Nein
finde ich nicht. wieso auch? letztendlich kann jeder selber entscheiden, ob er in einer ausweglosen (meist aber nur scheinbar ausweglosen) situation verharren möchte oder nicht. die eigentliche crux ist, dass der selbstmörder (klingt furchtbar) eigentlich sich in den allermeisten fällen nicht das leben an sich nehmen möchte, sondern aus einer für ihn unerträglichen situation verschwinden möchte, weil er es nicht mehr aushält. entfällt die situation, dann geht es ihm besser. oft kennt er den eigenen ausgang aus dem knäuel nicht und ist somit auf hilfe angewiesen. so kann man nur hoffen, dass er sie dann auch findet.
es gibt aber noch eine andere sorte von suizid-wesen - die, die das feuer berührt hat. auf der einen seite ist man unglaublich aktiv, rege und euphorisch, man könnte singen und in der u-bahn opernarien schmettern, ist voller tatendrang und kreativität, voller lebensfreude und hochgefühl - um am nächsten tag einfach so und ohne scheinbaren grund in ein tiefes loch zu fallen, wo man dann nur noch daran denkt, dass man sich umbringen möchte. die menschen, die darunter leiden manisch-depressiv zu sein, haben sich dies nicht ausgesucht. sie banal als "feige" zu bezeichnen ist nicht richtig.
und dann gibt es noch die spezies, die das gefühl hat, seit anbeginn aller zeiten auf erden zu sein. das gefühl des überdrusses, des nicht-mehr-wollens. man will nur weg, es ist ein gefühl eines unerklärlichen "nach-hause-wollens", einer tiefen sehnsucht nach einem inneren ort, den man in seinem herzen trägt, besonders wenn man sich im kreis seiner mitmenschen und ihrer vielen kleinlichen begierden nicht mehr wohlfühlt. was interessiert es das all, wer sich was wo ausstopft, wer sich einen noch dickeren schlitten kauft, was interessieren solche materiellen normen, die von menschen geschaffen wurden, um sich selber zu knechten? wenn man all diese jagd um geld und konsum und statussymbole nicht mehr verstehen kann, wenn man sich aus tiefstem herzen danach sehnt, endlich mit der erde und dem kosmos zu verschmelzen, ein geistiger teil ohne schmerzende hülle zu sein, wenn man das gefühl hat, all dies hier schon 1000 mal gelebt zu haben, gleich einem buch, welches man endlich zuklappen möchte um zu sehen, was nach der geschichte kommt - statt dessen muss man sie immer wieder und immer wieder lesen. kein interesse an allem, was die menschen erfunden haben, was sie sich als neue schoten ausdenken, nur nach hause, irgendwo anders hin, die hoffnung, vom universum endlich "nach hause geholt" zu werden, sich mit der erde vereinen und mit ihr im großen magmakern in wärme zu einer einzigen energiemasse zu verschmelzen. immer wenn es regnet, würde man am liebsten ein baum sein, und das klare wasser auf allen blättern spüren, und an den wurzeln, wenn es in mutter erde versickert. die idee sich aufzulösen, zersetzt zu werden in alle moleküle und vom gewürm der erde in alle richtungen getragen zu werden, stofflich umgewandelt zu werden und im kreislauf des wasser als molekül in richtung meer zu schwimmen, von der sonne angezogen herabzuregnen und als nährstoff in den wurzeln eines baumes zu landen, dies alles sind tiefste sehnsüchte, die viele als komplettspinnerei abtun, andere aber vielleicht nachvollziehen können. die kelten begruben ihre verstorbenen mit baumsamen unter der zunge, um den geist des menschen in einem baum ein neues zuhause zu geben. nein, mit "feige" hat suizid nichts zu tun, man steht mit seiner geburt auf, geht eine weile über den erdboden und legt sich irgenwann wieder hin und geht in seine große mutter zurück. manchmal ist die sehnsucht so stark und man ist all diesem treiben AUF erden so überdrüssig, dass man eben diesen weg geht. das ist keine feigheit sondern ein selbst gewählter weg. übrigens gab es zu verschiedenen epochen ganze selbstmordwellen, eine davon im 18 jahrhundert, als goethes briefroman "die leiden des jungen werther" erschienen sind.
ich plädiere hier aber nicht dafür ;-), ich selber liebe das leben - wenigstens meistens. ich mag nur keine pauschalurteile; ich bin im leben schon einigen male menschen begegnet, die es versucht haben. fast alle aber wollten aus unerträglichen situationen fliehen und eigentlich gar nicht gehen. sie sind nicht "feige", auch sie gaben nur einem impuls und einer seelenregung nach. solchen menschen trete ich nicht anders gegenüber, als den menschen, die am leben hängen.
lg
marge