An shandona
bei mir ist es inzwischen 7 jahre her, daß mein 2 jahre jüngerer bruder zusammen mit meinem vater mit dem flugzeug tödlich verunglückten.
ich war damals gerade 25 und war zu der zeit in schottland (erasmus). ich dachte immer wenn so große sachen passieren muß man doch etwas spüren, irgendeine vorahnung oder so. aber nichts. ich kam zurück ins haus meiner gastfamilie und da erfuhr ich es. am nächsten tag flog (!!) ich zu meiner mutter zurück.
meine freunde und vor allem die freunde meines bruders standen mir sehr bei, verbrachten viel zeit mit meiner mutter und mir. es ist gut, wenn man spürt, daß man nicht allein ist. letztendlich jedoch ist man auf sich selbst gestellt damit fertig zu werden. nur du selbst kannst lernen damit umzugehen.
allerdings glaube ich, dauerte es bei mir lange, ich glaub ein halbes jahr, bis ich tatsächlich begriff, das es nicht nur ein böser traum war. richtig daran zu arbeiten habe ich wohl erst über ein jahr später. als es nicht mehr ging, mich mit dem studium und vielen prüfungen abzulenken. ich hatte das glück einen super therapeuten zu finden, der mich wieder aufbaute, der mir half, mich wieder dem leben zu stellen, wieder stark genug zu sein, zu leben.
mein verhältnis zu meinem vater war immer schon recht kompliziert und gespannt, heute jedoch sehe ich, wie ähnlich ich ihm doch bin. aber mein bruder...mein kleiner bruder, den ich immer beschützen wollte. wegen dem ich als mädchen in der volksschule jungs verhaute weil sie gemein zu meinem bruder waren. mein bruder, der in meinen augen der tollste, coolste, schönste mann war und ist, den ich je gesehen hab. mein bruder den ich immer schon vergöttert hab. ich hatte mir früher einige male vorgestellt meinen eltern könnte was zustoßen. aber ich wußte ich würde mit meinem bruder zusammen ALLES bewältigen können! ich hätte mein leben für ihn gegeben. jetzt bin ich mit meiner mutter und meiner großmutter alleine.
auch ich wollte immer stark sein. vor allem für meine mutter. genauso wie du es beschrieben hast. du mußt nicht immer stark sein. schrei deinen schmerz hinaus, bitte andere um hilfe, und laß dir von anderen helfen.
trauerarbeit geht über eine lange zeit. in der psychologie spricht man von 4 phasen:
Erste Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen
ich stand am grab und empfand absolut nichts.
mir schien alles wie ein schlechter film zu sein in dem ich die hauptrolle spiele. ich dachte oft eines tages würde ich einen brief bekommen von meinem bruder. er und mein vater seien nach brasilien geflogen und dort untergetaucht. ich bildete mir oft ein einen jungen mann mit langen dunklen haaren, und einen bart mit dem er sein gesicht versteckte, damit ihn niemand erkennt, irgendwo auf der straße zu sehen.
Zweite Phase: Aufbrechende Emotionen
erster jahrtag. ich stand mit meiner mutter, meinen verwandeten und freunden am grab. dort brach ich zusammen und begann mit den fäusten auf das grab einzuschlagen. bis man mich davon wegzog. ich beschloss nicht mehr ans grab zu gehen, weil es mir nicht gut tat. ich hasste gott, alles ist so ungerecht.
Dritte Phase: Suchen, Finden, Sich-Trennen
da zog ich in die wg meines bruders, wohnte in seinem zimmer. ich wollte alles in mich aufnehmen was ich von ihm fand, wollte ihn ganz in meiner nähe spüren. schmerzhaft. melancholisch. intensiv. mein bruder war mir da so nah. ich sah ihn auch oft im traum. erzählte ihm dort immer was inzwischen alles passiert ist.
Vierte Phase: Neuer Selbst- und Weltbezug
heute bin ich ein anderer mensch. erlebe und lebe alles viel bewußter. mit viel mehr mitgefühl, viel mehr respekt und achtung. andere werte, andere prioritäten.
bei mir haben diese 4 phasen wohl voll zugetroffen.
mein bruder ist immer bei mir. vor allem wenn es mir richtig gutgeht. wenn ich traurig bin ist er weiter weg. vielleicht ist es wirklich so, daß trauer und schmerz wirklich andere gefühle "überdämpft". auch heute wünsche ich mir oft, auch nur eine stunde, auch nur einmal im jahr zu haben, in der ich ihn wiedersehen kann. wo ich ihn festhalten kann und ihm sagen kann wie lieb ich ihn hab.
bei dir ist alles noch so frisch. ich wünsche dir viel kraft, viel mut, liebe menschen und gute freunde, die dich richtig kennen. die für dich da sind. hilf ihnen dir zu helfen. auch für sie ist es nicht leicht. sag ihnen was dir guttut. sag ihnen was du brauchst. rede über deine gefühle, verdränge nichts.
stürz dich ganz bewußt in den schmerz, lerne ihn kennen. es ist wie ein tunnel. er ist lang und dunkel, aber am ende IST licht. lerne den tunnel kennen, lerne dich darin zu bewegen, dann hast du weniger angst davor, dann weißt du im hinterkopf immer daß du irgendwann da wieder rauskommst. er kommt immer wieder dieser tunnel. aber die abstände werden mit der zeit größer und du wirst immer mehr zeit im freien, im licht verbringen.
alles gute...ich denke an dich!