lärm mächtig auf die Nüsse. So auch mir und drum gehe ich jetzt raus zur Dorfwiese, suche mir ein paar Hunde- und Katzeköttel und hau die nachher auf den Grill und lade die ganze bucklige Nachbarschaft zum großen Fressen ein. Sollen sie doch alle an dem Scheiß ersticken!